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von Brigitta Hochuli, 18.09.2012

„Im ,Südsudelbuch‘ steckt die halbe Welt“

„Im ,Südsudelbuch‘ steckt die halbe Welt“
Zsuzsanna Gahse im art-tv.ch-Film, der an der Kulturpreisverleihung 2010 erstmals gezeigt wurde. | © Brigitta Hochuli

Zsuzsanna Gahse hat ein neues Buch geschrieben. Ein Gespräch über Schmuggler und andere Reisende sowie die „Kuhlen der Erinnerungen“.

Interview: Brigitta Hochuli

Frau Gahse, Ihr neues Buch heisst „Südsudelbuch“. Das Wort sudeln ist allerdings negativ konnotiert. Worauf müssen wir uns stilistisch gefasst machen?

Zsuzsanna Gahse: Sudeln, schmieren und klecksen ist für einen Erstklässler wohl nach wie vor verboten, später kann er dann das Klecksen und Sudeln wieder lernen. Das Südsudeln ist allerdings nicht ganz einfach. Vielleicht bekommt man einige Anregungen, wenn man mein Buch liest.

Es wird ja am Sonntag im Bodman-Haus in Gottlieben vorgestellt. Gemäss Inhaltsangabe handelt es sich um eine Art Tagebuch von Reisen in Südeuropa, aber auch in die Geschichte und in die Philosophie. Reiseberichte sind eigentlich ein verloren gegangenes literarisches Genre - was gibt es bei Ihnen Neues zu entdecken?

Zsuzsanna Gahse: Beinahe jeder ist unterwegs, alle sind unterwegs, das ist das Entscheidende. Die einen meinen, endlos Ferienreisen zu benötigen, die anderen sind gerade auf der Flucht, die dritten haben Geschäftsreisen zu bewältigen, zu erwähnen wären auch die Schmuggler, und man könnte lang weiter aufzählen.

Das Buch sei „welthaltig“. Was bedeutet das?

Zsuzsanna Gahse: Im Südsudelbuch steckt die halbe Welt.

Im zweiten Teil des Buchs betrachtet eine Ich-Erzählerin zusammen mit einem Fotografen Gangarten, Gesten und Sprechweisen der Menschen. Warum ausgerechnet diese Fokussierung auf Bewegungen und Töne?

Zsuzsanna Gahse: Es ist unglaublich interessant, die Bewegungen verschiedener Personen zu betrachten, allein schon die Mundbewegungen. Wer genau hinschaut, sieht, dass die Leute je nach Sprache ihre Lippen unterschiedlich bewegen. Auch Gangarten sind beeindruckend, nur halt nicht gerade leicht zu beschreiben, und diese Schwierigkeit empfinde ich als Herausforderung.

In der Ankündigung zum „Südsudelbuch“ heisst es, das europäische Schweifen und Schlingern werde ab und an unterbrochen „durch einzelne Sudelsagas, die sich wie Dellen und Kuhlen“ ausnähmen. Geht es um schwer leserliche Abgründe im Erzählfluss oder einfach um kleine Aperçus?

Zsuzsanna Gahse: Das schwer Leserliche finde ich grundsätzlich nicht gut. Lieber sollte man einleuchtend schreiben, die Dinge vorstellbar zeigen. Die Sudelsagas sind kleine Erzählungen, die für sich stehen und keine weiteren Erläuterungen brauchen. Sie sind Erzählinseln. „Erzählinseln“ heisst übrigens ein Buch von mir, und ich nehme an, dass solche kleine Inseln von Erzählungen jeder kennt. Man hat sie im Kopf, sie gehören zu den Erinnerungen. Kleine wichtige Episoden, die in einer Kuhle der Erinnerungen hocken und manchmal unvermittelt auftauchen.

Schon Ihr letztes Buch „Donauwürfel“ war eine grosse Reise. Man hat den Eindruck, Sie seien dauernd unterwegs. Ist das so?

Zsuzsanna Gahse: In den „Donauwürfel“ war vor allem die Donau selbst unterwegs, das ist sie nach wie vor, das ist das Grossartige an ihr. Aber Ihre Frage gefällt mir! Allmählich würde ich nämlich gerne ganz Europa beschreiben. Die ganze Welt beschreiben zu wollen, wäre vermessen, aber mit einigen Teilen von Europa wäre ich zufrieden. Im „Südsudelbuch“ schaut meine Ich-Erzählerin von den Alpen aus in den Süden hinab, von Spanien bis nach Griechenland, und dabei beobachtet sie vor allem die Zeitgeschichte, die Gegenwart.

Es gibt noch andere Gegenden in Ihren Büchern.

Zsuzsanna Gahse: Ja. In „durch und durch“ habe ich Müllheim und die Umgebung beschrieben. In den „Instabilen Texten“ geht es um die Schweiz. Die „Donauwürfel“ haben Sie schon erwähnt, nun kommt das „Südsudelbuch“ hinzu. Und ich könnte mir vorstellen, dass ich mich eines Tages mit dem Uralgebirge beschäftige, wahrscheinlich einfach vom Schreibtisch aus.

Ihr Verleger, der Luzerner Reto Ziegler vom Wiener Verlag Edition Korrespondenzen, spricht im Interview mit der Thurgauer Zeitung von „Salti vor und zurück“, von „befreiendem Gedankenfeuerwerk“, das sich beim Lesen Ihrer Texte in seinem Kopf entfache. Frau Gahse, Sie müssen sehr sportlich sein. Wie trainieren Sie?

Zsuzsanna Gahse: Für echte Salti muss man möglichst ruhig sein, man muss konzentriert, aber zugleich auch gelassen springen.

***

Lesung im Bodman-Literaturhaus Gottlieben (Thurgauer Zeitung)

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Interview mit Film zum Kulturpreis 2010 auf thurgaukultur.ch

● Video zum Kulturpreis 2010 auf art-tv.ch

Gespräch mit dem Verleger von Zsuzsanna Gahse in der Thurgauer Zeitung

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