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von Judith Schuck, 29.01.2021

Die Entdeckung der Stadt

Die Entdeckung der Stadt
Kunst per App entdecken - in Kreuzlingen ist das im öffentlichen Raum jetzt möglich. | © Stefan Böker

Die Museen sind geschlossen, Kunst kann man trotzdem weiter entdecken. Zum Beispiel im öffentlichen Raum. In Kreuzlingen geht das jetzt per App. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Wer den Kreuzlinger Seeburgpark vom Hafen aus betritt, wundert sich vielleicht über zwei Strassenlaternen. Eine der ansonsten recht unauffälligen kugelförmigen Lampen ist schwarz. Zwei am Laternenmast angebrachte Tafeln verraten Künstler und Titel der Skulptur: Volkhard Kempter errichtete «Erinnerungen an den Tag und an die Nacht» 1998 an diesem Ort. «Er stellt dem Überfluss an Licht eine Oase des Schattens gegenüber», heisst es in der Beschreibung.

Ja, Kunst ist überraschend. Und manchmal ganz anders als man denkt. Während die Museen noch mindestens bis Ende Februar geschlossen sind, bietet sich eine Alternative zum Kunsterlebnis: Der öffentliche Raum. Zumindest in Kreuzlingen.

Seit Dezember hat die Stadt 12 digitale Kunstwege erarbeitet. Unterschiedliche Routen, nach Themen oder Quartieren zusammengestellt, führen zu zunächst 36 Kunstwerken im öffentlichen Raum.

Digital statt Print wegen Corona

Ursprünglich war das Projekt ganz anders geplant, wie Claudia Thom, Sachbearbeiterin beim Departement Gesellschaft und Kultur erzählt: Die Kunstkommission hätte schon seit Jahren die Idee, Kreuzlingens Kunstwerke mit Text und Bild in einer Broschüre vorzustellen. «2020 stand die Agenda der Stadt unter dem Thema Kunst im öffentlichen Raum und war mit 12 Kalenderblättern konzipiert. Doch dann kam Covid.»

Und damit der Vorschlag, statt einer Veröffentlichung in einer Print-Broschüre, eine interaktive Online-Version der Kunstwege zu erarbeiten. Das Projekt betreuten von da an Nadja Miani, Lehrerin im Bereich Gestaltung, Medienbildung und Informatik, und Claudia Thom. Miani ist seit einem Jahr Mitglied der Kunstkommission. Ausserdem leitete sie bereits einige Male die Kunstführungen im Rahmen der Reihe «Kreuzlingen entdecken».

Als ersten Schritt stellten die beiden bereits im Sommer für jedes der 36 Werke ein Bild und Info-PDF auf der Seite bereit sowie einen QR-Code, der die Lage anzeigt. Als zweites kam dann am 1. Dezember der nächste Schritt: Die kostenfreien App «Actionbound» führt die Kunstwanderer durch die Stadt. Wer auf dem Spaziergang kein Internet hat, kann sich das Material bereits Zuhause downloaden.

Test vor Ort: Unsere Autorin Judith Schuck unterwegs auf dem digitalen Kunstweg der Stadt Kreuzlingen. Hier macht sie gerade Station bei den Graffitis des New Yorker Streetartist DAZE am Theater an der Grenze. Bild: Stefan Böker

Interaktion ist bislang noch kaum möglich

Ein wenig irreführend ist die Bezeichnung «Interaktive Kunstwege», denn Interaktion mit den Werken ist bisher kaum möglich. Die Stadt bietet die Routen und Infos zu den jeweiligen Objekten als PDF, der Standort kann zusätzlich via QR-Code angezeigt werden. Und es gibt eben die App, die im Grunde das gleiche leistet, nur ein wenig eleganter.

«Bisher haben wir nur reine Ort-zu-Ort Führungen erstellt», sagt Claudia Thom. Dazu gehört die Karte mit der jeweiligen Strecke und die in Text, Bild und Audio aufbereiteten Informationen zu den Kunstwerken. Da es nicht nur diese 36 Objekte in Kreuzlingen gibt, sondern viele mehr, ist hier auf jeden Fall eine Erweiterung vorgesehen.

Die Idee ist gut, aber ausbaufähig

Das Tool sei aber leicht zu befüllen und jederzeit erweiterbar. Ursprünglich als eine Spiel- und LernApp ausgelegt, wäre was die Interaktion zwischen  Kunstweg-Teilnehmenden und Werken betrifft, auf jeden Fall noch Luft nach oben.

