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11.11.2019

Preis für Grenzsprengungen

Preis für Grenzsprengungen
Die Preisträgerinnen und Preisträger der IBK-Förderpreise 2019 in der Sparte Interpretation zeitgenössischer Musik mit der IBK-Vorsitzenden und Vorsteherin des Departementes für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau, Regierungsrätin Carmen Haag (links), Margrit Bürer, Leiterin des Amtes für Kultur des Kantons Appenzell Ausserrhoden und Vorsitzende der IBK-Kommission Kultur (2.v.l.) und Martha Monstein, Leiterin des Kulturamtes des Kantons Thurgau und Mitglied der IBK-Kommission Kultur, diesjährige Juryvorsitzende (rechts). | © Raffael Soppelsa

Mit Simone Keller und Irina Ungureanu wurden zwei aus dem Thurgau stammende Musikerinnen von der Internationalen Bodenseekonferenz ausgezeichnet. Die Preise sind auch Lohn für regelmässige Grenzsprengungen.

Regierungsrätin Carmen Haag, Vorsteherin des Departementes für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau und IBK-Vorsitzende 2019, sagte laut Medienmitteilung bei der Preisvergabe am 6. November in der Kartause Ittingen in ihrer Begrüssung: „Die Musikerinnen und Musiker, die heute mit einem IBK-Förderpreis ausgezeichnet werden, machen mit ihrer Musik etwas, was der IBK ein grosses Anliegen ist: Grenzen überschreiten, Grenzen ausloten, Grenzen verwischen und verfliessen lassen.“

Die diesjährige Juryvorsitzende, Martha Monstein, Leiterin des Kulturamtes des Kantons Thurgau und Mitglied der IBK-Kommission Kultur erläuterte demnach zur diesjährigen Sparte: „Interpretinnen und Interpreten zeitgenössischer Musik zeichnen sich durch grosse Experimentierfreude und Abenteuerlust aus. Alle 18 Nominierten loten Grenzen aus, sind stets auf der Suche nach Neuem, bisher Ungehörtem und verbinden dies mit höchstem spielerischem Niveau. Dazu engagieren sie sich in der Vermittlung zeitgenössischer Musik und zeigen mit innovativen Projekten die grosse Bandbreite der Sparte.“

Margrit Bürer, Leiterin des Amtes für Kultur des Kantons Appenzell Ausserrhoden und Vorsitzende der IBK-Kommission Kultur unterstrich das Ziel der IBK-Förderpreise: „Mit ihren jährlichen Förderpreisen ermöglicht die IBK Künstlerinnen und Künstlern mit einem besonderen Potential grenzüberschreitend eine breitere öffentliche Wahrnehmung und sensibilisiert die Öffentlichkeit auf die Vielfalt und den Reichtum des künstlerischen Schaffens im Bodenseeraum.“

Nominiert vom Kanton Thurgau: Die Sopranistin Irina Ungureanu. Bild: A. Zahler

Sieben Förderpreise für Interpretinnen und Interpreten zeitgenössischer Musik

Die Preisträgerinnen und Preisträger wurden von einer internationalen Fachjury aus insgesamt 18 Nominationen ausgewählt. Die sieben jeweils mit 10.000 Schweizer Franken dotierten Förderpreise wurden überreicht an:

Simone Keller, Klavier, nominiert vom Kanton Thurgau. Auszug aus der Jurybegründung: „Simone Keller ist eine Grenzgängerin an der Schnittstelle von zeitgenössischer Musik und experimenteller Improvisation. Sie ist sowohl als Solistin wie auch als Mitglied des Ensemble TZARA und des Kukuruz Quartett […] erfolgreich unterwegs […]. Besonders beeindruckend sind ihre interdisziplinären Vermittlungsprojekte, in denen sie Brücken zu Menschen schlägt, die ins soziale Abseits zu geraten drohen […]. Ob mit Klavier, Toypiano, Melodica oder einfach nur mit Alltagsgegenständen und Kontaktmikrofonen ausgestattet: Simone Keller ist eine der innovativsten Schweizer Pianistinnen.“

Auszug aus der Begründung der Jugendjury: „Simone Keller ist nicht nur eine hervorragende Interpretin zeitgenössischer Musik, sondern auch eine Künstlerin, welche die gesamte Bandbreite dieses Genres fördert, weiterbringt und publikumsnah inszeniert. […] Zudem bewegt sie sich an der aktuellen Schnittstelle zur performativen zeitgenössischen Kunst bzw. der Theatermusik […]. Ihr Fokus ist aussergewöhnlich und auch die Vermittlungsarbeit […] sucht in der Branche Ihresgleichen.“ 

