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Weisser Tempel am langen Fluss

Weisser Tempel am langen Fluss
Idyllisch gelegen: So sieht das neue Veranstaltungshaus "Bodenseeforum" von Konstanz aus. Nach zwei Umbaujahren wird das Gebäude am 21. Oktober 2016 mit einem Bürgerfest eröffnet. | © Michael Lünstroth

Innerhalb von zwei Jahren wurde aus einem Industriebau ein Veranstaltungshaus: Am Freitag, 21. Oktober, eröffnet die Nachbarstadt Konstanz ihr lang ersehntes Bodenseeforum. Ob es all die grossen Erwartungen erfüllen kann, steht noch in den Sternen.

Von Michael Lünstroth

Man muss die neue Rheinbrücke in der deutschen Grenzstadt Konstanz nur bis zu ihrem nördlichen Ende ablaufen. Dann sieht man es ziemlich genau. Und man wundert sich, dass es einem nicht schon früher aufgefallen ist. Die Stadtsilhouette verändert sich von hier aus gesehen. Ganz links aussen liegt die Moschee der hiesigen muslimischen Gemeinde, ganz rechts liegt das Münster, das Wahrzeichen der Stadt und mittendrin ein Gebäude, das nicht neu ist, aber doch ganz neu erscheint - das Veranstaltungshaus "Bodenseeforum".

Kein neues Gottes Haus, aber doch geht es auch hier viel um Glauben, Hoffnung und Zuversicht. Und das Vertrauen darauf, dass es schon gut gehen wird mit diesem Millionen-Projekt im am schnellsten wachsenden Stadtteil der Gemeinde. Und tatsächlich: Schaut man von der neuen Rheinbrücke auf dieses strahlend weisse Gebäude, direkt am Seerheinufer gelegen mit Garantie auf gelegentliche, romantische Sonnenuntergänge im Westen, dann hat das durchaus etwas Tempelhaftes.

Ursprünglich gebaut, um den schnöden Mammon zu vermehren, soll es nun mehr werden als das - eine Stätte der Begegnung, der Tagungen, der Menschen und der Kultur. In den grössten Saal passen maximal 1200 Zuschauer. Mehr als zwei Jahre lang dauerte der Umbau von einem Industriebau in ein Tagungs- und Veranstaltungshaus. Die Solarfirma Centrotherm hatte sich den architektonischen Hingucker einst geleistet und dann nie wirklich in Betrieb genommen. Die Branche war zu wacklig, die Geschäfte zu dürftig, also stiess man zunächst das wieder ab, was doch als kraftvolles Signal in die Zukunft gedacht war - den Prachtbau in der (damals sah man das wirklich so) heimlichen Solarhauptstadt der Republik.

Die Stadt Konstanz und Industrie- und Handelskammer (IHK) übernahmen. Gemeinsam legten sie 27 Millionen Euro für Gebäude und Umbau auf den Tisch. Bis zuletzt wurde daran gewerkelt und geschraubt. Nicht überliefert ist bis heute, dass irgendwelche Schamanen oder Geisteraustreiber das Haus je betreten hätten. Dabei wäre das vielleicht keine schlechte Idee gewesen. Vor dem Einzug noch mal ordentlich durchzulüften und die Pleite-Geister der Vergangenheit zu vertreiben. Aber Uli Burchardt, Oberbürgermeister der Stadt Konstanz, ist zu sehr ein Mann des Hier und Jetzt als dass er sich für derlei Spuk interessierte. 

Wird es ein Meilen- oder ein Stolperstein für den OB?

Mit grossem Brimborium wird nun am 21. Oktober die Eröffnung der gefeiert. Erst mit einem Bürgerabend am Freitag, dann mit einem Tag der offenen Tür am Sonntag. Sämtliche Veranstaltungen stets davon begleitet, dass alles gut gehen möge und nicht doch noch böse Geister dazwischen funken, wenn, so die Lesart im Konstanzer Rathaus, ein neuer Meilenstein der Stadtgeschichte platziert wird. 

Zwischen Moschee (ganz links aussen) und Münster (rechts aussen): Das neue Veranstaltungshaus "Bodenseeforum" soll ein neuer Meilenstein der Konstanzer Stadtgeschichte werden. Ob es das wirklich werden kann, steht derzeit noch in den Sternen. Bild: Michael Lünstroth

 

Tatsächlich, und das verdient durchaus Respekt, ist der Coup mit dem Bodenseeforum wohl vor allem der Entschlossenheit des Konstanzer Oberbürgermeisters Uli Burchardt zu verdanken. Der CDU-Mann sah die Chance, packte zu und liess nicht wieder los. "Es ist auf Jahre gesehen, die grösste und schnellste Chance, ein solches Veranstaltungshaus zu realisieren", warb er monatelang in politischen Gremien und auf allen Bühnen, die sich ihm boten. Burchardt liess auch nicht locker als der Rückhalt für das Projekt im Gemeinderat - nach der ersten Euphorie - bröckelte. Dass er dabei die Planungsberatungen zunehemend und weitgehend in den nicht-öffentlichen Bereich der Kommunalpolitik verschob, gehört zu den weniger rühmlichen Episoden der Vorgeschichte dieses Gebäudes.

