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von , 20.08.2018

Eine Lyrikerin liest Gedichte einer Lyrikerin

Eine Lyrikerin liest Gedichte einer Lyrikerin
Verlegerin Sabine Dörlemann (links) und Lyrikerin Nora Gominger sprechen gemeinsam über Dorothy Parker und die deutsche Übersetzung ihrer Gedichte. | © Julia Christiane Hanauer

Wie gestaltet man einen gelingenden Saisonstart? Man nehme eine Lyrikerin, die Texte einer Lyrikerin vorträgt. Hinzu kommt eine Verlegerin, die einen Lyrik-Band herausgegeben hat. Und es entsteht ein wunderbarer Abend mit Nora Gomringer und Sabine Dörlemann, die im Bodman-Haus in Gottlieben gemeinsam über Dorothy Parker und die Arbeit einer Verlegerin sprachen.

Gottlieben. Spitz, scharfzüngig, voller schwarzem Humor, aber auch sentimental und melancholisch – mit oft überraschender Pointe: So lesen sich die Gedichte der amerikanischen Lyrikerin Dorothy Parker, die das Leben in New York liebte und ein Star der dortigen Boheme war. 2017 jährte sich ihr Todestag zum 50. Male, was die Züricher Verlegerin Sabine Dörlemann zum Anlass nahm, einen Gedichtband von Dorothy Parker zu veröffentlichen. Zum ersten Mal in deutscher Übersetzung von Ulrich Blumenbach trägt es den Titel „Denn mein Herz ist frisch gebrochen“.

Nora Gomringer ist eine Lyrikerin der heutigen Zeit, ausgezeichnet mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis 2015. Sie hat die Gedichte von Parker vertont („Texte haben Musikalität“ - sie hat sie in der Hörfassung gesungen) und rezitiert an diesem Abend ausgewählte Werke – manche bringt sie auch gesungen zu Gehör. Schnoddrig, zynisch verleiht sie den geschriebenen Worten ihre Stimme, schmeichelt. Sie gestikuliert, rollt mit den Augen. „Wer den Liebsten muss vermissen“, heisst eine Zeile in einem Gedicht von Parker, „muss sich nicht mit Rosen schmücken.“ „Man kann sich vorstellen, wie sie da sitzt“, sagt Nora Gomringer mit zusammengekniffenen Augen, eine imaginäre Zigarette in der Hand haltend. Sie versteht es ausgezeichnet, die Worte auch in Mimik und Gestik so wiederzugeben, als seien es ihre eigenen.


Mit Gestik, Mimik und Worten bringt Nora Gominger im voll besetzen Obergeschoss des Bodman-Hauses den Besuchern die Werke von Dorothy Parker näher. Bild: Julia Christiane Hanauer

„Ganz verliebt in diese Lyrikerin“

Vielleicht liegt das daran, dass sie „ganz verliebt war in diese Lyrikerin“, die sie mit 14 Jahren für sich entdeckte. Bei einem Aufenthalt in New York machte sie sich auf ins Algonquin-Hotel, wo sich einst die Parker mit ihrem Round Table täglich zum Mittagessen traf. Hier fühlte Gomringer der Lyrikerin nach. Ihre Begeisterung für sie ging so weit, dass sie sich auch in ihrer Matura-Arbeit der Amerikanerin widmete. „Ich war Feuer und Flamme“, erinnert sie sich und zeigt ein Bild von Dorothy Parker, das sie bis heute bei sich Zuhause hat. Auch die beiden Bücher ihrer Matura-Arbeit hat sie dabei – zwei zerlesene Exemplare, vollgestopft mit Zeitungsartikeln über Parker.


