von Brigitta Hochuli, 09.05.2012
Kreuzlinger Kulturinitiative lebt

Kultur im Shop: Im Schiesser-Areal kam in den letzten Wochen kultureller Pioniergeist zum Zug. Viele wünschen sich, er möge nachwehen. Und sammeln Unterschriften.
Brigitta Hochuli
Dienstag für Dienstag trifft sich seit Anfang März ein bunt gemischtes Publikum zu „Kultur im Shop“ im ehemaligen Fabrikladen des Wäscheproduzenten Schiesser in Kreuzlingen. „Fat Tuesdays“ nennt Initiantin Christine Forster diese Tage. So heisst auch ein Drink, den die jungen Barbetreiber mit Wodka, Fruchtsäften und Crushed Ice zubereiten. Dazu gab‘s und gibt‘s kulinarische und Kulturhäppchen von Musik über Film bis hin zu Tanz zu Schnäppchenpreisen. Ende Mai schliesst „Kultur im Shop“. Danach wird das beliebt gewordene Lokal an die Nationale Elitesportschule Thurgau vermietet.
Kulturforum und Unterschriftensammlung
„Kultur im Shop“ entstand aus einer Arbeitsgruppe rund um die Kreuzlinger Freizeit-Stadträtin Dorena Raggenbass. Das Ziel: Das seit Dezember 2008 im Besitz der Stadt liegende Schiesser-Areal dereinst in ein Kulturzentrum umzubauen. Inhaltlich ist das Ziel nicht ausformuliert. Ideen sollen an einem Kulturforum am 2. Juni zusammengetragen werden. Kleine Schritte seien angesagt, sagt Raggenbass. „Mit den geladenen Teilnehmern aus den Bereichen der Kulturarbeit, Behörde, Künstlerschaft und Wirtschaft wird unter anderem auch das Bedürfnis eines solchen Kulturorts besprochen. Daraus wird sich vielleicht eine weiteres Projekt entwicklen.“
Erlebt hat die Stadträtin „Kultur im Shop“ bisher äusserst positiv. Die Gäste hätten sich spürbar wohl gefühlt, und die fast familiäre Atmosphäre habe mögliche Hemmschwellen auch für Einzelgäste sofort abgebaut. Die unterschiedlichen Kulturangebote auf der Bühne hätten dafür gesorgt, dass auch unterschiedliche Alters- und Interessensgruppen in den Shop gekommen seien. Dass zurzeit Unterschriften für eine „(inter)kulturelle Begegnungsstätte mit Gastronomie und Kulturprogramm“ gesammelt werden, begrüsst Dorena Raggenbass. Eine Rückmeldung mit konkret formulierten Wünschen sei immer aufschlussreich für die Planung eines Projektaufbaus.
Kanton erwartet Signal
Wie dieses Projekt aussehen könnte, hat der kantonale Kulturamtchef René Munz schon bei früherer Gelegenheit formuliert. Das Schiesser-Areal sei ideal für ein multifunktionales Kulturzentrum mit Kunstraum, Aufführungs- und Proberäumen für das Theater an der Grenze und das See-Burgtheater, für Musik- und Tanzveranstaltungen wie auch fürs Z88 oder für die Stadtmusik. Munz wünscht sich zudem eine Kulturbeiz und Künstler-Ateliers. Er würde sich „auf jeden Fall dafür einsetzen, dass ein grosszügiges Projekt mit Kantonsbeiträgen unterstützt wird“. Voraussetzung sei allerdings, „dass die Stadt einmal klar signalisiere, dass ihr ein solches Kulturzentrum ein Anliegen sei. Denn ohne Stadt gehe gar nichts. „Wenn die temporären Aktivitäten von 'Kultur im Shop' einen Anstoss geben könnten für eine umfassende Entwicklung, würde mich das sehr freuen“, sagte Munz.
Spartenübergreifender Ansatz bewährt sich
Mit diesen Aktivitäten ist Kultur-im-Shop-Projektleiterin Christine Forster zusammen mit einem jungen Team bisher auf viel Goodwill gestossen. Das Konzept habe sich bewährt. Dass an einem bestimmten Wochentag Kulturelles ohne Eintritt und ohne grosse Ambitionen geboten werde, gefalle ihr. An den Wochenenden könnten in Zukunft die ehrgeizigeren Projekte auf die Bühne gebracht und verschiedene Veranstalter ins Boot geholt werden. Für Kreuzlingen wünscht sie sich ein Kulturzentrum mit mindestens einem schönen Aufführungsraum und einer separaten Kulturbeiz. Im Schiesser Areal gebe es zudem einen wunderschönen und verwunschenen Innenhof für ein Gartenrestaurant.
Während der Projektphase von „Kultur im Shop“ hat sich nicht nur der dem städtischen Ausländeranateil von über 50 Prozent angepasste interkulturelle Ansatz bewährt. Es haben sich im Areal auch verschiedene Veranstalter zur Zusammenarbeit gefunden. Im Projektlokal gastierte das Freie Theater mit dem Stück „Hereinspaziert“, im Ladengebäude hat das See-Burgtheater seine Requisiten eingelagert und zudem im Kunstraum „Frida - viva la vida“ mit Astrid Keller aufgeführt. Dort hat auch das „forum andere Musik“ mit der Reihe „manthan(west)“ einen attraktiven Veranstaltungsort gefunden. Zu den Ausstellungen des Kunstraums wurden von „Kultur im Shop“ regelmässig Besucher geschickt - und zwar über die interne Treppe im gleichen Haus.
