von Niculin Janett, 08.10.2016
Mittendrin statt nur dabei
An der Jamsession im Frauenfelder „Kaff" wurden am Mittwoch die Gewinner der Generations-Preise verkündet. Danach wurde munter über Jazzstandards improvisiert. Niculin Janett war mittendrin statt nur dabei.
Niculin Janett
Jamsessions sind grundsätzlich immer gleich. Musiker, die sich mehr oder weniger kennen (oder auch nicht) stehen zusammen, werden sich einig darüber, welchen Song sie spielen wollen (oder auch nicht). Sie spielen besagten Song zusammen und finden einen gemeinsamen Schluss (oder auch nicht). Aus dem Augenwinkel betrachtet gleicht jede Session der anderen. Und doch ist es interessant, wie sich die Dynamik an solchen Sessions unterscheidet.
Natürlich, ein Rock-Jam ist definitiv etwas anderes als eine Freejazz-Session. Vergleichen wir aber nun normale Jazz-Sessions miteinander. Persönlich kann ich da von drei verschiedenen Erfahrungen berichten. Da wäre einmal die Jazzbaragge in Zürich, eine Session, die ich seit Jahren regelmässig besuche. Eine Jamsession mit sehr hohem Niveau: Die spannendsten (Jazz-) Musiker von Zürich kommen hier zusammen und loten neue Wege über alte (und neue) Stücke aus. Man kennt sich, ist kollegial oder gar befreundet und versucht miteinander gute, niveaustarke Musik zu machen.
Das sportliche Jammen
Die zweite Erfahrung habe ich in New York City gemacht. Dort weht ein etwas anderer Wind. Zugegeben, es hängt von der Location ab, wie stark ausgeprägt die Tendenz ist. Aber die Sessions, die ich dort erlebt habe, sind öfter etwas machoid. Will heissen, man versucht doch immer mal wieder, den vorherigen Spieler zu übertrumpfen. Es hat etwas Sportliches an sich, wenn zwei Tenorsaxophonisten nacheinander über Coltrane's „Countdown" spielen und sich gegenseitig auszustechen versuchen. Sportlich aber auch in diesem Sinne, dass man danach zusammen an der Bar steht und sich zuprostet und nicht böse anstarrt. Eine gegenseitiges „pushen" sozusagen. Man muss sich aber, als zurückhaltender Europäer, etwas an diese Situation gewöhnen. Zumindest war es für mich so, damals.
Das schulische Jammen
Kommen wir nun zur dritten Erfahrung, und das sind Jamsessions wie zum Beispiel am „Generations" oder in anderen schulischen Situationen, wie etwa die Jamsessions, die jeweils im Rahmen der internationalen Treffen der Jazzhochschulen stattfinden.
Ich möchte hier einmal mehr erwähnen, dass dies sehr Subjektive Betrachtungen sind und nicht zwingend auf jeden zutreffen. In meinen Augen haben eben diese Sessions aber tatsächlich etwas Schulisches an sich. Es ist selten, dass eine solche Session ausbricht. Meistens bewegt man sich in einem sehr gesitteten Rahmen und spielt den Jazz amtlich, wie er sein sollte. Das ist nicht schlecht, da diese Musik so ja durchaus wirklich gut klingt.
Es kann aber auch etwas steif sein. Dazu kommt, dass es sehr einfach ist in solchen Momenten, sich mit anderen zu vergleichen. Davor bin auch ich selbst nicht gefeit.
Das selber Jammen
Immer mal wieder kommt es vor, dass ich selber während des Spielens gegen mich selber antrete. So auch an besagtem Mittwoch im Kaff. Mitten in einem Chorus von „Stablemates" begann ich plötzlich nachzudenken, was jetzt wohl der Mark Turner über die Linie denkt, die ich gerade gespielt hatte. Das kann einen schon etwas aus dem Konzept bringen. Beim „amtlichen" Jazz gibt's nichts, wohinter man sich verstecken könnte. Die Situation ähnelt vielleicht derjenigen eines Pianisten, der die Mondscheinsonate einem Publikum aus Klassik-Experten vorzutragen hat. Man ist nackt.
Solche kurze Momente des Zweifels können einen ganz schön aus dem Konzept bringen. Die Motorik beginnt wackelig zu werden, die Improvisation konfus. Tatsächlich bemerkt der Zuhörer dann erst diese Unsicherheiten und nicht die Zweifel, die der Ursprung des Malheurs sind. - Als ich nun neben Mark Turner stand und versuchte, meine Kreativität in kontrollierbare Bahnen zurückzulenken, wurde mir aber plötzlich auch bewusst, wie toll dieser Moment eigentlich ist, neben einem solchen Kaliber von Musiker zu stehen und dessen Inspiration aufzusaugen. Die Situation war gerettet! Jazz wäre eben nicht Jazz, wenn nicht am Ende trotz allem die Lockerheit und der Spass im Vordergrund stünde.
Generations-Preise
Diese gegenseitige Unterstützung zeigte sich auch bei der Verkündung der Preisträger des diesjährigen Generations-Workshop, die an diesem Mittwochabend vor dem Beginn der Jamsession erkoren wurden. Jubelnd applaudierten die Studenten den Gewinnern, die gemeinsam als die Generations-Unit 16 mit Leader und Posaunist Adrian Mears auf eine Tournee gehen werden: Sängerin Yumi Ito (CH), Trompeter John Otten (USA), Saxophonist Tobias Pustelnik (AUT), Posaunist Paco Andreo (FRA), Pianist Addison Frei (USA), Bassist Noel Mason (USA) und Drummer Valentin Duit (AUT).
Addison Frei gewann zusätzlich den Einzelförderpreis und damit eine finanzierte Studio-Aufnahme. Man klopfte sich auf die Schulter und begann danach, als ob grad nix passiert wäre, zusammen Musik zu machen. Etwas schulisch vielleicht, aber trotzdem wirkungsvoll. Gerade auch dank der phänomenalen Präsenz des grossartigen Tenoristen Mark Turner.
Mark Turner demonstriert cool, wie man das Akkordmaterial eines Blues zu seinem Eigen machen kann. Video: Niculin Janett
Zu Mark Turner aber nächste Woche mehr, im grossen Interview über Musik, Vorbilder und das Lernen und Lehren und dessen Auswirkungen auf sich selbst und andere.
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Bildstrecke zum generations16 von A bis Z
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