von Andrin Uetz, 20.11.2019
Die Ruhe im Sturm

Auf der Bühne kannte man Jbid Hatschaduryan bislang nur als Tänzerin und Performern. Jetzt hat sie unter dem Namen «Plane» wunderbar melancholische Musik für den Winter aufgenommen.
Es ist eine der Kuriositäten unserer Zeit: Man verplempert zu viel Zeit in Facebook, Instagram und Co., klickt sich ohne gross zu überlegen in den einen oder anderen Link, der von Freunden geteilt wurde. In manchen Fällen gibt es echte Überraschungen, etwa einen sehr lesenswerten Artikel, ein extra witziges Video, oder aussergewöhnlich gute Musik. So ähnlich müsste es Bekannten von Jbid Hatschaduryan gegangen sein, als sie vor drei Wochen unter ihrem Künstlernamen Plane das Album “old, old light” ins Netz stellte.
„Nur wenige meiner Freunde wissen, dass ich Musik mache. Bisher war das vor allem für mich selbst, im stillen Kämmerlein”, erzählt sie bei einem Spaziergang am herbstlichen Bodenseeufer. Auf Bühnen hervorgetreten ist Jbid Hatschaduryan eher als Tänzerin und Performerin im Bereich des zeitgenössischen Tanzes und Tanztheaters.
Die magische Unmittelbarkeit des Internet
Sie hat zwar bereits als Teenager mit Songwriting begonnen, Musik und Gesang begleiteten sie seit früher Kindheit. Von Volksmusik aus dem Balkan, zu Klassik, bis zu Pop und Rock war Musik immer da. Das Musizieren war aber eben auch immer persönlich, familiär, privat.
Reinhören: Plane – old, old light (self released, 2019)
Eine Hommage an das warme Licht der Freundschaft
Es ist gerade diese Nähe der Stimme, die Einfachheit der Gitarren oder Klavierbegleitung, die repetitiven Muster, sanft gesungenen Glissandi, und englischen Worte, die eher eine Stimmung als eine semantische Aussage vermitteln, welche uns Hörenden von „old, old light” berühren und faszinieren können.
Bei Plane scheint das zu funktionieren, es erinnert in positiver Weise an den Sound von so unterschiedlichen Künstlerinnen wie FKA Twigs oder Sibylle Baier. „Es geht um das Gefühl, nicht um Perfektion”, sagt Plane, und fügt an: „Ich hatte bisher kein Bedürfnis Musik aufzunehmen oder damit aufzutreten. Ein guter Freund hat mich immer gefragt, ob ich nicht was aufnehmen will, da die Musik ihm immer gefallen hat. Als dieser vor zwei Jahren gestorben ist, habe ich ein Lied für ihn geschrieben und dann zum ersten Mal Lieder aufgenommen. Das Album ist sozusagen ein Geschenk an ihn. Darum auch der Titel. Das alte Licht ist eine Metapher für ein altes Wissen, eine Weisheit, gleichzeitig kann Licht auch leicht und naiv sein. Ich glaube, diese Eigenschaften haben uns verbunden.”
Ein DIY-Album mit Gespür
Vielleicht ist es gerade dieser Kontrast zu unserer grellen LED- und Bildschirm-Gegenwart, durch welchen sich Plane mit „old, old light” umso herzerwärmender an unsere Ohren schmiegt. Und sind für uns nicht Sterne auch altes, ja uraltes Licht, welches Nachts zu uns auf unseren kleinen Planeten dringt?
Auch wenn das Projekt sehr persönlich wirkt, so weist es doch über Befindlichkeiten hinaus und überzeugt mit verspielten, ästhetisch ansprechenden Kompositionen. Neben sechs eigenen Stücken findet sich eine Coverversion von Depeche Modes „Enjoy the Silence”. Die darin vorkommenden Zeilen „Words are very unnecessary / They can only do harm” wirken fast wie eine Beschwörung, ein sanfter und umso eindringlicher Imperativ an den Menschen, endlich die Klappe zu halten und zuzuhören.
Einfühlsam, aber nie larmoyant
Das darauf folgende „be steady (please)” fühlt sich an wie ein Fall in Zeitlupe, der immer langsamer wird bis zum Stillstand in höchsten Lüften, wo Plane einem „be steady” zu singt, sowie man langsam wieder nach oben getragen wird.
„Ich habe nicht vor, diese Songs live zu spielen. Das ist irgendwie zu persönlich, es wäre nicht möglich, eine Ehrlichkeit zu bewahren, wenn ich das als Programm abä rattern müsste. Hingegen mit mehr kollaborativer, elektronischer Musik würde ich gerne etwas machen. Ich habe viele Ideen, die ich umsetzen und auch meinen ganzen Einflüssen gerecht werden möchte, da ist noch vieles unangetastet.”
Ein Album wie knisterndes Kaminfeuer
Bis es so weit ist, erfreuen wir uns dieser wunderbar melancholischen Musik, welche uns durch den nahenden Winter bringen wird wie eine warme Bettdecke oder ein knisterndes Kaminfeuer.
Die Künstlerin
Jbid Hatschaduryan ist in Lengwil aufgewachsen und hat Tanz an der Folkwang Universität der Künste in Essen sowie Kunst an der Kunsthochschule für Medien in Köln studiert. Sie hat mehrere Stücke choreografiert und in künstlerischen Projekten in verschiedenen Bereichen mitgewirkt. Seit zwei Jahren lebt sie wieder im Thurgau.

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