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von , 27.09.2019

Der etwas andere Märchenonkel

Der etwas andere Märchenonkel
Mit seinem Stück „Die Blumen des Bösen“ gastiert Simon Weiland am 1. Oktober in Kreuzlingen. | © Susanne Schön

Märchen, Sprachspiele, Mythologie - Simon Weiland will mit seiner speziellen Form des Theaters ver- und entzaubern. Am 1. Oktober gastiert er mit dem Programm «Die Blume des Bösen?» in Kreuzlingen.

Es war einmal ein Herr namens Simon Weiland, der mochte Märchen. Ah, ein Märchenerzähler?! Mitnichten! Der Konstanzer war nicht, sondern ist – und zwar Schauspieler, der Grimmsche Märchen für Erwachsene adaptiert und aus Sprachspielen sowie dem Einfluss von Mythologie und Religion seine ganz eigenen Werke fertigt. Mit seinem Stück „Die Blumen des Bösen?“, dem Rotkäppchen zugrunde liegt, tritt er am 1. Oktober in Kreuzlingen auf.

Geht man davon aus, dass jemand, der sich so intensiv mit Märchen auseinandersetzt, bereits im Kindesalter die Begeisterung für diese Geschichten hatte, der irrt. Simon Weiland entdeckte erst während seiner Ausbildung als Atemtherapeut die Erzählungen der Gebrüder Grimm für sich – und zeitgleich auch ihre tiefere Bedeutung. „Sie sind den Menschen sehr nahe. Viele kennen sie“, sagt er.

Doch diese Nähe führe auch dazu, dass das Rätselhafte, das in solch einer Erzählung stecke, oft nicht realisiert werde, die Nähe also zu nah sei. „Warum, beispielsweise, frisst der Wolf Rotkäppchen nicht gleich im Wald, sondern geht über die Grossmutter?“, gibt Simon Weiland ein Beispiel. Zugleich seien die Bezüge von alten Stoffen zur heutigen Zeit wichtig. „Viele Fragestellungen haben bis heute Gültigkeit“. Und auf diese Fragezeichen möchte er den Besuchern bei seinem Auftritt Antworten geben und bisher Rätselhaftes enträtseln.

Video: Trailer zum Programm „Die Blumen des Bösen?“

Der Ersatz von Religion

Mit „Die Blumen des Bösen?“ feiert Simon Weiland in der Schweiz Premiere, denn noch nie zuvor hat er jenseits der Grenze auf der Bühne gestanden. Die Adaption von Rotkäppchen ist eine Auskopplung aus der Trilogie „Leave Paradise – eine Verführung ins Leben“, zu der noch die beiden Stücke „Friss, Vogel, oder stirb!“ (Hänsel und Gretel) sowie „Wo viel Licht ist...“ (Froschkönig) zählen. Alle drei Werke stehen für verschiedene Epochen, die thematisch eingewebt werden: Von der Antike bis zum Christentum, vom Mittelalter bis zur Aufklärung, von der Moderne bis heute.

Und so bildet bei „Die Blumen des Bösen?“ Religion eine der zentralen Säulen. Frage: „Wie wichtig ist für Dich, Simon, Religion?“ „Sehr wichtig“, kommt die spontane Antwort – und kurz darauf der Zusatz: „Andererseits auch wieder nicht.“ Religion spiele eine grosse Rolle, weil sie Allgemeingut sei – und weil heute vieles an ihre Stelle trete. Beispielsweise werde heute gerne die Wirtschaft angebetet – die Verbindung zur Religion sei der blinde Glaube, die Tempel beispielsweise Einkaufszentren.

Video: Der Kardinalfehler aus „Die Blumen des Bösen?“

Auch wenig kann sehr viel sein

Wenn man Simon Weiland gegenübersitzt, kann man sich durchaus vorstellen, wie er auf der Bühne im Scheinwerferlicht steht. Als „armes Theater“ bezeichnet er seine Bühnenshow. Arm, weil er auf die grosse Show, das Brimborium von Technik, verzichtet und sich auf ein einziges Werkzeug fokussiert: sich selbst, seinen Körper, seine Stimme und Sprache. Lediglich unterstützt durch eine Gitarre. „Das ist eine grosse Freiheit“, sagt er. Seinem Publikum möchte er damit auch das Gefühl vermitteln, dass es nicht immer das grosse Scheinwerferlicht sein muss, sondern man auch mit wenig viel hat – und damit sehr gut auskommen kann.