Es liessen sich beispielsweise QR-Codes an den Werken selbst anbringen, die mehr Hintergründe zu Künstler und Kunst bieten könnten und Bezüge herstellen oder den Betrachter nicht nur konsumieren, sondern selbst etwas produzieren lassen: Ideen, Wissen, Gedanken.

Schwebender Findling unterhalb des Schrofenhofs in Kurzrickenbach: Die Installation von Eva Pisana und Kerstin Kubalek steht seit Sommer 2020 an ihrem Ort. Bild: Stadt Kreuzlingen

Heilanstalten, Heilbäder und Hierarchie-Sessel

Bisher erfasst sind sämtliche Werke des seit 2009 alle zwei Jahre realisierten Wettbewerbs «Die Entdeckung des Stadtraums». Die gekürten Kunstwerke nehmen Bezug zu Ort und Geschichte, wie die 2017 im Bellevue-Areal errichtete «Couch» von Markus Brenner.

Tagsüber eine einfache Sitzgelegenheit aus weissem Beton, verwandelt sich die Skulptur bei Dunkelheit dank einer Lichtprojektion in Sigmund Freuds berühmte Couch, das Sinnbild der Psychoanalyse und erinnert so an den von Psychiatriegeschichte beladenen Ort.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Vorbei kommt man auf einem dieser Wege auch an gelben, länglichen Betonquader , die von vielen vermutlich gar nicht als das wahrgenommen, was sie sind: Kunstwerke. Sie stehen vor dem Sportplatz der Egelseeschule.

1993 schuf der in Singen lebende deutsche Künstler Harald F. Müller dieses 4-teilige Werk im Rahmen des Projekts «Kunst-am-Bau» der Berufsschule und des Kurszentrums Rosenegg. «Ziel des Ensembles war es, die Innen- und Aussenräume des Neubaus mit seiner Platzanlage zu verbinden», heisst es auf der Homepage der Stadt unter der neuen Rubrik «Kunstwege Kreuzlingen».

Die Einteilung der Kunstwege bleibt manchmal rätselhaft

Etwas ausserhalb der Stadt können Spaziergänger auch das neueste Objekt aus dieser Reihe aufsuchen, den schwebenden Findling unterhalb des Schrofenhofs in Kurzrickenbach. Die Installation von Eva Pisana und Kerstin Kubalek steht seit Sommer 2020 an ihrem Ort und verweist unter anderem auf ein altes Schloss und ein vor Jahrhunderten genutztes Heilbad an dieser Stelle.

Es gibt zwar unter den Kunstwegen die Route «Wettbewerbe der Kunstkommission». Was ein wenig verwundert: darin sind nur 3 der bisher 6 Werke aufgeführt, die übrigen laufen unter einer anderen Rubrik wie zum Beispiel «Kunstweg Gelb!». Der Logik nach wäre es hier schöner – wenn es schon einen Weg mit der Bezeichnung «Wettbewerbe der Kunstkommission» gibt – alle Gewinnerprojekte auf dieser Tour zusammenzubringen.

Teil des Kunstweges «Bodanquartier»: Die Graffitis vom New Yorker Street-Art-Künstler Chris DAZE Ellis am Theater an der Grenze. Bild: Stadt Kreuzlingen

Lehrgänge sind beliebig ausbaubar

Viel Kunst in nächster Nähe findet sich auf dem Weg «Bodanquartier»: Neben der «Couch» ein weiteres Werk von Markus Brenner im Stadthaus («Himmel»), der Signer Brunnen vor dem Departement Gesellschaft in der Marktstrasse, die Skulpturen «Jüngling» von Henri König sowie «Sitzendes Mädchen» von Friedel Grieder – beide im Dreispitzpark – aber auch die Graffitis vom New Yorker Street-Art-Künstler Chris DAZE Ellis am Theater an der Grenze oder «View through the Wall» von Reto Ritz RWAYS an der Unterführung Hafenstrasse/Seestrasse.

Für die Zukunft könnten sich Thom und Miani vorstellen, die Actionbounds zusätzlich für Kinder auszubauen, wodurch der Spaziergang zum lehrreichen Spiel werden könnte, der eigentliche Zweck der App. Was momentan über die Homepage und App zu finden ist, sei ein Anfang.

Was die Werkbeschreibungen betrifft, hätten sie sich bewusst kurz gehalten: «Die Online-Kunstwege sollen keine realen Führungen ersetzen. Wir haben lediglich die Highlights herausgepickt», so Claudia Thom.

Ausprobieren: Alle Kunstwege im Überblick gibt es auf der Website der Stadt Kreuzlingen

 

 

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