Die zwei Werke Dorothy Parkers, die Nora Gomringer in ihrer Matura-Arbeit beleuchtete, vollgestopft mit Zeitungsartikeln über die amerikanische Lyrikerin. Bild: Julia Christiane Hanauer

Sabine Dörlemann plaudert an diesem Abend ein wenig aus dem Verleger-Nähkästchen. Eigentlich, so erzählt sie von ihrer Arbeit, habe sie zuerst ein Werk, das sie herausgegeben wolle, und suche dann einen Übersetzer. Im Fall von „Denn mein Herz ist frisch gebrochen“ sei es genau umgekehrt gewesen. Ulrich Blumenbach, „einer der besten Übersetzer“, wie sie meint und den sie schon lange kennt, sei an sie herangetreten und habe ihr erzählt, dass er sonntags gerne Gedichte von Dorothy Parker übersetze – als Hobby. Das war 2013. Und dabei erwähnte er auch, dass 2017 der 50. Todestag der amerikanischen Lyrikerin sei. Und so war die Idee geboren, zu diesem Anlass die Gedichte in deutscher Übersetzung herauszugeben. „Man kann die Übersetzung auch kritisieren“, sagt Dörlemann, die sie selbst „genial“ findet. Es erfordere Mut, so zu übersetzen wie es Blumenbach getan habe. Über den Inhalt selbst hätten sie nie weiter gesprochen, wichtig sei vor allem gewesen, dass der Rhythmus passe. Um einen Eindruck zu haben zwischen Original und Übersetzung liest Gomringer stets beide Versionen. Und so heisst es beispielsweise in „Ein sehr kurzes Lied“: „Love is for a folk“, Blumenbach übersetze das in „Liebe ist ein Griff ins Klo“. Das hätte er auch gerne als Buchtitel genommen, aber da sei „die Verlegerin dann etwas zurückhaltender gewesen“, erzählt Dörlemann. Die Übersetzung sei eine „Hommage an Parker“.

Manche Texte sind geprägt von Selbstmordgedanken

Auf dem Buch-Cover ist eine Skizze von Dorothy Parker zu sehen – mit einem Fuchs um den Hals. In den gesellschaftlichen Kreisen der New Yorker Boheme fühlte sich Dorothy Parker wohl. Mit 14 Jahren verliess sie die Schule, las jedoch viel Literatur.  Später verfasste sie unter anderem Gedichte über Oscar Wild und andere Schriftsteller ihrer Zeit. Sie macht ihre Dackel zum Thema und auch Männer sind gerne Personen ihrer Gedichte. „Sie zieht über Männer her, konnte aber auch nicht ohne“, sagt Dörlemann. „Sie hat sich mit ihnen gemessen.“ Manche der Texte sind aber auch geprägt von der Melancholie und den Selbstmordgedanken, die die Dichterin hatte. In „Resümee“ schreibt sie über verschiedene Selbstmordarten: Gift mache blass, Klingen ritzten, Gas stinke furchtbar. Ihr Fazit: „Da kannst Du auch leben.“
Parker war nicht nur Lyrikerin, sondern arbeitete unter anderem auch als Drehbuchautorin. Hierfür zog sie nach Los Angeles, um dort für Hollywood zu schreiben. Unter anderem arbeitete sie auch mit Alfred Hitchcock zusammen. Doch glücklich war sie dort nicht, sie vermisste New York, wohin sie später auch wieder ging. Dorothy Parker, selbst Jüdin, setzte sich zudem für Schwarze und Minderheiten ein. Ihr Erbe vermachte sie Martin Luther King und der National Association for the Advancement of Colored People.

Letzte Ruhestätte 21 Jahre nach dem Tod

In dem Lyrikband gibt es zudem ein Nachwort der Übersetzerin Maria Hummitzsch. Sie hat eine Chronik des Lebens von Dorothy Parker erstellt. Diese starb 1967 im Algonquin-Hotel an einem Herzinfarkt. Und so dramatisch ihr Leben schon zu Lebzeiten war, nach ihrem Tod hielt die Dramatik an: Niemand erhob Anspruch auf die Asche der Lyrikerin – und so fand sie erst 1988 ihre letzte Ruhestätte. Ausgerechnet in Baltimore – und nicht in ihrem geliebten New York.


Verlegerin Sabine Dörlemann zeigt das von ihr verlegte Buch „Denn mein Herz ist frisch gebrochen“. Bild: Julia Christiane Hanauer

Mehr zum Thema:

Webseite Nora Gomringer: www.nora-gomringer.de
Webseite Verlag Dörlemann www.doerlemann.com
Video „Dorothy Parker: Denn mein Herz ist frisch gebrochen. Gelesen von Nora Gomringer“ www.youtube.com/watch?v=oA2mmBkePHo

 

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