von Jürg Schoop (1934 - 2024), 16.04.2014
Zweimal Holz

Zu den Ausstellungen von Hans Bach im Bernerhaus Frauenfeld und zum Künstlerkollektiv CKÖ in der Kunsthalle Arbon: Ein Vergleich zwischen expressionistischer Moderne und Postmoderne lohnt sich, findet
Jürg Schoop
Sinn dieser Betrachtung ist nicht eine eingehende Würdigung dieser beiden Ausstellungen, sondern ein Blick darauf, was der Spannungsbogen dazwischen, ihre Gemeinsamkeit und noch mehr, Gegensätzlichkeit zur Sprache bringt. Der Besuch beider Ausstellungen am selben Tag, hie ein Vertreter der expressionistischen Moderne des 20. Jahrhunderts, und dort eine Intervention oder Installation eines Architekten-Kollektivs, das für die zeitgenössische, postmoderne Auffassung der bildhaften Kunst steht, ist sehr bereichernd und empfehlenswert.
KunstliebhaberInnen, die sich gerne mit ihrem eigenen Horizont auseinander setzen, auch vielleicht merkwürdig erscheinende Einflüsse zu integrieren versuchen, werden sich hier stark gefordert sehen. Die unmittelbar vergleichende Betrachtung der Ausstellungen kann eine wesentliche Hilfe und auch Belohnung dabei sein, den eigenen Standpunkt besser zu erkennen und vielleicht auch eine neue Offenheit wahrzunehmen.
Zuerst die Skepsis...
Ich kenne den Holzskulpteur Hans Bach und seine Frau Anita, die ihm zumeist Modell gestanden hat, dem Namen nach seit Jahrzehnten. Gesehen haben wir uns nicht oft, aber einem seiner Werke bin ich regelmässig bei einem befreundeten Sammler begegnet. Die in Holz gehauene Kauernde war unzweifelhaft seiner Frau Anita, nicht aus dem Gesicht, wie man so sagt, aber aus dem Körper geschnitten. Dass es sich um eine beachtliche Leistung handelte, daran hatte ich nie gezweifelt.Nur, als ich hörte, dass eine Fortsetzung von Bachs Frauenskulpturen sich im Bernerhaus niedergelassen hatte, machte sich bei mir vorerst etwas Skepsis breit. Fällt dem Mann denn anderes nichts mehr ein? Kann man ein Sujet nicht auch zu Tode schnitzen?
Haben die japanischen Tuschmaler nicht auch dasselbe getan, stets denselben Eisvogel, denselben Bambus gemalt? Vielleicht sehen wir die Unterschiede im Gefolge unserer fehlenden Kultur nicht, vielleicht haben wir keine Ahnung, worum es letztendlich geht, vielleicht ist eine Annahme, dass es sich um überflüssige Routine handelt, total falsch?
... dann die Bewunderung...
Jedenfalls wird alsbald klar, wenn man durch Bachs Ausstellung schlendert, dass hier keine Routine gepflegt wird, dass hier nichts zu Tode geschnitzt wird. Ein Stück weit wie die Japaner, das stets wiederkehrende Sujet der Frau – aber Bach hat die Visualisierung und Verlebendigung des Frauenkörpers in Holz in den letzten Jahren auf eine fast unglaublich differenzierte Stufe gehoben. Kunst ist Leben, hat einer gesagt, hier wird es wahr. Da ist absolut nichts stillgestanden, da ist noch die letzte erreichbare Faser heraus geschnitten und dargestellt worden.

