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von Maria Schorpp, 11.08.2023

Ein Kraftfeld cooler Typen

Ein Kraftfeld cooler Typen
Susanne Kunz als Helen Hubbard und Falk Döhler als Monsieur Bouc. | © Verein Schlossfestspiele Hagenwil/ Fotografie: Oliver Gerber

Die Schlossfestspiele Hagenwil setzen in diesem Jahr auf „Mord im Orientexpress“ der englischen Crime Lady Agatha Christie. Die Inszenierung der Theaterfassung im Innenhof des Wasserschlosses, eine Schweizer Erstaufführung, hätte ohne die Verlagsvorgaben möglicherweise etwas spritziger ausfallen können. Das Ensemble um Florian Rexer konnte trotzdem eigene Akzente setzen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Gute Frage: Wie kriegt man einen Zug in ein doch recht begrenztes Areal wie den Innenhof des Hagenwiler Wasserschlosses? Geht, mit ein paar Bühnentricks. Nach einem kurzen Prolog und einem klasse performten Song aus den Golden Twenties geht der Vorhang auf und – wir befinden uns im Zug. Nicht in einem heutigen, sondern im Stil der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und das mit viel Atmosphäre. Bühnenbildner Peter Affentranger hat mal wieder ganze Arbeit geleistet. Da hat sich ein Abteil des Orientexpress geöffnet, auf dem Weg von Belgrad nach London. Es ist das Jahr 1934.

Schade das mit den Vorgaben

Und wir befinden uns auch in besagtem Innenhof das Hagenwiler Wasserschlosses anlässlich der alljährlichen Schlossfestspiele. Regisseur Florian Rexer bringt in der diesjährigen Ausgabe mit Agatha Christies Klassiker „Mord im Orientexpress“ einen Krimi bzw. dessen Bühnenadaption von Ken Ludwig auf die Bühne, was Konsequenzen hat. Da die Nachfahren der englischen Crime Lady, die auch die Urheberrechte an den Werken besitzen, die Nutzung der Texte sehr streng handhaben, musste sich Florian Rexer dieses Mal zurückhalten, was die Anpassung der Vorlagen an die gegebenen Verhältnisse betrifft. Das, gleich vorneweg, ist sehr schade.

Der Kautz mit Schnautz kann mithalten

Doch auch so weiss er seine Handschrift einzubringen. Die Figuren sind wieder einmal superb gezeichnet, allen voran natürlich Detektiv Hercule Poirot, den Mischa Löwenberg mit formidablem französischen Akzent darbringt, pardon, belgischem Akzent, soweit sich das unterscheiden lässt. Auch ansonsten kann er in puncto Kautz mit Schnautz mithalten mit seinen Vorgängern in diversen Filmvorlagen. Ein klassischer Poirot mit Hang zur skurrilen Infantilität. In seinem gestreiften Kinderköfferchen befindet sich neben einer öfters zum Einsatz kommenden Handcreme ein Puppen-Bügeleisen, mit dem er seine weissen Glacéhandschuhe bügelt. Mon Dieux!

 

Detektiv Hercule Poirot von Mischa Löwenberg. Bild: Verein Schlossfestspiele Hagenwil/ Fotografie: Oliver Gerber

„Oh, là là“ gegen „Hurry, hurry“

Dem ebenfalls reichlich eingesetzten „Oh, là là“ kontert Susanne Kunz als Helen Hubbard mit amerikanischem „Hurry, hurry“-Lebensgefühl. Dabei schwenkt sie dauerangeheitert das Bourbon-Glas. Susanne Kunz, eine Lady in Red, ist schon ein Ereignis mit ihrer wasserstoffblonden Lockenpracht und weiss bestens das Boulevard zu bedienen. Im giftigen Gezänk mit Marina Santellas Prinzessin Dragomiroff bilden die beiden Figuren ein kleines Kraftfeld cooler Weiblichkeit, die jederzeit bereit sind, den Kampf aufzunehmen, egal welchen.

