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Koko-Boss zieht sich zurück

Koko-Boss zieht sich zurück
Wirkt entspannt und erleichtert: Dieter Bös, Mitgründer und langjähriger Geschäftsführer des Konstanzer Konzertbüros Koko, zieht sich aus dem operativen Geschäft zurück. "Ich will gehen, wenn ich den Zeitpunkt noch selbst bestimmen kann", sagte Dieter Bös im Gespräch mit thurgaukultur.ch | © Michael Lünstroth

Noch bis zuletzt hatte Dieter Bös nicht amtsmüde gewirkt. Doch jetzt ist klar - der erfahrene Konzertmanager steigt bei dem von ihm mit gegründeten Veranstalter Koko aus. Auch sein Kompagnon Armin Nissel nimmt seinen Hut. Der Standort Konstanz wird zum 31. Januar 2017 Geschichte.

Von Michael Lünstroth

Diese Nachricht dürfte für heftiges Rauschen in der Region sorgen: Die beiden langjährigen Geschäftsführer Dieter Bös (62) und Armin Nissel (63) ziehen sich zum 31. Oktober 2016 aus dem operativen Geschäft des Konzertveranstalters Koko & DTK Entertainment zurück. "Wir haben unsere Anteile an unseren Mit-Geschäftsführer Marc Oßwald verkauft. Er wird künftig die Geschäfte von Freiburg aus leiten", erklärte Dieter Bös im Gespräch mit thurgaukultur.ch Das bedeutet auch - das Kartenbüro in Konstanz wird schließen. Zum 31. Januar 2017 soll hier Schluss sein. Das Geschäft mit dem Thekenverkauf war zuletzt ohnehin nicht mehr so lukrativ, die meisten Menschen kaufen ihre Konzertkarten längst im Internet. Nicht nur in Konstanz, auch im Thurgau hatten die umtriebigen Veranstaltungsmanager Dieter Bös und Armin Nissel immer wieder Konzerte und Aufführungen auf die Beine gestellt.

Die Konzertagentur Koko & DTK Entertainment wurde 1978 von Armin Nissel, Dieter Bös und Clemens Zipse als „Konzertbüro Konstanz" gegründet und entwickelte sich über die Jahre von einem kleinen Konzertbüro in Konstanz zu einem der grössten Veranstalter Baden-Württembergs mit Büros an den Standorten in Konstanz und Freiburg. Jährlich stattfindende Festivals wie Rock am See, Zelt-Musik-Festivals, Brass Wiesn Festival und Sommer Open Air Veranstaltungen sowie Konzerte namhafter Stars aus dem internationalen Musikbusiness gehören unter anderem zum Portfolio. Mit 28 festen Mitarbeitern hatte das Unternehmen zuletzt bis zu 300 Konzerte und Festivals im Jahr veranstaltet.

Rock am See steht womöglich vor dem Aus

Was der Rückzug von Bös und Nissel für Konstanz als Veranstaltungsort bedeutet, ist derzeit kaum abzusehen. Klar scheint aber, dass die grösste Stadt am Bodensee nicht mehr so im Fokus des Unternehmens liegen wird wie bisher. Ganz aussteigen will zumindest Dieter Bös nicht. Er wird als Selbsständiger weiter für Koko tätig sein und unter anderem Programme und Festivals in Konstanz, Meersburg und Singen betreuen. Auch beim Freiburger Zelt-Musik-Festival wolle er weiter mitmischen.  Lediglich zu Rock am See, dem ältesten Festival des Veranstalters, wollte er sich nicht festlegen. Die Marke sei zwar etabliert, aber noch sei offen, ob es das Festival in seiner bisherigen Form weiter geben werde. Ein mögliches Aus dürfte vor allem bei den vielen Rockfans in der Region für Bestürzung sorgen. Wenngleich sich bereits in den vergangenen Jahren angedeutet hatte, dass es immer schwierier wird, dieses Ein-Tages-Festival attraktiv und wirtschaftlich zu gestalten. 2014 war Rock am See mangels geeignetem Headliner beispielsweise ersatzlos ausgefallen.

Auf die Frage, was letztlich den Anstoss für den Ausstieg gegeben habe, sagt Bös: "Das auch in diesem Jahr schlecht gelaufene Rock am See mit nur 15.000 Zuschauern hat ebenso dazu beigetragen wie die Tatsache, dass das Geschäft immer schwieriger und der Ton insgesamt rauer geworden ist", bekennt Bös. Ausserdem sei es für ihn mit 62 Jahren jetzt ein guter Zeitpunkt, um auszuscheiden. "Diese Entscheidung habe ich nicht übers Knie gebrochen", erklärt der Konzertmanager. Er sei vor allem froh, dass er nicht durch eine feindliche Übernahme aus dem Unternehmen gedrängt werde, sondern dass er die Nachfolgeregelung habe massgeblich mitgestalten können.  

