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von Jeremias Heppeler, 17.01.2019

Pussy Riot: Über die Kunst des Protestes

Pussy Riot: Über die Kunst des Protestes
Provokativ und erfolgreich: Das Kollektiv Pussy Riot kommt jetzt für ein Konzert nach Konstanz. | © zVg

Ihr Punk-Gebet in einer orthodoxen Kirche macht Pussy Riot über Nacht weltberühmt - und zu Staatsfeinden in Russland. Jetzt (18. Januar, 21 Uhr, Kulturladen) spielt das Kollektiv in Konstanz. Die Frage ist: Wie steht es um den Protest als Kunstform? Jeremias Heppeler wirft einen kritischen Blick auf den Status Quo des Genres.

Am 10. November 2013 herrscht richtiges Sauwetter in Moskau. An so einem Tag schickt man nicht einmal seinen Hund vor die Tür, schon gar nicht wenn man weiss, dass dir jede Frostbeule in Russlands Hauptstadt noch einmal gefühlte fünf Grad kälter in die Knochen kriecht. Doch das Wetter spielt für Pjotr Pawlenksi an diesem Tag keine Rolle. Wie sollte es auch, der Performance-Künstler steht nackt auf dem roten Platz und wird seinen Körper sogleich noch  ganz anderen Torturen aussetzen. Tok, Tok, Tok. Wie viele Schläge Pawlenksi braucht, um seinen Hodensack auf den roten Platz zu nageln, ist nicht überliefert, wohl aber die Botschaft, die er damit transportieren wollte: Eine „Metapher für die Apathie und politische Indifferenz der modernen russischen Gesellschaft“. 

Performancekunst hat in Russland eine faszinierende Tradition, denn performative Formen der Gemeinschaftsbildung gehören de facto zur DNA des russischen Kultur(er)lebens. Die Performance vermischte sich über die Jahrhunderte  und Jahrzehnte mit dem Theaterdiskurs, der in Moskau so tief und bedeutungsvoll verankert ist, dass der theatrale Protest von Zeit zu Zeit beinahe oppositionelle Funktionen einnimmt - auch und vor allem im Russland Wladimir Putins. Man denke an das Künstlerkollektiv Woina und ihre performative Orgie „Fick zur Unterstützung für den Bärchen-Nachfolger“, gegen die Wahl von Dimitri Medwedew zum russischen Präsidenten im Jahr 2008. Oder man denke an Oleg Mavromatti, der sich einst zwischen Kirche und Kulturamt kreuzigen liess.

Video: Diese 41 Sekunden machten Pussy Riot weltberühmt

Die Vermischung von politischen und religiösen Protestblasen war es auch, welche das Kollektiv Pussy Riot über Nacht weltberühmt und zu waschechten Staatsfeinden machte. 41 Sekunden dauerte das in der Christ-Erlöser-Kirche dargebotene Punk-Gebet, das eine ganze Lawine von Verurteilungen, Statements, Inhaftierungen unter menschenunwürdigen Bedingungen und  weltweite Protestwellen nach sich zog. Neben unzähligen  Solidaritätsbekundungen von russischen und internationalen  Künstlern sorgte auch Pawlenski für Aufsehen, als er sich aus Solidarität zu Pussy Riot den Mund zunähte.

Hier also schliesst sich ein erster Kreis - wir wollen aber sogleich einen weiteren eröffnen, der ausgehend von Russland die Protestkunst im Allgemeinen und ihren Status Quo ins Auge fasst. Doch blicken wir zunächst auf die Geschichte: In Deutschland etwa lässt sich eine Blutlinie ziehen von Bertolt Brechts epischen Theater, über die Aktionskunst von Joseph Beuys bis hin zu den Eingriffen des Zentrums für politische Schönheit. Verbindet man diese historischen Eckpunkte zeigt sich schnell, dass die  Zeichen der Aktionskunst über die Zeit  eindeutiger wurden oder werden mussten – auch im direkten Bezugssystem zu den jeweiligen Medienlandschaften.

Von Beuys zum Zentrum für politische Schönheit

Während Brecht seine politischen Botschaften noch hinterlegte und vernähte (und genau damit auch in seiner Selbstwahrnehmung scheiterte), verstand Beuys seine Kunst als Befreiungspolitik und stieg etwa im Zuge des „Boxkampf für direkte Demokratie“ gegen den Bildhauer Abraham David Christian in den Ring. Die Arbeiten des Zentrums für politische Schönheit  indes agieren weitaus schonungsloser und drastischer. Beispielhaft das Werk „Flüchtlinge fressen – Not und Spiele“ inklusive einer römischen Arena voller Tiger inmitten in Berlin und dem damit verbundene Aufruf an Flüchtlinge, sich im Widerstand gegen das deutsche Aufenthaltsgesetz fressen zu lassen.