Apropos Lady in Red: Kostümbildnerin Barbara Bernhardt hat eine attraktive Kombination aus historischen Kostümen mit modernem Anklang gefunden. Sag mir, was du anhast, und ich sag dir, wer du bist. Auf der Bühne geht das.

Trump lässt grüssen

Agatha Christies Krimi ist ein klassischer Whodunit, also ein Krimi, an dessen Ende die Aufklärung eines Verbrechens steht. Im konkreten Fall der Mord an Samuel Ratchett, einem dubiosen amerikanischen Geschäftsmann, den Thom F. Küng schön rüpeliger im Donald Trump-Stil gibt und schon mal jemand einfach auf die Seite schupst, wenn er ihm im Weg steht. Ratchett heisst tatsächlich jedoch Bruno Cassetti und ist, wie sich herausstellt, der Entführer der kleinen Daisy Armstrong, die Jahre zuvor von ihm ermordet wurde.

 

v.l. Max Vogel als Schaffner, Sarah Herrmann als Gräfin Andrenyi, Susanne Kunz als Helen Hubbard, Stefan Gritsch als Colonel Arbuthnot und Barbara von Holzen als Mary Debenham. Bild: Verein Schlossfestspiele Hagenwil/ Fotografie: Oliver Gerber

Menschen spannender als der Bühnenkrimi

Falls es jemanden geben sollte, die oder der noch keinen der zahlreichen sehr prominent besetzten Verfilmungen des „Orientexpress“ gesehen hat, belassen wir es bei Andeutungen zum Hintergrund des Geschehens. So viel sei gesagt: Die Zusammenstellung dieser hochklassigen Gesellschaft ist nicht zufällig zustande gekommen. Ohnehin scheint die Inszenierung auf der abgeschirmten Open Air-Bühne in Hagenwil nicht sonderlich grossen Wert auf die Krimispannung zu legen. Auf die Spannung zwischen den Menschen umso mehr.

Das funktioniert nicht immer so, dass man hundertprozentig dran bleibt an den Figuren. Dafür ist das Stück zu textlastig und sprachlich stellenweise etwas hölzern. Ein paar Eingriffe hätten hier bestimmt weitergeholfen, aber es durfte ja nicht sein (siehe oben). Immerhin geben die Darstellenden alles, um der Werktreue (was ist das?), der juristisch eingeforderten, ein bisschen ein Schnippchen zu schlagen.

Man schaut ihnen gerne zu

Falk Döhler, der am Ende der Premiere für seine Verdienste um die Schlossfestspiele mit der Goldenen Glock geehrt wurde, als Monsieur Bouc, Sarah Herrmann als Gräfin Andrenyi, Carina Rieder als Greta Ohlsson, Stefan Gritsch als Colonel Arbuthnot, Barbara von Holzen als Mary Debenham, Philipp Makbec als Hector MacQueen und Max Vogel als Schaffner und Oberkellner – man schaut ihnen allen gern zu, wie sie das Besondere aus ihren Figuren herausholen.

Und wie dann am Ende die erklärenden Rückblenden, im Film kein Problem, mittels Lichtspots in Szene gesetzt werden, ist schlicht gut gemacht. Ein gelungener Sommertheaterabend, der möglicherweise noch spritziger geworden wäre, wenn da die Vorgaben nicht gewesen wären. Dem Premierenpublikum hat es trotzdem sehr gut gefallen.

 

Das Ensemble beim Schlussapplaus der Premierenvorstellung von "Mord im Orientexpress" bei den Schlossfestspielen Hagenwil. Bild: Verein Schlossfestspiele Hagenwil/ Fotografie: Oliver Gerber

 

Regisseur Florian Rexer übergibt in diesem Jahr die Goldenen Glocke an Falk Döhler für sein Engagement für die Festspiele Hagenwil. Bild: Verein Schlossfestspiele Hagenwil/ Fotografie: Oliver Gerber

 

 

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