von Inka Grabowsky, 30.10.2016
Liebe, Lust und Leidenschaft
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Traum oder Albtraum? Das ist die Frage bei der Neuinszenierung von Shakespeares Sommernachtstraum durch das Weinfelder Theagovia-Theater. Die Premiere am Samstag wurde zum Erfolg.
Von Inka Grabowsky
Stellen wir uns einen Wald im Thurgau vor. Hier feiert eine Hochzeitsgesellschaft ausgelassen. Unter den Gästen gibt es alte Ehepaare, deren Gefühle füreinander längst erloschen scheinen, junge Leute, die sich gegen die Widerstände ihrer Umgebung gefunden haben und unglücklich Verliebte, die noch auf ihr Happy End warten. Soweit, so realistisch. Das Geschehen kommentiert das Elfenkönigspaar Oberon und Titania, das in ebendiesem Wald seinen Hochzeitstag verbringen will, um sich endlich miteinander auszusöhnen. „Den Sterblichen fehlt die Leidenschaft" konstatieren die Beiden und machen sich daran, dieses Manko auszugleichen.
Puck und Oberon bedauern das Durcheinander, das sie angerichtet haben. Bild: Inka Grabowsky
Der Feenkönig schickt seinen Diener Puck aus, um sowohl seiner Frau eine Lektion zu erteilen als auch die Liebeswirrungen der Sterblichen zu lösen. Puck ist in der Thurgauer Version ein Dealer, der neben Liebestropfen auch LSD, Hasch und Viagra im Angebot hat. Dummerweise fallen seine Vorräte in die falschen Hände. Teile der Hochzeitsgesellschaft berauschen sich über Gebühr und erleben einen tierischen Trip. Die schluchzende Geige von Lucia Dischinger und die heissen Trommelrhythmen von Pierrick Nzoungani erleichtern den Zuschauern, sich in die Situation hineinzuversetzen. „Alles läuft schief", merkt Oberon bald. „"Ich find's amüsant", entgegnet Puck. Und er hat Recht. Der „Sommernachtsalbtraum" im Theaterhaus Weinfelden in der Regie von Marie-Luise Hinterberger liefert beste Unterhaltung.
Sprache gibt Orientierung
Shakespeares Texte sind durch die gebundene Sprache innerhalb von Hinterbergers Stück leicht wiederzuerkennen. Die Ebene des heutigen Thurgaus ist durch Bühnendeutsch gekennzeichnet. Gelegentlich mischt sich ein modernes „Ihr könnte mich alle mal" in die Blankverse. Schüttelreime gehören auch dazu: „Zwei Männer, eine Frau, das gibt ne tolle Schau". Die Handwerker, die ihr Stück im Stück aufführen, nutzen Mundart. Das hätte Shakespeare sicher gefallen. Die Bühne ähnelt eher der Frühzeit des elisabethanischen Theaters, als es das „Globe" noch nicht gab und die Schauspieler von Wirtshaus zu Wirtshaus zogen und dort die Innenhöfe bespielten. Kulissen braucht es kaum. Die Theagovia-Truppe nutzt den gesamten Bühnenraum im Theaterhaus Weinfeinden. Die Bühnenbildner Jürg Kessler und Thomas Freydl schicken die Schauspieler zwischen die Reihen der Zuschauer. Jeder sitzt hier einmal in der ersten Reihe.
Mit Pucks Drogen werden Hochzeitsgäste zu enthemmten Wilden. Bild: Inka Grabowsky
Fast ironisch wirkt der Einsatz der Geschlechter. Anders als bei Shakespeare, der Männer als Frauen verkleidete, haben diverse Schauspielerinnen „Hosenrollen", stellen also einen Mann dar. Allen voran glänzen als jugendliche Liebhaber Cornelia Blask als Lysander und Desiree Wenger als selbstverliebter Demetrius. Lacher erntet Babs Lüthi als Handwerker Hans, als sie lauthals verkündet: „Ich soll eine Frau spielen? Sicher nicht!". Die Frauen entlarven archetypisch maskulines Verhalten als Klischee - deutlicher als es Männer könnten.
Verleugnete Leidenschaften
Am Ende kann Puck die Paare wieder sortieren und alle können ihren Trip als Albtraum ad acta legen. Die Selfies auf Demetrius' Smartphone bleiben ein unerklärliches Phänomen. Das Publikum bekommt zum Abschied eine Drohung mit auf den Weg: „Schlaft gut und träumt süss" gewinnt nach diesem Abend eine böse Bedeutung.
Die nächsten Aufführungstermine
Weitere Vorstellungen
Fr 4./Sa 5./So 6./Fr 11./Sa 12./So 13./Fr 18./Sa 19./So 20./Do 24./Fr 25./Sa 26.11.16
Jeweils 20:15 Uhr, Sonntag 17:15 Uhr im Theaterhaus Thurgau in Weinfelden
Tickets: www.theaterhausthurgau.ch oder Tel. 071 622 20 40
info@theagovia.ch
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Von Inka Grabowsky
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