Irina Ungureanu, Gesang, nominiert vom Kanton Thurgau. Auszug aus der Jurybegründung: „Wenn sie singt, explodieren die Farben. Es ist nie gleich. Ja, wenn Irina Ungureanu singt, dann nimmt sie uns mit. Auf eine Weltreise für die Ohren. […] Irina schenkt sich nichts. […] Irina Ungureanus Stimme lotet die entlegensten Winkel der musikalischen Welt aus. Um immer wieder in die Mitte, in ihre Mitte zurückzukehren. […] Während andere ihre interpretatorischen Kreise drehen, ist ihr Umgang mit der Stimme schöpferisch, originell und sehr klug. Sie findet, erfindet das Singen immer ein wenig neu.“

Nominiert vom Kanton Thurgau: Die Pianistin Simone Keller. Bild: zVg

Faszinierendes Spiel und grosses Teamplay

Brigitte Helbig, Klavier, nominiert vom Freistaat Bayern. Auszug aus der Jurybegründung: „Ein kristallklarer Klang, der von der federzarten Skizze bei Messiaen bis zur brachialen Hammerhärte bei Boulez reicht und eine gestalterische Freiheit, die mit absoluter rhythmischer Kontrolle einhergeht: das ist es, was das Spiel Brigitte Helbigs so faszinierend macht. […] Um mit einem solch breiten Repertoire in der neuen Musikszene agieren zu können, braucht es zudem eine fast ausserweltliche Lernkapazität und technische Virtuosität. Brigitte Helbig hat diese nicht nur selbstverständlich zur Verfügung, sondern sie kennt auch die echte Pionierarbeit, die in der Zusammenarbeit mit Komponisten bei der Erarbeitung einer Uraufführung zu vollbringen ist.“

Moritz Müllenbach, Violoncello, nominiert vom Kanton Zürich. Auszug aus der Jurybegründung: „Zu den bezeichnendsten Eigenschaften Moritz Müllenbachs zählen seine Vielseitigkeit und seine Offenheit. Er agiert als hervorragender Cellist im Bereich der experimentellen Avantgarde wie auch der mehr oder weniger klassischen Moderne. Man erlebt ihn sowohl als Solist, der kein Risiko scheut, als auch als Teamplayer im Ensemble. Er interpretiert Musik nicht nur, sondern er vermittelt und komponiert sie auch. Dabei konzentriert er sich auf kleinste und vor allem ausgefallene Besetzungen […] [und zeigt] Lust an der ironischen Brechung, am Konterkarieren von Etabliertem, am Infragestellen von scheinbaren Gewissheiten.“ 

Hingabe, Ernsthaftigkeit und Brücken zwischen Stilen

Céline Monique Jeanne Papion, Violoncello, nominiert vom Land Baden-Württemberg. Auszug aus der Jurybegründung: „Céline Papion […] beeindruckt durch Hingabe und Ernsthaftigkeit, […] durch ihr beseeltes, farbenreiches, ausdrucksvolles Spiel, in dem eine tiefe Verbundenheit zu ihrem Instrument zu spüren ist. Aus ihrem Selbstverständnis als Musikerin erwächst […] der Drang, alle Ausdrucksmöglichkeiten ihres Instrumentes zu erforschen und sich […] in unterschiedlichen künstlerischen Kontexten zu verorten. […] Gemeinsam mit Komponist*innen, Tänzer*innen, Bildenden und Video-Künstler*innen möchte sie Gesamtkunstwerke von gesellschaftlicher Relevanz erschaffen, die durch die Verbindung von Musik, Bild, Szene und Raum eine ganzheitliche Wahrnehmung ermöglichen.“

Lukas Stamm, Klavier, nominiert vom Kanton Schaffhausen. Auszug aus der Jurybegründung: „Sowohl als Komponist wie als Interpret fungiert er als Brückenbauer […] zwischen neuer und alter Musik. Die Konzertdramaturgien seiner Projekte sind in der heutigen klassischen Musikwelt wahre Juwelen, welche Bögen von seltenst gespielter Barockmusik bis zu sensibel erstellter Elektronik spannen. Ihn beschäftigten traditionelle Aufführungstechniken gleichermassen wie moderne Spieltechniken in und am Klavier. Stamm baut nicht nur Brücken zwischen verschiedenen Musikstilen, sondern auch zwischen verschiedenen Künsten […]. