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16.09.2019

Ökobären und grossmäulige Löwen

Ökobären und grossmäulige Löwen
Roarrrrrrrrrr: Samuel Mosima holt den Löwen aus sich raus. Und nicht nur den. | © Dietmar Paul

«Affengaffen» heisst das neue Stück des Weinfelder Schauspielers Samuel Mosima. Mit seiner Mischung aus Bewegungsschauspiel und Kabarett will er Zootiere zum Leben erwecken und dem Zuschauer einen Spiegel vorhalten. Zumindest ersteres Vorhaben gelingt.

Von Dietmar Paul

Schon lange vor George Orwells Roman «Animal Farm» waren Tiere beliebte Protagonisten in Geschichten und Gleichnissen. Bereits in der Antike prägte der griechische Dichter Äsop diese Gattung massgebend. Noch heute haben der schlaue Fuchs und die fleissige Ameise ihren festen Platz in der Umgangssprache. Tiere bieten eine gute Projektionsfläche für menschliche Attitüden und Charaktereigenschaften. Wir erkennen in ihnen unsere eigenen Schwächen und Fehler.

Dem Publikum mit seinem Stück einen Spiegel vorzuhalten, verspricht auch Samuel Mosima. Allerdings kommt man sich als Zuschauer im Theaterhaus Thurgau vor, als würde man hinter der Glasscheibe sitzen und aus sicherer Entfernung die Raubtierfütterung beobachten. Bevor es jedoch dazu kommt, werden wir von dem Bewegungsschauspieler, und gleichzeitig auch Autor des Stücks, in seine Kindheit entführt. Der kleine «Sämmeli» liegt auf der Wiese und sieht «das Blaue vom Himmel». Doch die Idylle trügt. Ein grummeliger Grundbesitzer vertreibt den «linksalternativen» Eindringling. Es folgt eine actionreiche Zugfahrt zum Grossvater nach Basel, die thematisch etwas deplatziert wirkt. Auch die leichte Melancholie der Kindheitserinnerung geht hier verloren.

Der Schauspieler Samuel Mosima in seinem neuen Programm "affengaffen" im Theaterhaus Thurgau. Bild: Dietmar Paul

Grossmäulige Löwen und gechillte Kamele

In Basel angekommen, betreten der kleine Sämmeli und sein Grosspapi den Ort des Hauptgeschehens. Mosima nimmt die halbe Belegschaft des Baseler Zoos in Fabelhaft. Gekonnt imitiert er den Habitus der Tiere und leiht ihnen seine kräftige Stimme. Dabei fällt die Zeichnung der tierischen Protagonisten überwiegend stereotyp aus: Der Löwe ist der grossmäulige Politiker, das Kamel der gechillt kauende Rastafari mit betulichem Berner Dialekt. Natürlich raucht es Camel Zigaretten.

Das ist alles ziemlich vorhersehbar. Stellenweise funktioniert das Konzept allerdings richtig gut. Zum Beispiel in der Episode vom Hamster, der sich auf seinem Laufrad «wie auf einer Karriereleiter» abstrampelt. Das Bild vom Hamsterrad ist viel zitiert und simpel. Das weiss Mosima perfekt für sich zu nutzen. Um bildhaft zu beschreiben, wie sich der Nager selbst aus seinem Rad katapultiert und dieses mit zynischem Schaukeln langsam zum Stillstand kommt, genügen ihm simple Handbewegungen. Gerade aufgrund der kleinen Gesten wirkt diese Szene urkomisch. Überhaupt sind es oft die kleinen Momente, die viel Wirkung entfalten. Wenn Mosima von einem Tier ins andere gleitet, wortlos in der fremden Haut durch den imaginären Käfig «eleganziert», dann kann er seine animalische Präsenz voll ausspielen.

Talent und Disziplin

Auch hintersinnig wird es hin und wieder. So plädiert der verfressene Löwe als Politiker für ein gemischtes Gehege mit Zebras und Gazellen. Natürlich allein zum Wohle der «Multikultigesellschaft». Erfrischende Abwechslung bietet der Waschbär. Im allgemeinen als Schurke verschrien, darf der putzige Geselle hier in die Rolle des alternativen Grünen schlüpfen. Beständig nervös und ausser Puste warnt er vor dem Klimawandel. Dabei fragt man sich, ob der Schauspieler den nach Luft japsenden Ökobären einfach nur glaubhaft spielt, oder ob er die Figur nutzt, um selbst Atem zu schöpfen. Spätestens jetzt wird dem Zuschauer bewusst, welche Leistung Mosima sechzig Minuten lang auf der Bühne vollbringt. Ständig ist er in Bewegung, faucht, flattert mit den Armen und robbt auf dem Boden. Als Seelöwe springt er bäuchlings vom Podest. Das tut schon beim blossen Zuschauen weh. Wie beiläufig folgt der Wechsel zwischen den Mimiken und Stimmen. Dabei hat jedes Tier seinen eigenen Sprachrhythmus und einen anderen Dialekt. Das ist durchaus unterhaltsam und zeugt von einem hohen Mass an Talent und Disziplin.

Die kleinen Momente entfalten viel Wirkung: Samuel Mosima in seinem neuen Programm "affengaffen" im Theaterhaus Thurgau. Bild: Dietmar Paul

Der Zaun zwischen Schauspieler und Publikum

Das minimalistische Bühnenbild besteht lediglich aus zwei Kuben in der Mitte, weitläufig umgeben von einem Miniaturzaun, der den Tierkäfig symbolisiert. Dieser Zaun zwischen Schauspieler und Zuschauer steht sinnbildlich für das Stück. Auch wenn Mosima kurzzeitig die Zuschauerränge als Bühne nutzt, eine wirkliche Symbiose mit dem Publikum entsteht nicht. Zu allgemein bleibt der gesellschaftskritische Rundumschlag. Zu klischeehaft sind die Figuren, als dass man sich mit ihnen identifizieren könnte. Es fehlt ein dramaturgischer Bogen, der Spannung erzeugt. Der dichte Text lässt nichts im Raum stehen. Alles wird erklärt und kommentiert. Lachen kann man darüber und mit dem Finger von sich weg zeigen, aber Selbstreflektion kann so nicht entstehen. Der Blick in den Spiegel bleibt aus.

Wer gern abschaltet vom stressigen Alltag und einen Schauspieler sehen will, der für sein Publikum an seine Grenzen geht und sich danach leichtfüssig verbeugt, der ist bei «affengaffen» jedoch bestens aufgehoben.

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