von Brigitta Hochuli, 02.12.2014
Weggemobbt und auferstanden

Aus Aadorf vor 15 Jahren weggemobbt und abgewählt, steht Jürg Altherrs ursprünglich liegende Stahlskulptur nun aufrecht vor dem Zeughaus in Teufen. Gute Kunst setze sich durch, sagt Markus Landert, Direktor des Kunstmuseums Thurgau.
Brigitta Hochuli
Die namenlose Stahlplastik des Zürcher Bildhauers Jürg Altherr wurde mit einem Sarg verglichen - fünf Tonnen schwer, 6,5 Meter lang, 2 Meter breit und 1,4 Meter hoch lag sie vor dem Aadorfer Dorfzentrum. „Ein Meteorit, der hier eingeschlagen ist“, sagte Gemeindeammann Bruno Lüscher der Thurgauer Zeitung. „Ein grosses Fragezeichen“, sagte Markus Landert, Direktor des Kunstmuseums Thurgau, der in der Jury gesessen hatte. Das war im Frühling des Jahres 1999.
Im Herbst wählten die Stimmbürger das Kunstwerk ab. Bei einer für Aadorf hohen Stimmbeteiligung von 56 Prozent entschieden 1445 oder 60 Prozent der Stimmenden, der Corpus und der dazugehörige Lichtkreis müssten weg. Die Befürworter der Skulptur unter Führung des damaligen Präsidenten der Kulturstiftung des Kantons Thurgau, Humbert Entress, hatten mit 982 Ja-Stimmen das Nachsehen. Der Abbau kostete 24‘000 Franken, 230‘000 Franken Steuergeld mussten gemäss NZZ abgeschrieben werden, und die schweizweit erste Volksabstimmung über Kunst erregte grosses Aufsehen. Altherr kaufte sein Werk zurück.
Auferstanden ohne Nachgeschmack
Nun ist es in der Ostschweiz auferstanden, und zwar im doppelten Sinn. Die Skulptur ist seit zwei Wochen in aufrechter Position vor dem Zeughaus in Teufen zu sehen. Das freut nicht nur den Thurgauer Kurator Ueli Vogt. „Das Schöne ist, bei Jürg Altherr ist kein Nachgeschmack geblieben, sondern grosse Entspannung. Der grosse Schlitz, so nennt er sein Werk heute, steht für sich, ohne Geschichte.“ Im Nachhinein sei das Mobbing in Aadorf für den Künstler gut gewesen. „Vielleicht wäre diese Figur in Aadorf liegend einfach kraftlos erschlafft und vergessen gegangen. So steht sie nun kraftvoll aufrecht in der Welt und bedarf keiner Vergangenheit.“
Das freut auch Humbert Entress, obwohl er etwas Wehmut nicht verhehlt: „Einerseits bin ich begeistert, wie stark und schön der ,Sarg‘, wie ihn das gegnerische Komitee damals nannte, wirkt.“ Andererseits tue es auch ein bisschen weh, „dass wir es nicht geschafft haben, die beiden Werke in Aadorf zu halten.“
Freude herrscht auch bei Markus Landert. Das Beispiel zeige, dass solche Niederlagen durchaus auch zu ganz neuen und spannenden Prozessen führen könnten. Jürg Altherrs "Klotz" sei ja schon an ganz verschiedenen Orten gezeigt worden, eine gewisse Zeit auch hinter dem Kunstmuseum. „Dass der Koloss jetzt wieder einen - wohl temporären - Standort an einem Kulturort gefunden hat, freut mich natürlich. Gute Kunst setzt sich durch. Manchmal auf unerwartete Art und Weise.“
Der Rat eines Freundes
15 Jahre sind seit der Abwahl des Meteoriten vergangen. Zuerst habe die Skulptur kurz vor dem Büro von Humbert Entress gelegen, direkt vis-à-vis des Hauses des Hauptgegners, berichtet der Künstler. Danach sei sie ins Gaswerk Schlieren, auf den Skulpturenplatz der Arbeitsgemeinschaft Zürcher Bildhauer (AZB) gekommen. Daneben sei eine geschmiedete Dreitonnen-Stahlskulptur von Heinz Niederer, dem Gründer der AZB, gestanden. Niederer wie Altherr sind ursprünglich Appenzeller. Beide hätten sie die Positionen ihrer Skulpturen auf Rat eines Freundes und zum Vorteil beider Werke geändert. Die beiden Arbeiten seien dann an der "Skulptura Glarus 2004" - „H.N. liegend, J.A. stehend“ - zu sehen gewesen.
