von Barbara Camenzind, 07.05.2021
Musik der Zuversicht
Die Konzertreihe „Winterklänge am Bodensee“ des Stradivari-Quartetts gastierte am 5. Mai im Schloss Romanshorn. Das hochkarätige Ensemble hätte wohl auch „Alle meine Entchen“ als fünfstimmige Fuge spielen können, so spürbar war die Dankbarkeit des kleinen, feinen Publikums, dass endlich wieder Konzerterlebnisse möglich sind. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Musik hören ist schön. Musik hören, wenn vorher mit den MusikerInnen ein Werksgespräch geführt wurde, ist fast noch schöner. Weil das mehr Tuchfühlung gibt. Im Programmheft zur Konzertreihe gibt sich das Who is Who des Feuilletons die Ehre, um jeweils die Einführung zu gestalten: Von Annelis Berger über den Thurgauer Martin Preisser, moderierte im Schlosshotel Romanshorn Manfred Papst der „NZZ am Sonntag“ das Gespräch mit den beiden GeigerInnen.
Felix Mendelssohn Bartholdy, dieser Sonnyboy der Romantik, dem Wunderkind, das mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde und kaum wirtschaftliche Probleme kannte, wie zum Beispiel der Antiheld Schubert. Er wird zu Unrecht immer wieder etwas hinter der Türe vergessen, weil er zu wenig leiden musste. Wie gut, dass Manfred Papst die grossen Verdienste des Komponisten herauszustreichen wusste.
Der glückliche Felix agierte am Puls der Zeit, diesem Schwebezustand „Biedermeier“ genannt, derweil sich der Vormärz entzündete. Mendelssohn schuf ein Bewusstsein dafür, dass gute Musik keinen Zeitgeist kennt. Der glückliche Felix bemühte sich um eine Renaissance von Bach und Händel.
Üben ohne Ziel
Xiaoming Wang, Violine 1 und Maya Kadosh, Violine 2 bemühten sich redlich, die Fragen zu den beiden Streichquintetten zu beantworten, die Mendelssohn mit 17 und 37 Jahren schrieb. Das ist manchmal gar nicht so einfach. Doch entdeckten die beiden eine Stringenz zwischen den Werken. So unterschiedlich sie sind, die Partitur verlangt den Streichinstrumenten viel ab. So viele Noten. Mendelssohn wusste, was er fordern konnte, da er selber Geiger war.
Die Pandemie, es konnte nicht anders sein, war natürlich auch Thema des Gesprächs. Wer übt, übt auf ein Ziel hin. Wie soll man üben, wenn keine Konzerte stattfinden? Die beiden Musiker waren sich einig. Es war schwer, doch brauchen sie die Musik auch für sich selber. Das Üben tut einfach gut.
Die virtuelle Konzertsituation sei eine sehr einsame, betonte Wang. Musiker brauchen Publikum. Nicht für Fame, die Musik braucht es, um gut zu klingen. So wie keine Musikkonserve der Welt seinem Publikum, das geben kann, wonach er sucht: Der gemeinsamen Schwingung.
Das Prinzip Hoffnung
Eins, zwei, drei SOUND. Kleckern ist nicht die Sache des Stradivarivariquartetts plus eine Bratsche. Gerade Maja Weber am Cello und Xiaoming Wang an der ersten Geige rührten das Allegro con Moto im Streichquintett A-Dur op. 18 mit der grossen Kelle an.
Den Contrepart der feinen Zwischentöne im Intermezzo bestimmten die beiden sehr gut zusammengespielten Bratschisten Lech Antonio Uszyski und Volker Jacobsen. Sie ermöglichten dem ersten Geiger zauberhafte Passagen.
Derweil der Frühlingsabend durch die Fenster des Schlosses die Melodien beleuchtete. Ein Gänsehautmoment, Romantik pur.
Fixe Bratschen hämmerten durch das Scherzo, die polymetrischen Akzente der Geigen und des Cellos fühlend. Mendelssohn war kein Gefälligkeitskomponist. Der hatte es schon als Teenager drauf. Das Allegro vivace war etwas zu gross gedacht, um noch Entwicklung zu ermöglichen. technisch hervorragend gespielt war es trotzdem.
Es war als würde die Geige singen
Beim Streichquintett B-Dur op. 87. gelang Xiaoming Wang ein sensationeller Einstieg. Es war, als würde seine Geige dieses Allegro vivace singen. Leichtfüssiger, differenzierter, etwas weniger knallig als beim ersten Quintett, zollten alle Musiker dem erwachsenen Mendelssohn ihren Respekt. Sie können auch die kleine Form, wie sie im Allegretto scherzando bewiesen.
Dem dritten Satz wohnt ein ganz eigener Zauber inne. Maja Weber schien dies zu wissen. Die „Walking-Bass“ -Passagen gelangen ihr zauberhaft. Die hohen Streicher übten sich im Spiel von Licht und Schatten. Mendelssohns Musik kann nur heiter sein, weil er auch die Melancholie kannte.
Nach einer furianten Stretta im vierten Satz war dem begeisterten Publikum anzumerken: Mendelssohns unverbrüchlicher Optimismus, die Zuversicht, die aus seinen Tönen klingt, das ist die zeitlose Musik, die wir jetzt brauchen.
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