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von Inka Grabowsky, 13.03.2015

Zivilisationskritik beim KIK

Zivilisationskritik beim KIK
Zeitgleich "mit dem Dicken" die Kabarettkarriere begonnen: Urban Priol. | © Inka Grabowsky

Urban Priol lässt bei seinem Auftritt am KIK-Festival in Kreuzlingen kein gutes Haar an der Class Politique. In der ausverkauften Dreispitzhalle folgen rund 600 Besucher seiner Schimpftirade.

Inka Grabowsky

Wer hätte vor diesem Abend schon geahnt, wie schnell man aus „Bundeskanzlerin“ „Bankzinsenluder“ machen kann, wenn man nur die Buchstaben ordentlich durcheinanderschüttelt! Der 53-jährige Urban Priol hat sich wirklich alle Mühe gegeben, seine grundsätzliche Kritik an der deutschen und europäischen Politik, an der Digitalisierung des Alltags und an der Wirtschaft in beissende Worte zu giessen.

„Ich bin seit 32 Jahren im Job“ erzählt er. „Ich habe mit dem Dicken gemeinsam angefangen, Kabarett zu machen.“ „Der Dicke“ für Altkanzler Kohl ist noch eine geradezu neutrale Bezeichnung für einen Politiker. Andere müssen erheblich mehr ertragen. Der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt wird zum „mentalen Einzeller“, sein Chef Horst Seehofer zum „Alpen-Taliban“ und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist „die letzte Blendgranate im Munitionsdepot der Bundeswehr“.

Teilte bissig aus und schoss dabei nur manchmal übers Ziel: Urban Priol. (Bilder: Inka Grabowsky)

Von der Leyen scheint mit Kanzlerin Merkel die Lieblingsfeindin des Kabarettisten zu sein. Mit dem Spruch „Miss Management trifft auf Miss Erfolg“ trifft er beide gleichzeitig. Dabei räumt er ein, sich mit Angela Merkel arrangiert zu haben. „Wir sind nur nicht per du, weil ich davon überzeugt bin, dass Deutschland demnächst perdu ist.“

Social Freezing hat viel mit sozialer Kälte zu tun

Um Priol in jedem seiner Gedankengänge zu folgen, muss man ein aufmerksamer Beobachter der deutschen und der internationalen Politik sein. Nur selten unterlaufen ihm billige Gags, etwa wenn er den Teilchenbeschleuniger beim CERN deshalb als harmlos abqualifiziert, weil in der Schweiz ja alles unendlich langsam sei.

KIK-Festival 2015: So geht es weiter

Günter Gründwald, 14.3.; Christine Prayon, 20.3.

Für die Veranstaltungen des KIK 2015 sind Tickets im Vorverkauf erhältlich: Bei Starticket (print@home, Vorverkaufsstellen) und in der Geschäftsstelle von Kreuzlingen Tourismus an der Hauptstrasse 39, 071 672 38 40. (rom)


Gelegentlich schiesst er über das Ziel hinaus. Journalisten des Boulevard-Blattes „Bild“ als „Hetzbeauftragte“ zu bezeichnen, ist das eine. Dazu aufzufordern, ihnen „ein paar auf’s Maul“ zu verpassen, ist schwer erträglich. Man akzeptiert diese lustvolle Grenzüberschreitung, weil Priol zwischen den Provokationen Mechanismen des Politbetriebs entlarvt. Die Griechenland-Krise fasst er zusammen mit „Wie konnte die Griechen es wagen, so zu wählen wie die Nicht-Griechen es nicht wollten.“

„Die Welt ist aus den Fugen und kein Fliesenleger kann es richten“

Oft gebraucht Urban Priol die Verstärkung „Kein Witz“ – und man muss ihm recht geben: Mitunter ist die Realität skurriler als es ein Einfall eines Kabarettisten sein könnte: Wenn sich radikale Islamisten in Deutschland auf dem Amt gegen eine Schutzgebühr ihren extra Ausweis abholen sollen, so dass sie nicht mehr ausreisen können oder wenn neu angeschaffte Marine-Helikopter aus Sicherheitsgründen nicht über die Nord- und Ostsee fliegen dürfen. Auch die (real existierende) Schlagzeile „Schweizer Notenbank lässt Franken frei“ hat für einen Einwohner der Region Franken naturgemäss eine hübsche Doppelbedeutung.

Der Mann hat Geschmack: Autogrammstunde mit Tannenzäpfle.


„Mein Therapeut hat mir geraten, politisch kürzer zu treten. Ich regte mich immer zu sehr auf.“ Dieser Rat kann einfach nicht auf furchtbaren Boden fallen. Erst nach gut drei Stunden ist Priols Durst stärker als der Drang, an den bestehenden Verhältnissen zu rütteln.

 

***

Bisher erschienene Kritiken und Beiträge zum KIK 2015:

Alfred Dorfer - thurgaukultur.ch vom 11.03.2015
Oropax - thurgaukultur.ch vom 7.03.2015
Rolf Miller - thurgaukultur.ch vom 6.03.2015
Erwin Grosche - thurgaukultur.ch vom 1.03.2015
Joachim Rittmeyer - thurgaukultur.ch vom 8.02.2015
Christoph Sieber - thurgaukultur.ch vom 7.02.2015
Jochen Malmsheimer - thurgaukultur.ch vom 6.02.2015
Interview Rolf Miller - thurgaukultur.ch vom 15.01.2015
Vorschau mit Micky Altdorf - thurgaukultur.ch vom 29.11.2014

kik-kreuzlingen.ch

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