Spricht Weiland, so ist nicht nur das zu hören, was er sagt, sondern es ist auch mit den Augen zu sehen. Mal macht er die seinen so weit auf, dass sie kugelrund erscheinen, mal rollt er mit den Augäpfeln, mal bilden sich tiefe Falten auf seiner Stirn. Und das, was er sagt, unterstreicht er zeitgleich mit Gesten. Ein Mensch in Bewegung, auch wenn er sitzt.

Mimik und Gestik sind nicht nur Teil seiner Performance: Auch im Gespräch unterstreicht er damit das Gesagte. Foto: Helmut Bär

Vom Rotkäppchen zu den Kardinälen - bei Weiland ein kurzer Weg

Und dabei über Assoziationen und Träume spricht, ebenfalls Kernthemen in seinem Musiktheater. Rotkäppchen ist für die meisten wahrscheinlich einfach nur Rotkäppchen, ein Mädchen mit roter Kappe und einem Korb, gefüllt mit leckeren Speisen für die Grossmutter. Doch für Weiland tun sich hier neue Formen auf, er nimmt rote Kappen zum Anlass, um beispielsweise über Kardinäle zu sprechen, die sich in Kardinalstugenden üben.

Er nimmt Redewendungen und Wörter auf, um sie in ihre Einzelteile zu zerlegen und die Gedanken damit auf ganz neue Wege zu bringen. „Ich liebe die Sprache“, sagt der Künstler, der hauptberuflich Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Für ihn ist es ein Wunder, dass ein Mensch einem anderen etwas erzählen kann – und die Botschaft, die er aussenden möchte, beim anderen auch ankommt. 

 

„Märchen sind wie kollektive Träume. Es ist die Sprache der Natur, die dem Menschen helfen möchte.“

Simon Weiland, Schauspieler

  

Zur Sprache gehört auch die Stimme. Steht Simon Weiland auf der Bühne, so schlüpft er in verschiedene Rollen, spricht mit hoher piepsiger Stimme, wechselt in tiefere, bedrohlich klingende Stimmlagen, streicht die Saiten seiner Gitarre und singt ein Lied. „Es macht mir Spass, in verschiedene Rollen zu schlüpfen“ - und auch verschiedene Positionen auf der Bühne einzunehmen. Denn jeder Protagonist hat natürlich auch seinen eigenen Aufführungsort. Links stehe stets das Böse, rechts das Gute, erläutert Simon, der schon früh seine Leidenschaft für die Bühne entdeckte. Mit neun Jahren stand er das erste Mal vor Publikum und gab in der Kirche Songs von den Beatles zum Besten. Der Vater arbeitete zudem beim Fernsehen, Kameras gehörten für den Sprössling zum Alltag.

Simon Weiland verzichtet auf die grosse Show – und konzentriert sich bei seinem Auftritt auf das Wesentliche: sich selbst, seinen Körper und seine Stimme. Bild: Inka Reiter

Weiland will Rätsel auflösen und die Scheinwerfer neu setzen

Eine wichtige Basis in Simons Leben bilden Träume (mit zwölf Jahren fing er an, seine Träume aufzuschreiben und über sie zu reflektieren) – und somit ist es auch nicht verwunderlich, dass er sie in seinen Adaptionen ebenfalls aufnimmt, beziehungsweise sagt „Märchen sind wie kollektive Träume.“ Sie seien Hinweise für den Menschen, wenn etwas nicht stimmt. „Es ist die Sprache der Natur, die dem Menschen helfen möchte“ - wie Märchen eben auch. „Sie sind extrem wichtig.“ Denn wie ein Traum, so sei auch ein Märchen durch die zunächst mündlichen Überlieferungen organisch gewachsen. „Ich empfinde sie wie ein Stück Natur.“

Simon Weiland, ein Märchenerzähler? Nein, er ist einer, der die Rätsel auflösen und mit seinem Auftritt – ganz ohne grosse Scheinwerfer – ein anderes, vielleicht erleuchtendes, Licht auf Märchen werfen möchte. Und ganz nebenbei auch auf Sprache. Denn, so hat er schon des öfteren nach seinen Vorstellungen festgestellt: Sein Publikum versucht sich in eigenen Wortspielen, gesponnen von Assoziationen, die wie Träume fungieren.

Termin: Eintauchen in die märchenhafte Traumwelt von „Die Blumen des Bösen?“ können Interessierte am Dienstag, 1. Oktober, ab 19.00 Uhr im Museum Rosenegg in Kreuzlingen. Der Eintritt ist frei. Es gibt eine Kollekte.

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