von Ute Klein, 13.07.2023
«Erfolg ist ein Zusammenspiel von vielen und vielem.»
Mein Leben als Künstler:in (5): Die Malerin Ute Klein über Kollaborationen und was es braucht, um Künstler:in zu werden. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Arbeite ich allein oder in Kollaborationen? Die Antwort hängt davon ab, was als mein Arbeiten angesehen wird und was man unter Zusammenarbeit versteht.
Wo beginnt das Malen? Mit der Idee, der Geldbeschaffung, der Materialwahl oder wenn ich Farben mische?
Wo endet das Malen? Das ist bei jedem Bild eine neue, grosse Frage, aber mich interessiert auch, was danach drumrum passiert: wie verändert sich die Lesbarkeit des Bildes durch Kombinationen mit anderen Werken, Text oder Musik, welche Wechselwirkungen finden mit dem Raum statt, was bewirkt ein neuer Diskurs? Was ist passiert, dass ein Bild zehn Jahre nachdem ich es das erste Mal gezeigt habe, plötzlich lauter positive Rückmeldungen generiert, teilweise von Menschen, die es damals und dazwischen auch sahen?
«Austausch ist dann spannend, wenn Substanz und Eigenheit da sind, wenn sich Resonanz ereignet.»
Ute Klein, Malerin
Endet meine Arbeit mit meinem Tod?
Zusammen geschaffene und signierte Werke sind kollaborativ entstanden.
Ist eine gemeinsame Ausstellung auch eine Kollaboration?
Beim Lithografen Thomi Wolfensberger zu drucken ist höchst anregend gerade auch wegen der engen Zusammenarbeit im Arbeitsprozess und doch signiere ich.
Zwischen Alleinsein und Austausch
Was ist mit geistiger Auseinandersetzung?
Arbeite ich allein, wenn ich mich an einer Vernissage allein fühle?
Arbeite ich allein, wenn ich allein im Atelier male, aber mich überhaupt nicht allein fühle? Sondern mitten in den Bildern bin, den entstehenden, erinnerten und möglichen Bildern, in den Farbflächen und -netzen nach Wegen und Raum suche, nach einem Klang oder nach Bewegungen und überlege, wo die nächsten Kippungen nötig sind. Beim Kippen arbeite ich mit der Farbe, den Verdünnungsmitteln, den Möglichkeiten des Bildträgers, dem Fliessen und arbeite mit dem Zufall. (My Lien hat bereits erwähnt, dass Zufall nicht nur zufällig ist, sondern man auf ihn zu arbeiten kann: Der Zufall bevorzugt den vorbereiteten Geist)
Wenn ich mich am Computer mit der Suche nach dem aktuell besten Weg für einen Versand abmühe, weil irgendein Update das bisherige Vorgehen verunmöglicht, ist das mühselige Arbeit, und vielleicht haben die Empfänger:innen Adressen oder Programme gewechselt und ich erreiche sie gar nicht.- Austausch hilft: für Tipps und zur Auflockerung. Solche 'kleinen' Zuarbeiten gibt es tausende, nie offiziell erwähnt, dabei erhalten sie die Gesundheit.
Wie sich ein künstlerisches Werk entwickelt
Es gibt das afrikanische Sprichwort: „Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf." Kindsentwicklung ist nicht allein Sache der Eltern oder der Schule, sondern es braucht ein ganzes Netzwerk von Beziehungen, Möglichkeiten, Forderungen, Hilfestellungen und Raum für Erfahrungen um als Mensch wachsen, sein Potential entfalten und Teil der Gesellschaft werden zu können.
Dieses vielschichtige Bild kann man gut auch auf die Entwicklung einer Idee, eines (künstlerischen) Werks und auch des Erfolgs ansehen. Ein Genie, das allein aus sich arbeitet, gibt es nicht, gab es noch nie. Jemand Herausragendes hat spezielle Fähigkeiten, hat die perfektioniert, aber hat auch ein Umfeld gefunden und geschaffen und erhalten, das Weiterwachsen ermöglicht.
Zum Weiterwachsen braucht es Herausforderungen wie Ausstellungsmöglichkeiten oder Räume, aber auch Geld, Anerkennung und Resonanz und vertrauende Ruhe. Auch Erfolg ist immer ein Zusammenspiel von ganz vielen und vielem.
Meine Arbeitsweise: Ziellos, ausschweifend, ausdauernd
Um Künstler:in zu werden, braucht es dieses 'Dorf', dieses weit gespannte Zusammenspiel von Mitgebrachtem, Beigebrachten, Geübtem, Gefordertem und Ermöglichtem, und um Künstler:in zu sein auch und um es bleiben zu können noch mal! Anders als in den meisten Berufen garantieren weder Ausbildung noch Erfolg noch Erfahrung irgendwas (aber sie helfen!).
Wenn mich etwas interessiert, gehe ich dem ziellos, ausschweifend und ausdauernd nach. Wenn es sich gesetzt hat, der Kopf wieder frei ist, fliesst es plötzlich in mein Malen ein.