Nun steht das Haus, der Umbau ist abgeschlossen. Wird der Ort all den Erwartungen gerecht werden können? Seriös lässt sich das jetzt kaum beantworten. Zweifel und Bedenken gibt es allerdings schon jetzt. Vor allem bei der Finanzierung. Wird sich der Betrieb irgendwann selber tragen? Die Stadt sagt ja und rechnet ab 2019 mit einer schwarzen Null. Klar ist aber natürlich längst auch - die Betriebskosten, die in das neue Haus fliessen, werden an anderer Stelle fehlen. Zur Veranschaulichung - allein die Personalkosten (9,5 Stellen sind vorgesehen) für das Jahr 2017 schätzte die Verwaltung im Juni 2016 auf 601 000 Euro.

Die Verteilungskämpfe werden wieder härter

Am ehesten merken werden den neuen Konkurrenzkampf die stolzen Kulturbetriebe der Stadt. Ihr Kampf ums Budget wird härter werden und am Ende werden sie mutmasslich nicht das bekommen, was sie sich wünschen und sehr wahrscheinlich auch verdienen. Denn auich in Konstanz gilt - man kann jeden Euro nur einmal ausgeben. Auch die freie Kulturszene, angeblich die dritte Säule des Konstanzer Kulturlebens, wird weiter auf Erhöhung ihrer Mittel warten müssen.

Wer weitere Bedenken hören will, muss nur ein paar hundert Meter vom Bodenseeforum Richtung Industriegebiet laufen. Hier sitzen verteilt auf den Stadtteil die Wächter der Nachtszene. Die Herren der Clubs, Kneipen und Veranstaltungshallen. Sie waren auf Anfrage alle gleichermassen überrascht, als sie merkten, dass mehr und mehr Parties von ihnen weg ins Bodenseeforum abwanderten. "Wenn die Stadt uns privaten Veranstaltern hier mit von Steuergeldern subventionierten Mieten Konkurrenz macht, dann finde ich das schon bemerkenswert", sagt einer der das Nachtleben der Stadt lange kennt und trotzdem seinen Namen hier nicht lesen will. Zweifel gibt es auch, ob die Stadt sich selbst so scharf kontrollieren wird in Sachen Ruhestörung nach der Sperrzeit, wie es bei privaten Veranstaltern oft geht. "Ungleichbehandlung" ist das Wort, das dann schnell die Runde macht. 

Das Programm bisher? Langweilig bis bieder

Massgeblich für den Erfolg des Hauses wird das Programm sein. Auch wenn die kulturellen Veranstaltungen im Bodenseeforum nur einen Teil der Buchungen ausmachen, so prägen sie doch sehr stark das Image des Hauses. Bislang ist das vor allem biedere Hausmannskost. Nichts, was man nicht auch in der Stadthalle Singen hätte sehen können. Allerlei Tourneebetrieb, langweilige Massenware, echte Perlen wie die Konzerte von Moop Mama oder Götz Alsmann muss man jedenfalls lange suchen. So wird das Haus kein eigenes Profil bekommen. 

Was bedeutet das alles für uns im Thurgau? 

Das Bodenseeforum wird ein weiteres Veranstaltungshaus an unserer Grenze sein. Und natürlich werden wir es schon aus reiner Neugier mal besuchen. Ob dauerhaft mehr daraus wird? Unter den gegebenen Bedingungen wohl kaum. Warum sollte man bei nahezu identischem Programm auch in Konstanz im Stau stehen, wenn man in Singen schon längst in der Stadthalle sitzen kann?

 

KOMMENTAR *

Gerd J. Mörsch • vor 5 Monaten
Das neue Kultur- und Tagungshaus ist nicht nur eine neue Konkurrenz für die ökonomische Szene von freien Veranstaltern, sondern auch für das weiter betriebene Kultur- und Tagungshaus Konzil, im Parallelbetrieb unter städtischer Vermarktung, welches noch vor ein paar Jahren aufwendig mit mehreren Millionen ausgebaut und saniert wurde. Auch diese Kosten müssen in den Gesamtkosten der Tagungs- und Kulturszene der Stadt berücksichtigt werden.
Wie auch andere defiziere Objekte, welche Erfahrungen mit öffentlichen Projekten in Erinnerung rufen, wurde die Katamaran-Verbindung zwischen Konstanz und Friedrichshafen, trotz einem Bürgervotum von 78% gegen die Verbindung, 2001 auf Stadtratsbeschluss in Betrieb genommen. Ein Fachgutachten, mit übertriebenen positiven Zahlen über die Auslastung, hat den Beschluss für diese Verbindung letztendlich stark beeinflusst. 2010 hat wurde im Stadtrat heftig über die deifiziere Entwicklung diskutiert und sogar über eine evtl. Einstellung abgestimmt.
Es ist zu hoffen, dass die kritische Presse nicht nur über die zukünftige Auslastung des Bodenseeforums berichtet, sondern in diesem Zusammenhang auch über die weitere Entwicklung und Auslastung der Kultur- und Tagungsstätte Konzil informiert.

 

 

* Seit März 2017 haben wir eine neue Kommentarfunktion. Die alten Kommentare aus DISQUS wurden manuell eingefügt. Bei Fragen dazu melden Sie sich bitte bei sarah.luehty@thurgaukultur.ch

 

 

 

 

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