von Brigitta Hochuli, 26.04.2011
„Bücher sind keine Hörnli“

Die Wiederaufhebung der im März beschlossenen Buchpreisbindung wäre schlecht für den Markt, sagt der Thurgauer Branchenkenner Alex Aepli.
Brigitta Hochuli
Zurzeit werden fleissig Unterschriften für das Referendum gegen die Buchpreisbindung gesammelt. Die Weinfelderin Brenda Mäder, Präsidentin der Jungfreisinnigen Schweiz, ist Co-Präsidentin des Referendumskomitees. Sie ist zuversichtlich, dass es zustande kommt. Marianne Sax, Frauenfelderin und Präsidentin des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbandes (SBVV) wartet mit einer Stellungnahme zur Unterschriftensammlung noch ab. Der Amriswiler Alex Aepli war 40 Jahre lang im Buchhandel und im Verlagsgeschäft tätig, zuletzt als Geschäftsführer der Orell Füssli Verlage AG. Ende Dezember 2010 wurde er pensioniert und vertritt so im Interview seine unabhängige Sicht auf den Buchpreis.
***
Herr Aepli, zwei Frauen aus dem Thurgau führen die Diskussion über die Buchpreisbindung an. Ist das Zufall oder fällt das Thema Buch in unserem Kanton auf besonders fruchtbaren Boden? Nicht zuletzt wird ja auch im Blog von thurgaukultur.ch intensiv und auf hohem Niveau argumentiert.
Alex Aepli: Dass der Thurgau besonders buchfreundlich ist, glaube ich nicht unbedingt. Zu Marianne Sax kann ich sagen, dass sie neben ihren Qualifikationen die Wunschkandidatin für das Präsidium des SBVV war, weil mindestens 80 Prozent der Akteure in dieser Branche Frauen sind.
Marianne Sax führt eine Buchhandlung in Frauenfeld, wo Sie ja auch wohnen. Kaufen Sie Ihre Bücher bei ihr ein?
Alex Aepli: Ja, ich bin ein langjähriger Kunde mit einem etwas abstrusen Geschmack.
Was heisst abstrus?
Alex Aepli: Zum Beispiel schätze ich die französische Literatur. Diese muss mir Marianne Sax dann natürlich bestellen.
Kennen Sie auch Brenda Mäder?
Alex Aepli: Nein. Obwohl ich im Thurgau immer noch FDP-Mitgliederbeiträge zahle, kenne ich sie nicht.
Kommen wir auf die Buchpreisbindung zu sprechen. Was passiert eigentlich mit den Preisen genau? Inwiefern sind die Verleger für den Ladenpreis verantwortlich?
Alex Aepli: In der Schweiz bietet ein Verlag dem Buchhändler seine Produktion zurzeit zu einem unverbindlichen Richtpreis und mit einem Rabatt an. Danach ist der Händler frei in der Preisgestaltung. Mit der vom Parlament beschlossenen Buchpreisbindung legt aber der Verlag künftig wieder den Ladenpreis fest.
Was ist Ihrer Meinung nach besser?
Alex Aepli: Nehmen wir ein Beispiel: In England fiel der feste Ladenpreis vor 15 Jahren. Die Konsequenz war, dass wenige gängige Titel wie etwa letzten September die Biografie von Tony Blair extrem viel billiger wurden. Entlegene Titel wurden aber teurer. Durch die Preisfreigabe wird der Markt kaputt gemacht. Als ich bei Sauerländer war, brachten wir englische Kinder- und Jugendbücher auf Deutsch heraus. Keiner dieser Titel war so interessant, dass er in England unter dem Ladenpreis hätte verkauft werden können. Eine bekannte Ausnahme ist da nur Harry Potter.
Sie sind ein Kenner von Frankreich. Wie wird es dort gehandhabt?
Alex Aepli: Frankreich macht es besser. Dort gibt es einen prix de référence, der eine Abweichung von 5 Prozent nach oben oder nach unten zulässt.
Die Gegner der Preisbindung in der Schweiz sprechen von kartellartigen Zuständen. Sehen Sie das auch so?
Alex Aepli: Das ist so. Aber Bücher sind keine Hörnli. Ausserdem gibt es etwa in der Pharmabranche Kartelle, gegen die niemand aufbegehrt. Verleger und Buchhändler hingegen seien geldgierig, heisst es. Das Gegenteil ist der Fall. Frau Mäder würde sich also gescheiter mit der Pharmaindustrie anlegen.
Werfen wir noch einen Blick zurück. Sie waren während 40 Jahren in der Branche tätig. Wie hat sie sich in dieser langen Zeit verändert?
Alex Aepli: In den ersten 30 Jahren war der Buchhandel ziemlich statisch. Man kaufte ein Buch in der Buchhandlung und fertig. In den letzten zehn Jahren haben sich die Distributionswege aber wegen des Internets mit einer grossen Dynamik sehr rasch geändert.
Bedauern Sie das?
Alex Aepli: Ich weine nicht über eine Entwicklung, die ich nicht aufhalten kann. Aber ich selber bleibe beim Papier, weil ich daran gewöhnt bin. Ich glaube auch, dass das gedruckte Buch und der stationäre Buchhandel noch lange Bestand haben werden und die elektronische Form komplementär dazu eine Rolle spielen wird.