Dieter Bös will in der Neu-Positionierung auch eine Chance sehen. "Wenn mir der ganze Ballast der Büro- und Verwaltungsarbeit von den Schultern genommen ist, kann ich mich jetzt noch detaillierter um das künstlerische Programm kümmern und noch kreativer an die Planung gehen", sagt der 62-Jährige.

 

KOMMENTAR

 

Chance und Risiko


Zunächst mal muss man wohl vor allem eines konstatieren: Der überraschende Ausstieg von Dieter Bös und Armin Nissel beim Konzertveranstalter Koko & DTK Entertainment ist ein Verlust für die Region. Noch ist nicht genau abzusehen, was es wirklich für den Kulturkalender der Region bedeutet. Aber beide haben sich über die Jahre immer wieder auch leidenschaftlich für die Standorte Konstanz und Kreuzlingen eingesetzt. Ihr Engagement und ihr Verantwortungsgefühl für unsere Gegend werden fehlen.


Fehlentwicklungen bei Rock am See waren entscheidend

 

Die Gründe für das Ende sind nicht ganz so einfach benennen. Sie sind mannigfaltig. Entscheidend dürfte jedenfalls gewesen sein, dass der kommerzielle Erfolg am Ende nicht mehr so gross war, wie es offenbar erwartet wurde oder wie es auch die beiden Männer von sich erwartet hatten. Die Fehlentwicklung von Rock am See spielt da eine wichtige Rolle. Mit verschiedenen Entscheidungen hatte Bös versucht das Ruder rumzureissen und es am Ende über erhöhte Eintrittspreise, falsche Terminierungen und aus Sicht vieler Zuschauer unattraktiver Headliner nur weiter in das Schlamassel getrieben. Nicht, dass wir uns falsch verstehen - künstlerisch war vor allem das letzte Rock am See eines der Besten seit Jahren. Wenn es sich aber an der Festivalkasse nicht auszahlt, dann muss irgendjemand, irgendwann die Verantwortung dafür tragen und Konequenzen ziehen.

 

Der Rückzug ist nun die erste Konsequenz daraus. Wenn man Dieter Bös heute über Rock am See reden hört, dann ist da durchaus eine gewisse Desillusionierung heraus zu hören. Liebe Rocker in der Region, ihr müsst jetzt stark sein: Es ist nicht ausgeschlossen, dass es Rock am See 2016 zum letzten Mal gab.

Massiver Konkurrenzdruck macht es kleinen Veranstaltern schwer

Fehlentscheidungen hin oder her - Bös und Nissel hatten aber auch an der Gesamtlage der Branche zu knabbern. Nach dem Einbruch der Einnahmequelle CD oder Platte, setzten sehr viele Unternehmen auf das Live-Erlebnis. Tourneen sind für Künstler heute der einzige Weg, um noch richtig Geld zu verdienen. Das macht sich im Markt bemerkbar. Die Gagenforderungen steigen, die Zahl der Festivals steigt, der Konkurrenzdruck wird immer grösser. Früher oder später bleiben die kleineren Player auf der Strecke. Und Koko, auch das muss man sich eingestehen, zählt, bundesweit oder international betrachtet, dann doch immer noch zu den eher kleineren Playern.

 

Nun gibt Koko ja nicht komplett auf. Die Geschäfte werden weiter geführt, nun eben vor allem aus Freiburg. Eine Stadt, die, wenn man ehrlich ist, schon in den verganenen Jahren immer stärker zur Heimat des Veranstalters wurde. Auch wenn man aktuell eher negative Auswirkungen für unsere Region befürchten muss, so könnte in dem Neuanfang auch eine Chance liegen. Programmatisch war Koko, man muss das leider so sagen, in den vergangenen Jahren nicht immer auf der Höhe der zeitgenössischen Pop- und Rockmusik. Präsentiert wurde doch allzuoft das immer Gleiche. Die jährlichen Toten Hosen oder Ärzte bei Rock am See liessen grüssen. Gehen wir also davon aus, dass Bös und Nissel, vielleicht unterstützt von ein paar talentierten Nachwuchs-Bookern, durch die Entlastung bei der Verwaltung des Geschäftes mit frischen Augen auf die Programmierung der Festivals blicken können, dann gibt es Grund zur Hoffnung. Mit etwas mehr von immer dem Gleichen ist es nämlich nicht mehr getan.

Die Hoffnung: Die ökonomische Betrachtung 

Zu guter Letzt - rein ökonomisch betrachtet bietet der Rückzug der einen auch die Chance auf den Zuzug der Anderen. nach Jahrzehnten des nahezu monopolistischen Gebietsanspruchs von Koko rund um den Bodensee, könnten sich jetzt, mit dem Rückzug der beiden bisher so starken Koko-Männer, auch Wettbewerber motiviert fühlen, nach Konstanz zu kommen. Für das Kulturangebot in der Region wäre das eher eine gute Nachricht.

Michael Lünstroth

 

 

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