von Andrin Uetz ., 12.09.2022

Postindustrielle Leichtigkeit

Postindustrielle Leichtigkeit
Kuriose Bahnen und Formen: Ana Strika in der Kunsthalle Arbon. Foto: Ladina Bischof. | © Ladina Bischof

Die Kunsthalle Arbon wird noch bis zum 2. Oktober von der Zürcher Künstlerin Ana Strika bespielt. Thurgaukultur hat die Ausstellung besucht. (Lesezeit. ca. 2 Minten)

Es fügt sich gut, dass Deborah Keller zum Abschluss ihrer Zeit als Kuratorin bei der Kunsthalle Arbon mit Ana Strika eine Position einlädt, deren Arbeiten sich durch Offenheit und Mehrdeutigkeit auszeichnen. In den sieben Jahren hat Deborah Keller eine kuratorische Handschrift entwickelt, welche sich durch Sorgfalt und Abwechslung, sowie durch ein Gespür für subtilere Töne auszeichnet, und gleichzeitig der Rohheit und Grösse der Kunsthalle gerecht wird. So beschreibt die künftige Chefredakteurin des Kunstbulletin im Saaltext die Installation als “eigenwillig roh gezimmerte Anlage, in der auf tischähnlichen Bahnen mehrdeutige Objekte in unergründliche Abläufe eingebunden sind.”

Traumfabrik provisorischer Materialitäten

Tatsächlich finden sich die Besuchenden inmitten einer Mischung aus Fliessband und riesiger Modelleisenbahn aus Holzlatten, Karton und Kleister wieder. Im ersten Moment wirkt das wie eine überdimensioniertes Modell einer Produktionsstätte, deren Produkt jedoch auch bei genauerem Hinschauen nicht richtig greifbar wird. Neben Holz und Karton finden sich auf den assoziativ dargestellten Fliessbändern Formen aus Papier und Kleister, Knetmasse und Kreide, mit Schnur verknüpftes Geäst, spielerische Aneinanderreihungen von Objekten. Eher Atelier als rationalisierte Arbeitsprozesse, mehr individuelle Handarbeit als standardisierte Produktion, mehr Spielzimmer als Arbeitshalle.

 Eine ruhende Produktionsstätte nach einem langen Arbeitstag?
Das Spiel von Licht und Schatten belebt die Installation. Bild: Ladina Bischof

 

Wider den Wettlauf der Zeit

In der ehemaligen Lagerhalle der Schädler Blechpress-Fabrikation nimmt die Künstlerin damit das Motiv der industriellen Produktion auf. Der Titel “Taktzeit” bezieht sich explizit auf die Arbeit am Fliessband im Akkord, bei der innerhalb einer gewissen Zeit eine gewisse Anzahl Produkte gefertigt oder Arbeitsschritte durchgeführt werden sollen. Mit einem spielerischen Gestus und in der produktiven Dysfunktion wird das industrielle Prinzip der effizienten Herstellung von Produkten gebrochen. Strikas Fliessband läuft nicht, es nimmt gar absurde Formen an, es entzieht sich dem Produktionszwang.

Creative Industries und prekäre Arbeitsbedingungen

Etwas plakativ verstanden könnte die Installation von Ana Strika als Kritik an einer (post-)industriellen Gegenwart oder gar explizit an den prekären Arbeitsbedingungen von Künstler:innen gelesen werden, die quasi Produkte am Laufband erstellen sollen, laufend content produzieren müssen, um in einer Fülle von Material im Netz nicht unterzugehen. Die taktile Sorgfalt in der Arbeit, das Gespür für räumliche Dimensionen, das Spiel mit dem Oberlicht des Raumes und den daraus entstehenden Schatten, sowie ein unerschöpflicher Reichtum an spielerischen Entdeckungsmöglichkeiten lassen eine solche Interpretation jedoch eher sekundär erscheinen.

Eine ruhende Produktionsstätte nach einem langen Arbeitstag?
Eine ruhende Produktionsstätte nach einem langen Arbeitstag? Bild. Ladina Bischof

 

Postminimalistischer Reigen

Vielmehr scheint die Installation – obschon ganz ohne physischen Klang – beim Begehen eine musikalische Qualität zu entwickeln. Keine rhythmische Gleichschaltung, sondern ein aberwitziger Tanz von Figuren in einem Schattentheater, von organischen Formen und Bewegungen. Man könnte an “Der Lauf der Dinge” (1987) von Fischli/Weiss denken. Vor allem aber berührt Strika die postminimalistische Tradition von Eva Hesse, einer Ästhetik, welche das Material selbst befreit und feiert, anstatt es einer strengen Formsprache zu unterwerfen. Und so ist es ganz so, als würde Ana Strika in keinster Weise der industriellen Vergangenheit der Kunsthalle nachtrauern, sondern selbstbewusst den Weg in eine Zukunft spielerischer Kreativität und Expressivität weisen.

Taktzeit

Veranstaltungen:

 

Samstag, 10. September 2022, 16 UhrArtist Talk: «Unfertigkeit»
Ana Strika im Gespräch mit Deborah Keller

 

Samstag, 24. September 2022, 16 Uhr: Öffentliche Führung

 

Die Ausstellung ist noch bis zum 2. Oktober zu sehen.

Öffnungszeiten


Während der Ausstellungen:

Freitag: 17 – 19 Uhr
Samstag und Sonntag: 13 – 17 Uhr

Eintritt frei.


Kontakt
Kunsthalle Arbon
Grabenstrasse 6
Postfach 160
9320 Arbon
Schweiz

 

 

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