So gesehen spielt aber auch die Preisgestaltung nur noch eine marginale Rolle. Die Buchpreisbindung habe nicht einmal die Bedeutung eines Strohhalms, sondern sei gerade noch eine Metapher für die Selbsttäuschung einer Branche, schreibt der Kulturpublizist Alex Bänninger im Blog. Pflichten Sie ihm bei?
Alex Aepli: Wenn man wiederum mit der Pharmabranche vergleicht, gebe ich ihm von der Dimension her absolut Recht.
Aber wie steht es dann um die Unabhängigkeit der Verlegerei?
Alex Aepli: Das wird mit oder ohne Preisbindung in der Zukunft schwieriger. Ohne Preisbindung wird aber vorallem der Konkurrenzdruck unter den Verlegern grösser. Und ist der Verleger unter Druck, wird es mit dem Publizieren von entlegenen Titeln schwierig.
Deregulierung verteuere jenseits vom Mainstream die Bücher, meint auch der Lengwiler Libelle-Verleger Ekkehard Faude. Das sei aber nicht neu. Die Zukunft werde ohnehin über die Weiterentwicklung digitaler Geräte entschieden.
Alex Aepli: Neuerdings kann man ja im Netz auch selbst geschriebene Bücher anbieten. Es gibt sogar Leute, die sagen, es brauche deshalb gar keine Verlage mehr. Aber das ist eine Täuschung. Denn Verlage haben Marketing-Abteilungen, die dem Buch zum Erfolg verhelfen sollen. Das kann ein Autor in der Regel alleine gar nicht leisten. Nicht zuletzt will er ja auch Geld verdienen.
*****
Alex Aepli
Alex Aepli, Jahrgang 1946, hat ursprünglich bei Fehr in St. Gallen Buchändler gelernt. Danach war er nacheinander beim Manesse Verlag in Zürich, bei Orell Füssli in Zürich, bei Sauerländer in Aarau, beim Unionsverlag in Zürich, bei hier +jetzt in Baden und zuletzt Geschäftsführer der Orell Füssli Verlage AG und Mitglied der Konzernleitung. Aepli ist zwar wie Brenda Mäder FDP-Mitglied, sein gesellschaftliches Netz pflegt er aber in den Bereichen Buch, Dressurreiten und Militär. Er ist zudem ein grosser Liebhaber und Kenner der französischen Literatur und Frankreichs. (ho)
***
Hin und her
Die Buchpreisbindung für die Deutschschweiz war im März 2007 aufgehoben worden. Damals folgte das Bundesgericht einem Entscheid der Wettbewerbskommission. Ein Ausnahmegesuch der Buchhändler lehnte der Bundesrat wenige Monate später ab.
Im März dieses Jahres haben National- und Ständerat einem Gesetz zur Regulierung der Buchpreisbindung zugestimmt. Damit könnte die Buchpreisbindung vorbehältlich des angekündigten Referendums am 1. Januar 2012 wieder in Kraft treten. (red.)
*****
P.S.
Unmittelbar vor Ostern startete der Onlinebuchhändler Amazon einen deutschen Kindle-Shop und bietet nun nach eigenen Angaben die grösste Auswahl an E-Books in ganz Deutschland. Der Shop umfasst insgesamt über 650’000 Titel, darunter mehr als 25’000 deutschsprachige Bücher und Tausende deutscher Klassiker, die für den E-Reader Kindle gratis zum Download verfügbar sind. Amazon gab auch bekannt, dass erstmals deutschsprachige Kindle-Lese-Apps gratis für iPad, iPod touch, iPhone, PC, Mac
sowie android-basierte Endgeräte erhältlich sind. (Klein Report)

Weitere Beiträge von Brigitta Hochuli
- Kultur für Familien: Was im Thurgau noch fehlt (06.09.2018)
- Rätsel gelöst: So alt ist der Kunstraum Kreuzlingen (29.06.2018)
- Musikschule Kreuzlingen sucht Verbündete (14.06.2018)
- Kult-X in WM-Stimmung: Das etwas andere Public Viewing (29.05.2018)
- Unterm Sternenhimmel (13.05.2018)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Literatur
- Kulturpolitik
Kommt vor in diesen Interessen
- Interview
Ähnliche Beiträge
„Ohne die Kulturszene geht es nicht.“
Wie viel Nähe braucht Kulturpolitik zu den Kulturschaffenden? Und muss Kulturförderung auf dem Land anders agieren als in der Stadt? Teil 2 unseres Interviews mit dem designierten Pro-Helvetia-Direktor Michael Kinzer. mehr
„Wir müssen wieder lernen, Widerspruch zuzulassen.“
Demokratie und Gesellschaft stehen unter Hochspannung. Wer könnte das besser analysieren als ein Krimi-Autor? Ein Gespräch mit Matthias Moor über Spannung in Literatur und Leben. mehr
„Der Thurgauer ist kein Meister der Streitkultur!“
Diskretion als Erfolgsrezept: Hans Jörg Höhener, Präsident der kantonalen Kulturkommission, erklärt im Interview, wie sein Gremium Einfluss nimmt auf die Kulturpolitik im Kanton. mehr