Man spürt es immer wieder: Bach liebt nicht nur die Frauen und seine Modelle, er liebt auch das Holz, die Linde, die alte Eiche, die Eibe, den Nussbaum, sie alle geben Verschiedenes her. Und Bach kann das alles vereinen. Anita hier, Anita dort, - Bach wird nie langweilig, was etwas zu befürchten war. Er schreitet munter fort in
der beherrschten Aufladung und Differenzierung seines Materials. In einem eventuell unstatthaften Vergleich mit den japanischen Bambusmalern, um einmal in der Sportsprache zu reden, werden diese von Hans Bach um Längen geschlagen.
... versus 10 Kilometer Industrieholz...
Und jetzt: die Arboner Kunsthalle, die bei mir nach dem nicht nur von mir so empfundenen ausstellerischen Jubiläumsflop vom letzten Jahr ihre Vorschusslorbeeren erst wieder verdienen muss. Auch hier Holz, Holz und nochmals Holz. Aber keine ausgesuchte Linde, sondern 10 Kilometer Industrieholz, genannt Dachlatte, strukturiert mittels einer „Grid“ genannten Raumsprache die gesamte Halle bis zur Decke. Da spürt es auch der Unbegabteste: ein Vergleich mit einer andern, wie auch immer gearteten „Holzkunst“ ist nicht möglich. Wir müssen uns darauf einlassen, was die Experimentatoren, bestehend aus dem Team Georg Krummenacher, Daniel Lütolf - beide studierte Architekten - und der graduierten Designerin und Künstlerin Sara Widmer, uns nahebringen möchten. (Übrigens „bisch du vo Chrüüzlinge, wennt weisch, wär Sara isch“ - sie besuchte dort das Lehrerseminar.)
Faktisch ist es der Versuch, den Raum auszuloten, unsere Wahrnehmung des Raums zu erweitern. Klar: Wer hat schon die Kunsthalle von oben erlebt? Aber was wir sehen, ist nicht die Kunsthalle sondern den „Grid“. Es ergeben sich Zusammenhänge, über die nachzudenken sich lohnt. In konzeptioneller Hinsicht hatte das Team auch die Überoptimierung und -normierung, wie sie in unserer Gesellschaft herrscht, vor Auge. Tatsächlich sind die Wege, die durch diesen immensen „Grid“ führen, ziemlich vorgegeben. Von „Ausloten in allen Richtungen“ sehe ich nicht so viel, ausser man wünscht sich, ein Bein zu brechen.
... und Intervention im Nebel
Ein Gegensatz zur mangelnden Wärme, die ein Abkömmling unseres gesellschaftlichen Wahns bildet (die Konstruktion des „Grids“* lässt grüssen) findet sich im Keller unten, den man durch eine gut sichtbare Türe betritt. Beruhigende Dunkelheit und schwer zu durchschauende Nebelschwaden - musikalisch einfühlend untermalt - empfangen uns und leiten uns, auch mit Hilfe einer Lichtquelle auf Stegen zum „Grid“.

Währenddem kann man manch bisher nicht Bekanntes entdecken. In meiner persönlichen Interpretation steht der Keller für das Unbewusste, in dem wir aber auf die Dauer nicht verweilen können. Um zu überleben, müssen wir, hier symbolhaft, aufsteigen zum Ich und Über-Ich, das vom „Grid“ in einer Form zusammengefasst wird.
Austauschbar...
Eine interessante Intervention, die aber auch absolut austauschbar ist. Nebst Genussmöglichkeiten, wie sie auch neuere Künste gelegentlich bieten, interessieren doch auch die sozio-kulturellen Hintergründe der Gegenwartskunst. Gibt es überhaupt noch etwas, das dem Kunstwillen des vergangenen Jahrhunderts vergleichbar ist? Haben wir uns so weit entwickelt (nicht wertend gemeint), dass wir darauf verzichten können? Welcher Art ist das Neue? Ist es das in der Blüte stehende Narzisstische, das Spielerische, das beiläufig Kommentierende? Das Schlagzeilenmachende, das Beeindruckende (wie etwa der Rasteraufbau in der Kunsthalle)? Ist die Gegenwartskunst ein Aequivalent einer neuen Kultur oder eher ein Mehrwertprojekt des Kapitalismus? Neu und noch etwas ungewohnt für die Abkömmlinge des vergangenen Jahrhunderts ist auch das Marketing, wie es heute die Kunstwelt dominiert. Geht es wirklich noch um die Kunst an der art Basel oder an der Biennale? Geht es nicht vielmehr um Positionen, Rivalitäten, Einflüsse, Märkte, Kuratoren, Journalisten, Käufer, Sammler, Name-dropping – ganz einfach Geld? Der Kunstmarkt gleicht doch sehr der Kirche: viele hängen an den Ritualen, aber keiner glaubt mehr daran.
.... anregend, durchdacht und Teil der Kritik
Das junge Ausstellungsteam, erst seit einem oder zwei Jahren im Geschäft, sich wacker durchschlagend inklusive Auszeichnungen, hätte noch vor 20 Jahren keinen Ausstellungsort wie diese Kunsthalle gefunden, um sich zu präsentieren. Dafür musste man, auch in Arbon, mindestens zehn, wenn nicht lieber 15 Jahre als Künstler tätig gewesen sein. Nachfrage und Angebot und sonst kaum etwas sind jetzt überall die Regel. Was das Angebot ist, und wie es zustande kommt, scheint klar. Wie aber und mit wem funktioniert die Nachfrage? (Ich denke da auch an den Hafenkran an der Limmat.) Fragen, die genauso spannend sind wie kreative Äusserungen.
Das einzige, was mir an dieser anregenden, immerhin durchdachten Ausstellung nicht gefällt, ist, dass sie selbst Anteil an dem hat, was sie zu kritisieren vermeint, eine entpersonalisierte, kalt und reibungslos funktionierende (auch Kunst-) Gesellschaft.
***
- Hans Bach, Skulpturen, Holzschnitte
Kunstverein Frauenfeld, Bernerhaus, Bankplatz 5
13.April-11.Mai 2014
- Kollektiv CKÖ, Georg Krummenacher/Daniel Lütolf/Sara Widmer
Intervention Mango di Verni
Kunsthalle Arbon, Grabenstrasse 6
April-18.Mai 2014
***
*Mehr zum „Grid“ hier.

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