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von , 09.11.2015

Bünzli-Blues und Anti-Attitüde

Bünzli-Blues und Anti-Attitüde
Wie viele Liedermacher braucht's für einen gelungenen Abend? | © David Nägeli

Am Samstag gastierte das Liedermacher-Festival "liederlich" im Eisenwerk: Ein wenig Spoken Word, ein wenig Swing, ein wenig Bünzli-Blues und natürlich viel Gitarrengezupfe. Die Mischung macht's.

David Nägeli

Wie viele Zeitungsinserate braucht's, um eine halbseitig gelähmte Katze zu verschenken? Die Antwort: Mehr als eins. Wie viele Schweizer Gardisten muss man töten, um dem Papst eine zu «chlöpfe»? Mehr als sechs. Die «liederlich»-Equippe stellt gute Fragen. Eine zentrale, wenn auch unausgesprochene Frage: Wie viele Liedermacher braucht's für einen gelungenen Abend?

Zeller erzählt in einem «Zündhölzli»-Cover davon, wie er der Welt beinahe Frieden gebracht hätte – doch dann landete die ausschlaggebende Bestellung bei der Rüstungsfirma RUAG doch im Altpapier. (Bilder: David Nägeli)

 

Zum Liedermacherfestival «liederlich» lädt der Liedermacher und Kabarettist Reto Zeller Künstler aus dem ganzen Lande zu einer gemeinsamen Tour ein. Dieses Jahr, zur vierten Ausgabe, sind dies Matto Kämpf, Dodo Hug und Markus Schönholzer. Ein bunter Haufen, der die Eisenwerk-Bühne diesen Abend belebt.

Reiselieder für Daheimgebliebene

Nach der Eröffnung durch Zeller ist Markus Schönholzer an der Reihe. Der Film- und Theaterkomponist spielt lüpfige Lieder mit minimalistischer Begleitung durch Robi Rüdisüli an Akkordeon und Tuba. Rüdisüli spielt mal naive Marschmusik, mal im Schwyzerörgeli-Stil, und wirkt dabei so herzig, wie das ein Herr mit Bart nur tun kann. Schönholzer singt und spielt Banjo oder Gitarre.

Schönholzer (vorne) und Rüdisüli: Einfach instrumentiert, clever getextet.

 

Schönholzer hat kürzlich Zeitung gelesen und will nun Jammern als Chance verstehen. Das Resultat: «D Turnschuehbändel gheied uf. Uf de Berg gohts deruf. Jede Tag goht d Sunne undr. Ka Wundr gohts eus schlecht.» Ein Jammern, als ob es einem der Chef aufgetragen hat. Dazu passt auch das Fazit des Schönholzerschen Reiselieds: «Bliib doch dehei, denn gits no es Fondue.»

Anti, Anti!

Ganz anders der Berner Autor und Theatermacher Matto Kämpf. Neben Zeller und Schönholzer wirkt er erfrischend Anti: ein wenig desinteressiert, wie's gute Poetry Slammer häufig sind; ein wenig wie ein schwarzgekleideter Johnny Cash, der nie gelernt hat zu singen oder Gitarre zu spielen. Überhaupt könnte man denken, er hat sich die Gitarre nur ausnahmsweise umgehängt, weil das halt zum Liedermachen gehört. Ansonsten klingt das eher nach Spoken Word.

Experte für avantgardistische Klänge und gesprochene statt gesungene Wörter: Matto Kämpf.

 

Die ersten Minuten auf der Bühne verbringt der Berner damit, auf ein Becken zu schlagen: «Das ist das Geläut der Altstätter Kirche», murmelt er. Und schlägt danach auch noch den Mikrofonständer. Später resümiert er: «Zuhause ist man nur da, wo man sich aufhängt.» Die trocken-desinteressierte Art passt nach dem Bünzli-Blues von Schönholzer: Der jammert noch – Kämpf badet bereits im Zynismus.

Swing mit souliger Stimme

Als letzte vor der Pause spielt das Multitalent Dodo Hug gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Efisio Contini. Musikalisch gesehen das Highlight des Abends: Die Stimme von Dodo bewegt sich zwischen Blues, Swing und Liedermacherei, das Gitarrenspiel von Contini ist ausgefeilt und ergänzt Xylophon, Gitarre oder Perkussion von Dodo perfekt.

Die erfahrenste und vielfältigste auf der Bühne: Dodo Hug («Madame Dodo»).

 

Nach einer bisher rein schweizerdeutschen Show gibt's nun auch ein wenig Englisch zu hören: «An App a day keeps the doctor away / Show me your apps and I tell you who you are». Nach der frechen Show von Kämpf ist das beinahe etwas zahmes Kabarett. Dafür ist die Musik umso besser.

Die Mischung macht's

Zur zweiten Hälfte der Show steht die gesamte Equipe auf der Bühne und begleitet sich gegenseitig bei den gesungenen Wortwitzen. Hier beginnt die Show dann auch zu glänzen: Die einzelnen Künstler ergänzen sich gegenseitig gut. Ohne die Trockenheit von Kämpf, ohne das starke Spiel von Dodo und Contini, ohne den Bünzli-Reiseblues von Schönholzer – alleine hätten die Auftretenden nur halb so gut funktioniert.

Je nach Geschmack hätte sich der Besucher vielleicht ein wenig mehr Kurzgedichte von Kämpf oder mehr Liedermacherei von Zeller gewünscht. Aber zurück zu den Fragen: Wie viele Liedermacher brauchts, für einen gelungenen Kabarett-Abend? Mindestens die vier die auf der Eisenwerk-Bühne standen. Und keinen weniger.

 

Das Festival

Das «liederlich»-Festival ist noch bis Samstags unterwegs, unter anderem am 12.11. in Winterthur und am 14.11. in Uznach.

 

 

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