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von Barbara Camenzind, 02.06.2025

Schumanniade in der Kartause Ittingen

Schumanniade in der Kartause Ittingen
Isabelle Faust ist künstlerische Leiterin der Ittinger Pfingstkonzerte 2025. | © Felix Broede

Am 8. Juni ist Robert Schumanns 215. Geburtstag. Die Ittinger Pfingstkonzerte und ihre künstlerische Leiterin, die Geigerin Isabelle Faust, ehren den Komponisten in einer echten „Schumanniade” mit ausgesuchten Gästen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

„Die menschliche Stimme ist das schönste Instrument, aber es ist am schwierigsten zu spielen.” Eine Bemerkung von Richard Strauss, der in Ittingen zwar nicht eingeladen sein wird, die aber trotzdem stimmt. Fans klassischer Gesangskunst, romantischer Liedkompositionen und Chorkultur werden an diesen Pfingstkonzerten voll auf ihre Kosten kommen.

Fast lustig wirkt der Hinweis im Programmheft, das Vokalwerk-Schaffen Schumanns friste ein Nischendasein. Für Gesangs-Aficionados ist er einer der grossen romantischen Helden. Aber Ittingen hat natürlich recht, es gibt noch einen Schumann neben der grossen Klaviermusik und der „Dichterliebe” nach Heine und dem „Liederkreis” nach Eichendorff. In den mehrstimmigen Vokalwerken und in den ausgewählten Liedern wird das Publikum dem Suchenden, dem Töneforscher und subtilen Visionär begegnen.

Das Ittinger Stimmenfest - eine Übersicht zu den Vokalwerken

Das spanische Liederspiel op. 74, eine der schönsten, farbigsten Kompositionen Robert Schumanns, wird am Freitag im Konzert 1 zu hören sein. Viel zu selten aufgeführt, ist es eine Komposition, die einem sofort hineinzieht in Farben, Klangkaskaden, Stimmungen und einen nächtlichen Reigen. Isabelle Faust konnte mit Christina Landshamer (Sopran), Ema Nikolovska (Mezzosopran), Werner Güra (Tenor) und Krešimir Stražanac (Bass) ein erfahrenes, sensibles und hochkarätiges Solistenquartett für die Ittinger Pfingstkonzerte gewinnen.

Ziemlich schick ist die Einladung Joseph Haydns an Robert Schumanns Thurgauer Geburtstagsparty, im Konzert 2 am Samstagmittag: Seine schottischen Lieder, auch viel zu selten zu hören, sind eine Art Vorläufer zur grossen Liebeserklärung der Romantiker an das Volkslied und die Volkskultur, die Mythen und Märchen.

 

Kennt sich bestens in Ittingen aus: Isabelle Faust war bereits mehrfach künstlerische Leiterin der Ittinger Pfingstkonzerte. Bild: Borggreve

Zeugnis einer Zeit der Ungewissheit

Die 1840 komponierten zweistimmigen Lieder Schumanns „Wenn ich ein Vöglein wär“, „Herbstlied“ und „Schön Blümelein“, sowie die fünf Lieder Op. 127, die im Konzert 3 zu hören sein werden, sind Miniaturen aus Schumanns „Liederphase“, die wahre „Arbeitsattacken“ im Komponisten auslöste, wie Christoph Vratz es im Programmheft beschreibt. Sie ist Zeugnis einer Zeit der Ungewissheit, als er mit Friedrich Wieck vor Gericht zog, damit er dessen Tochter Clara heiraten konnte.

Johannes Brahms, ein wichtiger Freund des Ehepaars Schumann, wird mit fünf Liedern zu Gast sein in Konzert 4: „Wie Melodien zieht es mir“ erklingt da dann wohl sinnbildlich für das ganze Festival in der Kartause. Er wird am Montag mit seinen berühmten Liebesliederwalzern und seinen Klaviertrio Nr.1. auch den Kehraus machen in Ittingen.