Eines fällt auf: Wenn Kunst zum Protestmittel reift, dann rückt meist der (eigene) Körper ins Zentrum und wird zum Mittel und Stilmittel. Das ist die rohste Form der Darstellung, schiere, ungezähmte Körperlichkeit. Das eigene Ich ausgestellt und ausgeformt, gezähmt und angezählt, schonungslos präsentiert, korrumpiert und in letzter Instanz und Konsequenz geopfert, den Wölfen zum Frass vorgeworfen - aber, und das ist entscheidend: Zuvor vergiftet, als trojanisches Pferd, das besagten Wölfen das Fleisch im Halse stecken bleibt. Der aufgezeichnete Grat ist dabei besonders schmal, weil es auch kein Stilmittel gibt, das öfters missbraucht wurde als Körperlichkeit, weil sie stetig abgreifbar und immer für einfache und flache Provokationen gut ist. Das ist auch der Grund, warum selbst kunstaffine Menschen nicht selten ein Problem mit Performance-Kunst haben, weil diese innerhalb ihrer Parameter immer Gefahr läuft, ins kitschige, plumpe oder boulevardeske abzugleiten.

Vermummter Protest mit Gitarren: Das sind Pussy Riot. Bild: Игорь Мухин at Russian Wikipedia [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

 

Gefährlich, wenn der Protest zum Allzweckmittel wird

Im Magnetfeld dieses Netzes und unserer sozialen Medienwelt materialisieren sich darüber hinaus ganz massiven Fragezeichen im Bezug zur Protestkunst. Denn innerhalb der digitalen Streams kommt es vermehrt zu fragwürdigen Verschiebungen: So verwischt sich beispielsweise die Femen-Bewegung mit den Aktionen der schweizerischen Nacktkünstlerin Milo Moiré bis hin zum deutschen Erotikstar Micaela Schäfer. Der gemeinsame Nenner ist hier der nackte, weibliche Körper, allesamt unter dem Diskursschirm der Kunst, die einen (zumindest im Kern) hochgradig politisch und feministisch, die anderen schlicht kapitalistisch und auch sexistisch, sprich: Mittel zum Zweck. Traurig. Gefährlich

Irgendwo dazwischen mischt sich dann (in der öffentlichen Wahrnehmung) auch Pussy Riot. Das ist natürlich Quatsch, weil sich die Russinen ganz klar im Punk und Pop verordnen. Den populären Medien aber scheint dies herzlich egal, sie haben zu wenig Schubladen, um entsprechende Protestaktionen von Pussy Riot zielgerichtet verordnen zu können - tatsächlich ist das auch nicht ihre Aufgabe. Für die Protestkunst ansich ergibt sich daraus aber ein brisanter, weil verharmlosender Nährboden.

Video: Selbst Banksy wurde zum Sklaven des Marktes

Ein schillerndes Beispiel lieferte der britische Street Art Künstler Banksy, dessen Gemälde „Mädchen mit Luftballon“ sich nach seiner Versteigerung für eine Million Pfund im renommierten Londoner Aktionshaus Sotheby´s selbst zerstörte. Auf dem Papier ist das eine grandiose Aktion, irgendwo zwischen Till Eulenspiegel und dem Joker, sprich:  zwischen entlarvendem Hofnarr und chaotischem Bösewicht. Die Realität aber zeichnete ein anderes Bild. Denn: Jeder fand die Aktion gut. Jeder. Auch das Aktionshaus. Auch der Käufer. Die Zerschredderung und das Medienecho steigerte den Wert des Bildes ins Unendliche und anstatt dem Markt den Spiegel vorzuhalten, wurde Banksy (ob gewollt oder ungewollt) zu dessen Sklaven.

Wie der Künstler die Macht über sein Werk verliert

Und auch wenn bereits Brecht damit zu kämpfen hatte, dass seine Songs aus der Dreigroschenoper zu wirklichen Hits wurden und ihre politische Durchschlagskraft im allgemeinen Wohlgefallen verschluckt wurde, so gründet diese Entwicklung ganz massiv in der digitalen Revolution. Der Künstler hat keine Macht mehr über sein Werk, das innerhalb von Sekunden tausendfach geteilt und zerteilt und vereinnahmt, ja gefressen werden kann.

In der Aktionskunst verschmelzen Körper und Botschaft zu einem neuen Medium, dessen Durchschlagskraft dir unter Umständen die Spucke im offenen Mund weg trocknet. Sobald die öffentliche Wahrnehmung aber die Botschaft und den Körper vom Medium durch Interpretation und Bemächtigung trennt, dann droht eine ungeheure Sackgasse. Und hier steht der Protestkünstler vor einem ganz bemerkenswerten, aber eben auch erdrückenden Dilemma: Einerseits droht ihm die aufgezeichnete Gefahr der unfreiwilligen Anbiederung bei anschliessender Vereinahmung, andererseits das hausgemachte und ebenfalls tödliche Unheil der stumpfen Provokation mit dem künstlerischen Holzhammer.

Diese Parameter muss ein politischer Künstler im Jahr 2019 zwangsläufig mitdenken und es wird absolut faszinierend sein, wie sich die neuen Generationen genau an dieser Sollbruchstellen abarbeiten werden. Die Aktionskunst der Zukunft ist digital, der künstlerische Körper ebenfalls. Ein neues Zeitalter steht an.

Das Konzert: Pussy Riot spielen am Freitag, 18. Januar, im Kulturladen Konstanz. Beginn ist um 21 Uhr. Tickets gibt es für 28 Euro an der Abendkasse.

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