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von Andrin Uetz, 09.04.2021

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Lukas Burkhardt: Auf der Rückfahrt von Antwerpen in die Schweiz, 26. Februar 2011. | © Andrin Uetz

#Lieblingsstücke, Teil 10: Der viel zu früh verstorbene Musiker Lukas Burkhardt schuf Songs wie aus einer anderen Welt. Unseren Autoren Andrin Uetz hat das nachhaltig beeinflusst. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Es ist nicht leicht hier etwas über meinen Freund Lukas Burkhardt zu schreiben. Viel zu früh hat er uns verlassen. Geblieben sind seiner Lieder, obschon es leider nur wenige Aufnahmen gibt. Als ewiger Geheimtipp waren seine Auftritte legendär. Suchtprobleme vereitelten grössere Touren und fürs Studio fehlte immer das Geld. Heroin und Alkohol haben einiges kaputt gemacht. Am 3. Mai 2017 erlag er im Alter von 33 Jahren einer Überdosis.

Umso wertvoller scheinen die wenigen Aufnahmen, welche sich im Netz finden. Eine davon ist ein Handy-Video des Songs “Beautiful and Dangerous”, aufgenommen am 1. Juli 2015 im Zürcher Club Katakombe. Das ungefähr 2011 komponierte Stück markiert in Burkhardts Schaffen den Anfang einer ebenso düsteren wie poetischen Phase. Er greift dabei zur elektrischen Gitarre, lässt die akustische Melancholie seiner Wanderjahre zurück, spannt einen Bogen zum Grunge der Bands seiner Jugend.

Im düsteren Rausch der Musik

Über ein sanft wogendes Gitarren-Muster lässt er seinen sirenenartigen Gesang gleiten, graziös streichen seine Finger über die Saiten. Kryptisch und reduziert ist der Text, und doch scheint irgendwie durchzudringen, dass es um Drogen, vielleicht auch um eine Todessehnsucht geht. Die Musik evoziert einen düsteren Rausch; hier erzählt jemand von der anderen Seite, voller Romanik und Nacht, passend dazu auch der Künstlername “The Other Side”.

Video: The Other Side mit “Beautiful and Dangerous” am 1. Juli 2015 in der Katakombe Zürich.

Burkhardt verfügte über ein besonderes Charisma. In Egnach am Bodensee aufgewachsen, war er in der Schule ein Aussenseiter. Erst spät blühte er auf, verstand es dann aber umso mehr, eine Gruppe von Bewundernden um sich scharen, was ihm in Kombination mit seinen langen Locken den Übernamen “Jesus” (Englisch ausgesprochen) bescherte.

Leidenschaft für Literatur

Nach Abschluss der Handelsmittelschule verdiente er seine Brötchen in Jobs, die er nie besonders mochte. Neben der Musik hatte er eine Leidenschaft für Literatur. Er schrieb tausende Seiten auf seiner Hermes-Baby-Schreibmaschine, die er, zusammen mit einem Stapel Papier und einer Gitarre, überall mit hin schleppte. Meistens war er gut gekleidet im Anzug und mit Hut, wie ein Mensch aus einer anderen Zeit.

Als Freund und Musiker hatte Lukas Burkhardt grossen Einfluss auf mein eigenes Schaffen. Wir spielten in diversen Formationen zusammen. Es hat etwas Zeit gebraucht, doch hat sich mein neues Projekt Subito Zeitlos nun an eine Interpretation von “Beautiful and Dangerous” gewagt. Seine Schwester Rahel Burkhardt hat dabei eine zweite Stimme eingesungen. Auch sie stand über die Jahre immer wieder mit ihrem Bruder zusammen auf der Bühne und verwaltet nun dessen Nachlass.

Der Gesang der Nachtigall

In verschiedenen Kulturen gibt es den Glauben, dass die Gesänge der Vögel Stimmen der Verstorbenen aus dem Jenseits sind. Eines Nachts im April 2020 kam ich nach einer Probe nach Egnach zurück. Im benachbarten Park, direkt neben unser beider Elternhäuser, war der Gesang einer Nachtigall zu hören. Die Aufnahme davon sind in der Subito-Zeitlos-Version zu vernehmen. Die sterblichen Überreste meines Freundes liegen zwar in einem Friedhof in Winterthur, doch seine Stimme wird für immer bei mir sein.

Video: Andrin Uetz interpretiert mit seiner Band Subito Zeitlos “Beautiful and Dangerous”

 

Die Serie #Lieblingsstücke und wie Du mitmachen kannst

In unserer neuen Serie #Lieblingsstücke schreiben Thurgaukultur-KorrespondentInnen über besondere Kunstwerke im Kanton. Das ist der Start für ein grosses Archiv der beliebtesten Kulturschätze im Thurgau. Denn: Wir wollen auch wissen, welches ist Dein Lieblings-Kunststück aus der Region?

 

Skulpturen, Gemälde, historische oder technische Exponate, Installationen, Romane, Filme, Theaterstücke, Musik, Fotografie - diese #Lieblingsstücke können ganz verschiedene Formen annehmen. Einige der vorgestellten Werke stehen im öffentlichen Raum, manche sind in Museen zu finden, andere wiederum sind vielleicht nur digital erlebbar. Die Serie soll bewusst offen sein und möglichst viel Vielfalt zulassen.

 

Schickt uns eure Texte (maximal 3000 Zeichen), Fotos, Audiodateien oder auch Videos von euch mit euren Lieblingswerken und erzählt uns, was dieses Werk für euch zum #Lieblingsstück macht. Kleinere Dateien gerne per Mail an redaktion@thurgaukultur.ch, bei grösseren Dateien empfehlen wir Transport via WeTransfer.

 

Oder ihr schreibt einen Kommentar am Ende dieses Textes oder zum entsprechenden Post auf unserer Facebook-Seite. Ganz wie ihr mögt: Unsere Kanäle sind offen für euch!

 

Alle Beiträge sammeln wir und veröffentlichen wir sukzessive im Rahmen der Serie. Sie werden dann gebündelt im Themendossier #lieblingsstücke zu finden sein.

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