Der Ort singt mit

Das Märchenidyll „Der Rose Pilgerfahrt“ für Solisten, Chor und Klavier kann wohl als das romantische Kammer-Oratorium bezeichnet werden. Da die Kartause Ittingen über einen wunderbaren Garten verfügt, wird es am Sonntagmittag im Konzert 5 ein Musikerlebnis mit allen Sinnen werden, wenn zusammen mit der Zürcher Sing-Akademie dem Komponisten zum Geburtstag gratuliert wird.

Wie schön, dass Isabelle Faust und ihr Team den Ort mit seinem Zauber mit einbezieht. So auch in der barocken Pracht der geistlichen Chorwerke von Heinrich Schütz, die am Sonntagabend im Konzert 6 zusammen mit Schumanns Chorwerken zu hören sein werden.

 

„Wenn mein Stuendlein vorhanden“ ist oder: Mit akkurater Schrift sich gegen die Krankheit stemmen. Eine der letzten Kompositionen Robert Schumanns in der Nervenheilanstalt Endenich.  Bild: Wikisource Commons

Musik weiterdenken, weiterfühlen

Robert Schumann starb 1856 geistig umnachtet in der Nervenheilanstalt Endenich bei Bonn. Er wurde nur 46 Jahre alt. Die Romantik, die als Rückzugsort für seelische Höhenflüge und Abgründe angesehen wird, konnte der neurologischen Erkrankung des Komponisten nichts mehr entgegensetzen, ebenso wenig wie die Medizin des 19. Jahrhunderts.

Sensibel und geschickt setzt Intendantin Faust die Komponisten der Moderne, diese Gratwanderer zwischen Licht und Schatten der menschlichen Seele ein, Schumanns Individualismus weiterzudenken. Arnold Schönberg 1874-1951 , der die Töne aus ihrem tonalen Korsett befreite und mutig die Romantik zu Ende dachte, wird im Konzert 1 mit seiner Fanasie op. 47 für Violine und Klavier zu hören sein, sowie Franz Schreker (1878-1934), dem wohl psychoanalytischsten aller Wiener Komponisten, mit „Der Wind“, einer Komposition für Klarinette, Horn, Violine, Violoncello und Klavier.

Auch Alban Berg (1881-1945) und Béla Bartók (1881-1945) in Konzert 2 werden wichtige Kontraste setzen. Geigerin Faust hat ein Händchen für diese Grenzgänger, was sie schon letztes Jahr bewies.

 

Befreite die Töne aus dem Dur-Moll-Korsett: Autograph Arnold Schönbergs. Bild: BR Klassik

Ein Pionier als zweiter roter Faden

Der Komponist Morton Feldman (1926-1987) war ein ebenso grosser Individualist, wie Schumann.  Und keiner, der sich einfach so schubladisieren liess. Schon gar nicht, wie man Musik aufzuschreiben hat. Das Enfant Terrible, das sich dem etablierten Konzertbetrieb entgegenstellte, in dem er unter anderen lange, lange, lange Klanggirlanden komponierte, war ein Pionier der grafischen Notation. Von der er sich aber auch ohne Wehmut wieder verabschiedete.

Seine (nicht so langen, aber schönen) Miniaturen bespielen am kommenden Wochenende in Ittingen die Zwischenräume zwischen Stimmen und Instrumenten, zwischen Harmonie und Geräusch, der grossen Klaviermusik Schumanns und Brahms‘ und baut eine Brücke zu Eliott Carters neoklassischen Epigrams, in Konzert 3 und wird mit „Voices and Cello“ auch durch die barocke Kirche geistern.

Das Fazit: Das Publikum kann sich auch dieses Jahr auf spannende Hörerlebnisse und ganz viel Kammermusikzauber in Ittingen freuen.

 

Revolution der Notenschrift: Morton Feldman und seine grafischen Partituren. Bild: University of Edinburgh

 

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