22.06.2012
Kulis KulThurbetrachtung 31

Am Sonntag streife ich durch den Flohmarkt von Konstanz-Kreuzlingen. Immer wieder bleibe ich bei einem der 1000 Stände stehen, schaue mir Bücher und Bilder an, immer auf der Suche nach dem ganz Speziellen. Tief stecke ich meine Nase in vergilbte Papiere, es riecht nach ungelüfteten Dachböden, nach Schimmel. Es ist schon Mittag, als ich in einer Seitenstrasse auf einen einsamen Stand voller Bücher stosse. „Was suchst du?“, will die Verkäuferin wissen. „Etwas über den Kanton Thurgau“, erkläre ich, „einen Knaller!“
*
Sie lächelt freundlich. „Bist du Kuli? Der Kolumnist?“ Ich nicke erstaunt. „Man kennt mich hier in Konstanz?“ Ohne zu antworten kramt sie in einer Kiste. „Das hier könnte dich interessieren.“ Sie reicht mir ein schwarz eingebundenes Buch. „Thurgauer Tage“, steht auf der Umschlagseite, dazu die Initialen J. L.; ich blättere eine Seite um. „Der Fussballclub Frauenfeld ist eine grosse Herausforderung für mich, ohne die Texte von H. würde ich hier verzweifeln.“ Und weiter hinten. „Nach einer Trainingseinheit bin ich nach Gerlikon gefahren, diese Weite hier draussen. Unglaublich! ‚Die blauen Berge seh ich gern, sie sind so hoch, sie stehn so fern! Doch weiter noch mein Wünschen fliegt, - ob nicht mein Glück dahinter liegt?‘ Nun weiss ich aus den Worten des Meisters, dass ich nicht bei diesem Provinzclub versauern werde, das Schicksal hat Grosses mit mir vor, hinter den ‚Blauen Bergen‘, da liegt Deutschland. Da liegt mein Glück!“
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Die Verkäuferin lächelt. „Na, was sagst du?“ „Fantastisch. Wie viel?“ „Einhundertfünfzig, Kuli, das ist fast geschenkt!“ Ich lege das Buch zurück, will etwas essen und mir die Sache überlegen. Eine halbe Stunde später bin ich zurück, entschlossen, das Tagebuch zu kaufen, doch der merkwürdige Stand ist nicht mehr zu finden, nur ein vergilbtes Blatt liegt an seiner Stelle. Enttäuscht stecke ich das Blatt ein und lasse mich durch den Markt treiben. Immer mehr Fussballfans sind unterwegs, am Abend wird Deutschland an der EM spielen.
*
Wütend über mich selber fahre ich zurück in den Thurgau, am Abend setze ich mich vor den Fernseher. Jogi Löw, der Trainer der Deutschen steht an der Seitenlinie und murmelt etwas vor sich hin. Ich ziehe das Blatt vom Flohmarkt aus der Tasche und spreche mit Löw im Takt: „Das schafft mir Lust, im Morgenwehn, in der Kette der Mähder zu stehn! Frische Gesellen, zäh und stark, blosse Arme, gebräunt und voll Mark, wie die Sensen sirren und fliegen, breite Schultern im Takt sich wiegen…“ Die ‚frischen Gesellen‘ aus Deutschland sind nach diesem Abend eine Runde weiter - mit moralischer Hilfe aus dem Thurgau. Der zwölfte Mann auf dem Feld heisst Huggenballer. Entschuldigung, natürlich Huggenberger.
Kuli
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