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von Kira Reiter, 23.03.2018

Sag, wie hältst du es mit dem Poetry Slam?

Sag, wie hältst du es mit dem Poetry Slam?
Die Slam Poetin Kira Reiter | © Inka Reiter

Poetry Slam, eine Kunstform die seit den 90-ern gewachsen ist, von Amerika über die ganze Welt, von kleinen Kellerbars auf grosse Bühnen, von einzelnen Zuhörern über Tausende. Heute ist diese szenische Vortragskunst kaum jemandem noch ein Fremdwort. Doch geht dabei etwas verloren? Vielleicht kann uns dieser Poetry Slam über die Entwicklungen die diese Kunstform durchlaufen hat aber auch über die dadurch neu entstandenen Möglichkeiten, die Antwort liefern.

Video: So klingt der Text von Kira Reiter

 

Der komplette Text zum Nachlesen

Bühnenpoesie

Von Kira Reiter 

Wo findet eine Kunst ihren Anfang? Bei der ersten Person, die sie schmeckt, fühlt begreift, begreifen möchte? Und wo endet die Kunst? Wenn die Unterhaltung die Kunst übertrumpft? Abgestumpft, bleibt sie zurück? Oder doch entzückt? Von all den Augen die sich auf sie richten. Diese Kunst fand ihren Anfang in drückenden Kellerräumen. Underground Berlin, ein Dichter und ein Trinker sassen an der Theke, der eine kam um zu vergessen, der andere um zuzuhören.

Der Poet, der die Schichten freilegt, bis zum dichten Unkraut längst vergessenen Wahrheiten. Der Poet, der die Wahrheit ausspricht die sich sonst keiner traut. Der Poet, der die Lügen zu zuckersüssen Überzeugungen macht. Der Poet, der Meister der Streiche, ein Vertreiber der Trauer, ein Verjager der Langeweile.

Ein gesprochenes Wort, nicht immer unbedingt von Meisterhand geschrieben, aber mit Leidenschaft und Hingabe. Der kleine Schreiber traute sich, seine Schubladen zu öffnen und sie, schon nicht der ganzen Welt doch immerhin dem feinen Kreis aus Lauschenden zu zeigen.

Beim Ersten mal liegt vielleicht noch ein Stottern bedenklich laut auf den Sätzen.

Bald reisen die Poeten, es gibt jetzt auch Bühnen in kleineren Städten in grösseren Läden. Tiefgang zum in die Taschen packen, Poesie zum anfassen. Alles konserviert in 5 bis 7 Minuten. Die Bühnen wachsen, wie die Anzahl mutiger Schreiberlinge, Zauberzungen, gedichtet, vorgetragen oder besungen. Kellerräume sind längst zu klein. Julia Engelmann hat gesagt: „One Day Baby“ und jetzt wollen sie alle dabei sein. Von eins bis zehn ist dein Gedicht, komm bleib dabei oder mach es nicht. Es ist halt eben mein Geschmack. Ich sag dir ob du‘s morgen oder auch nie wieder machst.

Aus Underground wird jedermann, doch weil jedermann nun lauschen kann, musst du dich auch verständlich machen. Deine Poesie in allgemeine Worte fassen.

Doch vergiss nicht deinen Klang.

Bald schwitzen die Poeten, man erreicht die Massen besser wenn sie lachen, sie lassen sich nicht gerne in den Verstand fassen. Wie fühlt sich eine Metapher, wenn man sie gebraucht für einen flachen Witz. Lacht sie mit?

Tragische Geschichten müssen herausgebrüllt werden, wir müssen berichten von Menschen die sterben, von Massen die hassen, von Systemen die zerschellen, von kleinen Hunden die wie Grosse bellen. Wie fühlt sich eine Hyperbel, wenn sie zum Instrument des Zorns wird?

Du flüsterst für den Wind, der seine Geschichte nicht selbst erzählen kann. Und für den Frühling, der die Menschen ganz verrückt im Herz werden lässt. Du versteckst dich wie der Staub, der sich in den Ecken leerer Party-WGs breit gemacht hat.

Wie fühlt sich eine Personifikation, wenn sie personifiziert wird?

Du erzählst persönliches. Depressiv aber hoffnungsvoll. Und wenn nur der, der nicht gekommen ist und dessen Platz leer bleibt, dir zugehört hätte, reicht dir das.

Wollte die Poesie je eine Bühne oder hätte sie diese gerne den Kabarettisten und Schauspielern überlassen? Nun ist eine Szene aus der szenischen Vortragekunst geworden. Eine Bühne für Protagonisten, Antagonisten und Atheisten. Ein Sprachrohr zur Welt. Nicht länger gebunden an weise alte Männer in Bibliotheken die mit ruhiger Stimme aus dem Leben der Poeten berichten. Sondern vollkommen frei dort oben im Rampenlicht.

Und ohne Gesicht.

Lino Wirag - selbst fotografiert, CC-by-sa 3.0/de, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=5111528

20 Jahre Poetry Slam in der Schweiz

Poetry Slam ist ein Wettstreit zwischen Poeten, welche mit unterschiedlichen Texten gegeneinander antreten. Jeder darf auf die Bühne mit der Bedingung, dass er unverkleidet und mit einem selbstverfassten Text auftritt. Beim Poetry Slam entscheidet das Publikum den Gewinner, meist indem eine zufällig gewählte Jury den Text mit Punkten von 1 bis 10 bewertet.

 

Auch im Raum Thurgau gibt es eine lebendige Poetry Slam Scene, unter anderen durch die erfolgreiche Slammerin Lara Stoll. Die Szene kann in diesem Jahr auch ein bisschen feiern: vom 22. bis 24. März laufen die Poetry Slam Schweizermeisterschaften im Casinotheater in Winterthur.

 

Die Schweiz wird ausserdem in diesem Jahr Gastgeber für das grösste europäische Festival für Bühnenliteratur mit den 22. Deutschsprachigen Poetry Slam Meisterschaften, am 6. bis 10. November in Zürich. Hier treffen sich während fünf Tagen rund 300 SlampoetInnen, VerlegerInnen und VeranstalterInnen aus Deutschland, Österreich, Luxemburg, dem Südtirol und der Schweiz. Um das grösste Festival der Worte zu feiern, Impulse für die Szene zu setzen, sich auszutauschen und natürlich GewinnerInnen zu küren, wie es in einer Medienmitteilung heisst.

 

 

 

 

 

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