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von Manuela Ziegler, 28.09.2014

Kunst die ganze Nacht

Kunst die ganze Nacht
Tatort Schänzle-Brücke: Temporäres Kunstwerk von Graffiti-Künstlern. | © Manuela Ziegler

Die 12. gemeinsame Kunstnacht Konstanz-Kreuzlingen bot neben dem klassischen Museumsangebot viel Kunst in Aktion. Insbesondere die Arbeiten im öffentlichen Raum zogen viele Besucher an.

Manuela Ziegler

Das sei für sie eine Premiere, so Muda Mathis von der Schweizer Frauenband „Les Reines Prochaines“ zu ihrer Spielstätte auf den Treppen des Kreuzlinger Stadthauses. So experimentell der Auftrittsort an der Hauptstrasse war, so anziehend wirkte er auf die Besucher der Kunstnacht.

Die blitzartig angekündigten Konzerte, wie auch sonst die Kunst-in-Aktion-Projekte beider Städte, waren die Publikumsmagneten des Abends. 18 Museen und Galerien zeigten das vielfältige Spektrum von der Malerei bis hin zur Klanginstallation.

Ungewöhnliche Bühne: "Les Reines Prochaines" auf den Treppen vor dem Stadthaus Kreuzlingen. (Bilder: Manuela Ziegler)

Boulevard als Kunstmeile

Der Kreuzlinger Boulevard zwischen Löwen- und Helvetiaplatz wurde für einmal zum „Boulev’Art“, wo eigens für die Kunstnacht konzipierte Projekte junger Schweizer Künstler zum Thema „Carneval des Animaux“ gezeigt wurden. Im einstigen Modehaus Trösch, inzwischen als Raum für Begegnungen geöffnet, bot Dylan Spencer-Davidson Lecture-Performance vom Feinsten. Sein Sprechgesang kreiste um die vermeintlich einfache Frage „Are humans animals“? „Er spricht ein hervorragendes Englisch und Schwyzerdütsch“, freute sich eine pensionierte Kreuzlinger Lehrerin, die im Anschluss an die Performance einige Worte mit dem Künstler wechselte. Eigentlich zöge sie den Museumsbesuch vor, doch das spätsommerliche Wetter lockte, und sie zieht neugierig weiter.

Schiesser-Gebäude: Meeresgetier aus Floridas Gewässern.

Insgesamt sieben Arbeiten auch internationaler Künster „spielten“ auf dem Boulevard. Eine grossformatige Videoprojektion auf dem Schiesser-Gebäude zeigten Borsch Corp., ein Filmkollektiv aus Miami. Im Film „Natural Historr Redux“ begegnete der Betrachter unbekannten Lebewesen mit einer unglaublichen Formen und Farbvielfalt in den Korallenriffen Miamis.

Manches der Filmprojekt war leider im Stadtraum sehr schwer auszumachen, doch die Idee ruft nach Fortsetzung. Das fanden auch die deutschen Nachbarn, die häufiger gesehen wurden, als Schweizer drüben. Beliebte Orte waren Kunstraum&Tiefparterre.

Im Fokus: Brennende Alltagsfragen

Der Kunstraum mutierte mit der multimedialen Inszenierung „Archive of Various Views“ zur Beobachtungsstation. Auf zwölf Beamern konnten die Besucher zeitgleich mitverfolgen, wo auf der Welt eine Nachrichtenagentur neue Bilder hochlädt.

Der Schweizer Künstler Stefan Baltensperger vernetzte mit seinem eigens kreierten Programm die Nachrichtenagenturen, eine rechnerische Höchstleistung. Sie zeigt ein kleinteiliges hyprides Gesamtbild unserer von Massenmedien durchdrungenen, globalisierten Welt – und fragt automatisch nach dem Standort des Einzelnen.

„Trash runs everything around me“

Brennende, gesellschaftliche Fragen treiben seit ihren Anfängen auch die Graffiti-Szene um. „Trash runs everything around me“, titelte die Spraykunst, unter der Schänzlebrücke am Winterersteig. Schon den Tag über konnte man dort den international renommierten Graffiti-Künstler Emin Hasirci und rund zehn überregional bekannte Kollegen bei der Arbeit zu einem Gesamtkunstwerk beobachten und befragen.

Unter der Konstanzer Schänzlebrücke faszinierte die Graffiti-Kunst.

Vor allem die 20- bis 30-Jährigen, die man sonst in den Galerien und Museen der Stadt weniger antraf, bewegten sich auf dem urbanen Gelände wie zuhause. Was einst als Schmiererei verpönt und verboten war, ist inzwischen als temporäres Kunstwerk salonfähig geworden und wird vom Kulturbüro Konstanz mitfinanziert.

Chancen zum Dialog

Drei Frauen mittleren Alters bedauerten später im Neuwerk-Innenhof diese lebhafte Stimmung gar nicht mitbekommen zu haben. Der Shuttle-Bus sei zu langsam, mehr Busse müssten her. Die meisten Besucher zogen daher das Velo vor. Lob gabs für das vielfältige Angebot der Museen und Galerien. „Doch leider ist vor allem das saturierte Kunst-Publikum unterwegs“, so eine der drei. Erfahrungsgemäss machte sich der Nicht-Museumsbesucher selten bemerkbar, so Kurator Richard Tisserand vom Kunstraum über das Veranstaltungsziel die „Schwellenangst“ zu nehmen.

In der Tat parkten vor der Galerei Grashey in der Konstanzer Schützenstrasse zeitweise rund ein Dutzend Fahrräder studentischer Besitzer. Hier gab die niederländische Malerin Brigitta ten Berge gerne Auskunft über das Entstehen ihrer imaginieren Landschaftsbilder wie auch ihr Künstlerpartner Thomas Akum.

Magische Projektionen

Auch der aus dem Allgäu stammende Ulrich Vogl stand in der Neuwerk Kunsthalle Red und Antwort anlässlich seiner Ausstellung „Faro“, die als einzige an diesem Abend in Konstanz Vernissage hatte. Seine Installationen und Skulpturen verzaubern und entzaubern gleichermassen.

Magisch wirkt die Projektion eines städtischen Lichtermeers in der Nacht – und entpuppt sich bei genauem Betrachten als Illusion. In die rund ein Dutzend Diaprojektoren hatte Vogl jeweils speziell geritzte Alufolie eingespannt. Es gehe ihm darum, mit einfachen, alltäglichen Hilfsmitteln neue Bildwelten zu schaffen, so der in Berlin lebende Künstler.

Erste positive Bilanz

Im Strassenbild der Konstanzer Innenstadt war die Kunstnacht nicht spürbar, reger Betrieb herrschte vor allem im Kulturzentrum-Wessenberg, das mit den Fotoarbeiten von Simone Kappeler und den Berliner Impressionisten Kunst zum Schwelgen zeigte. Richard Tisserand war mit der Besucherresonanz zufrieden, der Besucherzahlen lagen auf Vorjahresniveau.


Seitens der Konstanzer Veranstalter zeigte man sich von der Kunstnacht insgesamt angetan. „Prima besucht, Besucher waren zufrieden“, so das erste Fazit von Marie Lacher-Rapp. Die Bemühungen beider Städte, neu sowohl den öffentlichem Raum als Bühne miteinzubeziehen, wie auch mit Kurzfilmen die Verbindungen zu den Filmfestspielen in Winterthur und dem Konstanzer Zebra Kino zu schaffen, zeitigt einem „offenen“ Kunst-Verständnis, was der Veranstaltung sicher förderlich ist.

 

www.kunstnacht.de

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