Illegal in Zürich
Nach Glarus ging der "Schlitz" nach Baden an den "Kulturweg Baden-Wettingen-Neuenhof" und dann - illegal! - vor das Kunsthaus Zürich. Altherr hatte sich über ein verspiegeltes WC vor dem Kunsthaus massiv geärgert - „ein aufgeblasener Studentenscherz“ aus seiner Sicht. Als diese „Episode“ beendet war, fand das Werk zurück auf den Turmplatz im Gaswerk.
Der Glücksfall
Die letzten anderthalb Jahre stand der „Schlitz“ beim Stadthaus Schlieren, im Rahmen von "Skulptur in Schlieren 2013/15" - als Nachbar der "Liegenden" von Heinz Niederer. "Skulptur in Schlieren" (S.i.S.) sei eine Aktion der AZB in Zusammenarbeit mit und unterstützt von der Stadt Schlieren. Die AZB stelle an städtebaulich schwierigen Orten für ein bis zwei Jahre Skulpuren ihrer Mitglieder auf, an Orten, für die keine Dauer-Erlaubnis zu erhalten sei.
„Sie sehen“, sagt Jürg Altherr, „die Ablehnung meiner Arbeit in Aadorf war eigentlich ein Glücksfall, kein Grund zum Gram!"
![]() |
Überlagerte SchwingungenWeitere - auch ganz neue - Werke Altherrs sind zusammen mit Fotografien seiner Frau Thea Altherr aus der Gotthardgegend bis nächsten Frühling im Zeughausinnern zu sehen. Dort schüfen sie eine interessante Verbindung zu den Exponaten des Grubenmannmuseums und zu jenen zum Thema Brücke, sagt Kurator Ueli Vogt. Mehr zu Altherrs Biografie lesen Sie bitte hier. (ho/Bild: Ueli Vogt) * Wechselausstellung «ÜBERLAGERTE SCHWINGUNGEN» (03.12.2014 bis April 2015): Jürg und Thea Altherr, Skulpturen und Fotografien; die Vernissageansprache von Ueli Vogt am 30. November lesen Sie hier. |
![]() |
Ueli VogtUeli Vogt ist seit Herbst 2010 Kurator des Zeughauses in Teufen. Seine Thurgauer Prägung nutzt der gelernte Landschaftsgärtner für seinen Blick auf rätselhafte Widersrpüche aller Art. Mehr dazu im Interview hier. (ho/Bild: Erich Gmünder, „Tüüfner Poscht. Die Teufner Dorfzeitung“) |

Weitere Beiträge von Brigitta Hochuli
- Kultur für Familien: Was im Thurgau noch fehlt (06.09.2018)
- Rätsel gelöst: So alt ist der Kunstraum Kreuzlingen (29.06.2018)
- Musikschule Kreuzlingen sucht Verbündete (14.06.2018)
- Kult-X in WM-Stimmung: Das etwas andere Public Viewing (29.05.2018)
- Unterm Sternenhimmel (13.05.2018)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kunst
Kommt vor in diesen Interessen
- Bildende Kunst
Ähnliche Beiträge
Das Auto und wir
Das Kollektiv GAFFA verwandelt die Kunsthalle Arbon noch bis 11. Mai in eine unwirkliche Parkgarage. arttv.ch gibt einen Einblick in die Ausstellung mehr
Auf Tuchfühlung mit Dietrich, Dix und Heckel
Hans Süss, einst Zeichenlehrer am früheren Landerziehungsheim Glarisegg bei Steckborn, erinnert sich an seine ungewöhnlichen Begegnungen mit den Malergrössen. mehr
Das Parkhaus als Zwischenzone
Das Ostschweizer Kollektiv GAFFA spielt in der Kunsthalle Arbon mit Materialität und Dimensionen. mehr