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13.06.2012

Zweimal Huggenberger

Zweimal Huggenberger
Alfred Huggenberger (1867-1960). | © zVg

Am 15. und 21. Juni ist der Bauerndichter Alfred Huggenberger mit einem Buch und mit Blick auf den deutschen Widerstand präsent: in Frauenfeld und Gottlieben.

Leben und Werk von Alfred Huggenberger (1867-1960) waren bis anhin wenig erforscht. Nun liegt seine Werkbiografie vor. Der Regierungsrat und der Historische Verein des Kantons Thurgau laden deshalb am Freitag, 15. Juni, 18 Uhr, ins Rathaus Frauenfeld zur Vernissage des Buches «Huggenberger. Die Karriere eines Schriftstellers» von Rea Brändle und Mario König ein. Die Werkbiografie haben die Germanistin und der Historiker während der letzten zweieinhalb Jahre im Auftrag des Kantons verfasst.

Sie ermögliche einen sachlich-objektiven Blick auf die Persönlichkeit Huggenbergers, der als Bauer und Schriftsteller gegensätzliche Welten zu vereinen gewusst habe, dabei aber mehr habe sein wollen als ein «Bauerndichter», heisst es in der Einladung zur Vernissage. Sie wird musikalisch vom Gesangsqurtett Frédéric Bolli umrahmt, neben dem Grusswort von Regierungspräsidentin Monika Knill spricht zudem Rémy Charbon, Präsident der Gesellschaft für die Erforschung der Deutschschweizer Literatur, über Huggenberger als einen „vergessenen Erfolgsautor“.

Eine arg strapazierte Freundschaft

Nach der Buchvernissage schliesst das Bodmanhaus in Gottlieben eine knappe Woche später das erste halbe Jahr des Literaturprogramms unter der neuen Leitung von Stefan Keller mit einem Abend zu Alfred Huggenberger ab. Huggenberger war mit Otto Marquard befreundet, einem Maler auf der deutschen Seite des Bodensees. Während Huggenberger vorgeworfen werde, er sei zu nahe an den Nazis gewesen und habe sich von Joseph Goebbels hofieren lassen, habe Marquard zum deutschen Widerstand gehört und aktiv Menschenleben gerettet, wird in der Einladung zum Donnerstag, 21. Juni, 20 Uhr, betont. In Texten und Bildern werden Rea Brändle und Mario König über diese „arg strapazierte Freundschaft“ und einen grenzüberschreitenden, weitgehend unbekannten Aspekt der Literatur- und Kunstgeschichte berichten.

Zwei aus einfachen Verhältnissen

Huggenberger und Marquard kamen beide aus einfachen Verhältnissen. Huggenberger entstammte einer Bauernfamilie, der vierzehn Jahre jüngere Marquard war der Sohn eines sozialdemokratischen Schneiders in Konstanz. Während Huggenberger seine schriftstellerischen Neigungen schon als Jugendlicher neben der Tätigkeit als Landwirt auszuleben begann, machte Marquard zunächst eine Lehre als Dekorationsmaler und arbeitete anschliessend als Geselle, ehe er mit dreiundzwanzig Jahren genug Geld beisammen hatte, um sich an der Kunstakademie in Karlsruhe weiterzubilden. Er wurde Meisterschüler des bereits siebzigjährigen Hans Thoma, der seinen Stil stark beeinflusste. Nach der Ausbildung konnte er dank eines Stipendiums nach Paris fahren und Italien bereisen; schliesslich liess er sich am Bodensee nieder und blieb zeitlebens in dieser Gegend. In Allensbach betrieb er später eine vegetarische Pension.

Illustrator von Huggenbergers Büchern

Marquard war Pazifist und verbrachte die Zeit des Ersten Weltkriegs in der Schweiz. Huggenberger lernte er 1910 kennen. Genaueres weiss man nicht. Im Zentrum stand die gemeinsame Arbeit. Otto Marquard wurde einer der Illustratoren von Huggenbergers Büchern. Dabei genoss er einen beachtlichen Freiraum, den er zu nutzen wusste, auch mit Experimenten, wie Brändle und König aufzeigen werden. In den Briefen zwischen dem badischen Allensbach und dem thurgauischen Gerlikon dominierte ein freundschaftlicher, oft heiterer Ton; davon werden Kostproben zu hören sein.

Politisch weit auseinander

Politisch führten die Wege jedoch sehr weit auseinander. Während Huggenberger als einer von wenigen Schweizer Schriftstellern nach Hitlers Machtübernahme weiterhin Lesereisen durch Deutschland machte, wurde die von Marquard geführte Pension in Allensbach zu einer Anlaufstelle für Verfolgte. Mit entsprechenden Konsequenzen: 1936 erhielt der Künstler ein Mal- und Ausstellungsverbot auferlegt, 1937 durchsuchte die Gestapo sein Haus, 1938 wurde er wegen Verdachts auf Hochverrat in Stadelheim bei München für ein halbes Jahr inhaftiert. Huggenberger hingegen nahm deutsche Preise entgegen: 1937 den Hebelpreis, 1942 den Steinbach-Preis in Konstanz; im gleichen Jahr wurde er zum Ehrensenator der Deutschen Akademie in München ernannt.

Der Kontakt zwischen den beiden wurde immer spärlicher, ist aber nie ganz abgebrochen. Nach dem Krieg hatte Huggenberger sich vor der Säuberungskommission des Schweizer Schriftstellervereins zu verantworten, ohne dass seine Auftritte im nationalsozialistischen Deutschland Konsequenzen gehabt hätten. Marquard hingegen genoss während kurzer Zeit ein Ansehen als Antifaschist. Dann aber wurde es still um ihn. Die Rehabilitation so vieler ehemaliger NS-Funktionäre in der Adenauer-Ära verbitterte ihn. Zu Huggenberger gab es fast keinen Kontakt mehr, wohl aber zu dessen Tochter. Zum 90. Geburtstag des Schriftstellers gratulierte Marquard mit einem eigens angefertigten Holzschnitt. Es war der letzte persönliche Kontakt. Huggenberger starb 1960, Marquard neun Jahre später, am 30. Mai 1969. (red)

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● Buchvernissage «Huggenberger. Die Karriere eines Schriftstellers», Rathaus Frauenfeld, 15. Juni
● Alfred Huggenberger und Otto Marquard - eine arg strapazierte Freundschaft, Bodmanhaus Gottlieben, 21. Juni

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