Genau das brauche Kreuzlingen ja auch, findet Christine Forster: Dass die verschiedenen Sparten ähnliche Themen behandelten, und das am bestem gleichzeitig und am gleichen Ort. „Nur so finden wir hier zu einer eigenen Identität, die uns in Kreuzlingen, wenn es sie denn jemals gab, wirklich fehlt oder abhanden gekommen ist. Sich als Kreuzlingerin oder als Kreuzlinger fühlen und sich dabei bewusst sein, dass man im gleichen Boot sitzt wie viele andere, das ist doch zentral für das Wohlbefinden am Wohnort. Die Kultur und eine kulturelle Begegnungsstätte können uns auf dem Weg der Identitätsfindung sehr unterstützen.“ In diesem Sinn hoffe sie auch, dass nach dem Kulturforum von Anfang Juni einige Beschlüsse gefasst würden und es neben der Stadt weitere Personen gebe, die bereit seien, sich für ein Kulturzentrum einzusetzen.
Ein Muss für Kreuzlingen
Den Enthusiasmus und die Hoffnungen von Christine Forster teilen auch die Theaterleiter Leopold Huber und Jean Grädel sowie Kunstraum-Kurator Richard Tisserand. Die Zusammenarbeit sei super, findet Leopold Huber vom See-Burgtheater. Die Möglichkeiten des Areals müssten unbedingt beim Schopf gepackt werden und sollten nicht - wie so oft in Kreuzlingen - „wegen Desinteresse, Bequemlichkeit und Phantasielosigkeit ungenutzt bleiben".
Kollege Jean Grädel vom Freien Theater Thurgau spricht von einem „Aufsteller“, mit so engagierten Menschen wie dem Team um Christine Forster zusammenzuarbeiten. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, nein ich bin sogar der Meinung, das sei ein Muss für Kreuzlingen, dass im Schiesser Areal ein Zentrum für Kultur entsteht.“ Der Fabrikladen eigne sich als Treffpunkt und Kulturcafé, in dem auch musikalische, literarische und Kleintheater-Produktionen auf einer kleinen Bühne veranstaltet würden. Jean Grädel erinnert sich an die "café-théâtre" in Paris, die in den 60er bis 80er Jahren Hochblüte gehabt hätten. „Viele Talente sind dort ausprobiert und entdeckt worden. Das kann auch in Kreuzlingen realisiert werden.“ Der Shop eigne sich im Übrigen auch für Diskussionen, Debatten, Lesungen und wie man gesehen habe sogar für Filmvorführungen. Für "Hereinspaziert" sei das Setting und die Sicht für die Zuschauer wegen der Säulen allerdings suboptimal gewesen. „Aber wir haben uns arrangiert!“.
Viel gelaufen ist auch im sonst eher ruhigen Kunstraum. Zurzeit sei das Programm mit all den Anlässen des „forums andere musik“, des See-Burgtheaters, mit einem Kunstraum-Diner, mit den Ausstellungen und seiner Küche als Umkleideraum für die Schauspieler von Jean Grädel ja gewaltig und auch aufreibend, sagt Kurator Richard Tisserand. Dass eine Kulturbeiz notwendig sei, weiss jetzt aber auch er. „Am besten in einem Haus, wo sowieso Kultur stattfindet.“ Dass es so weit kommen möge, dafür werden jetzt Unterschriften gesammelt. Einige sprechen von einer Demo. Und eine Facebookgruppe hat bereits gegen 300 Mitlgieder.
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Wörtlich zitiert
„Wir lesen jeden Tag in den Zeitungen, dass man Ausstellungen- und Theater hier und da besuchen kann, doch eine Atmosphäre, wie sie die letzten Monaten im Kultur im Shop zu erleben war, ist eine einzigartige Sache. Ich konnte in dieser Zeit einige der Veranstaltungen besuchen, sei es die Ausstellung der Seminarschüler, die ihre Arbeiten vorstellten oder die rumänischen Musiker oder der einzigartige Flamenco y amigos Abend. Jede dieser Vorstellungen war eine andere Art Kultur, Spass an der Musik, an der Malerei, am Tanz oder am Theater zu erleben.
Da ich selber im Theater mitgespielt habe, wurde mir dieser Raum bald vertraut mit den Menschen, die ihn geleitet haben mit viel Freude. Im Kultur im Shop hat man durch diese Veranstaltungen Leute zusammen gebracht in einer familiären Art, und man hat Kultur in Kreuzlingen in einer neuen, speziellen Form vermittelt bekommen, konnte dies ganz nah miterleben und auch oft mitwirken. Man merkte, dass die Gäste bei jedem Auftritt der Theatergruppe oder an einer der anderen Veranstaltungen Freude hatten und sich wohl fühlten. Man blieb auch nach den Vorstellungen und sprach darüber; man schloss neue Bekanntschaften, es war oft wie eine Party mit Freude an kulturellen und interkulturellen Veranstaltungen. Dies habe ich zumindest so empfunden, man konnte ungezwungen sein, wie daheim; es war einfach eine gute Durchmischung auch der Veranstaltungen, und ich denke, dass dies in Kreuzlingen für interessierte Kreuzlingerinnen und Kreuzlinger fehlt. Daher würde ich mir wünschen, dass dieses Projekt unbedingt in Kreuzlingen weiterhin bestehen bleibt - und zwar genau in dieser Form.“
Ana Tomás, Präsidentin des Ausländerbeirats Kreuzlingen und Mitspielerin im Stück „Hereinspaziert“ des Freien Theaters Thurgau

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