Und dann möchte ich einfach Zeit, um dranbleiben zu können.
So entspreche ich, allein im Atelier in Mostindien malend, in vielem dem Prototyp des nichtkollaborativen Kunstschaffenden, bin auch keine Partynudel, und doch ist mir Austausch wichtig. Mich interessiert, was gemacht wird und ich gehe (wenn möglich) vor Ort schauen, da die mediale Vermittlung manches erhellt, das Erlebnis im Raum und mit anderen Menschen aber anders und weit vielschichtiger ist.
Digital und real unterwegs
Ich bin digital und real unterwegs um zu sehen, schätze Gespräche um Gesehenes verstehen zu können, um zu vermitteln, um Interessantes zu unterstützen, um für Gelungenes zu danken, um Spielfelder oder Mitspieler:innen zu finden oder wiederzusehen. Austausch ist dann spannend, wenn Substanz und Eigenheit da sind, wenn sich Resonanz ereignet.
Dazu das Erlebnis, das hinter einer meiner obigen Fragen steht: Der Galerist Adrian Bleisch hatte letztes Jahr Conrad Steiner und mich kurzfristig angefragt gemeinsam auszustellen. Ich kenne Conrad seit Jahrzehnten und schätze seine Werke und die tiefgehenden Gespräche über Malerei. Zusammen ausgestellt hatten wir aber noch nie.
Gemeinsam entwickelten wir die Ausstellung 'intersection'. Das Nebeneinanderhängen hat sowohl uns intensiv herausgefordert als auch mit den Besucher:innen zu verblüffend vielen lebendigen Gesprächen geführt. Die einen begannen mit 'das ist ja sehr ähnlich, habt ihr das zusammen gemacht?' und die anderen mit 'das ist ja komplett anders, wieso nebeneinander?' und endeten nicht beim Gegenteil, sondern tauchten ein ins Sehen der Eigenheiten und erzählten davon.
Die Serie «Mein Leben als Künstler:in»
Im Juni 2023 lancieren wir die neue Kolumnenserie «Mein Leben als Künstler:in». Darin schreiben die vier Künstler:innen Ute Klein, Fabian Ziegler, Thi My Lien Nguyen über ihren Alltag und ihre Arbeit. Diese vier Künstlerinnen und Künstler schreiben bis Ende Oktober 2023 regelmässig und abwechselnd ihre Kolumnen für die neue Serie. Sie erscheint ab dem 15. Juni immer donnerstags. Die Vorgaben, die wir aus der Redaktion gemacht haben, waren minimal. In Thema, Stil, Darstellungsform, Tonalität und Medialität sind alle Autor:innen frei. Die Autor:innen können sich aufeinander beziehen, müssen es aber nicht.
Eine kritische Auseinandersetzung mit Dingen, die die Künstler:innen beschäftigen, wie den Bedingungen des Kulturbetriebs oder auch mit dem Kulturleben im Thurgau oder was auch immer, ist genauso möglich wie eine Schilderung des Alltags. Ziel der Serie ist es, ein möglichst realistisches Bild der verschiedenen Künstler:innen-Leben zu bekommen.
Idealerweise entsteht so ein Netz aus Bezügen - interdisziplinär und umspannend. Mit der Serie „Mein Leben als Künstler:in“ wollen wir den vielen Klischees, die es über Künstler:innen-Leben gibt, ein realistisches Bild entgegensetzen. Das soll unseren Leser:innen Einblicke geben in den Alltag der Kulturschaffenden und gleichzeitig Verständnis dafür schaffen, wie viel Arbeit in einem künstlerischen Prozess steckt.
Denn nur wer weiss, wie viel Mühe, Handwerk und Liebe in Kunstwerken steckt, kann die Arbeit von Künstler:innen wirklich wertschätzen. So wollen wir auch den Wert künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft transparenter machen. Neben diesem aufklärerischen Ansatz ist die Serie aber auch ein Kulturvermittlungs-Projekt, weil sie beispielhaft zeigt, unter welchen Bedingungen Kunst und Kultur heute entstehen.
Was wir uns als thurgaukultur.ch auch erhoffen mit der Serie ist, dass ein neuer Dialog der Kulturschaffenden untereinander entsteht, aber nicht nur. Es soll auch ein Austausch mit dem Publikum, also unseren Leser:innen stattfinden. Das geht über unsere Social-Media-Kanäle, in denen wir direkt miteinander diskutieren können oder in der Kommentarspalte zu den einzelnen Beiträgen auf unserer Website. Wenn du konkrete Fragen an die teilnehmenden Künstler:innen hast, wenn dich ein Themenfeld besonders interessiert, dann kannst du mir auch direkt schreiben, ich leite dein Anliegen dann gerne weiter: michael.luenstroth@thurgaukultur.ch
Alle erschienenen Beiträge der Serie bündeln wir im zugehörigen Themendossier.
Von Ute Klein
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- «Meine Bilder wachsen langsam» (15.06.2023)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kolumne
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- Bildende Kunst
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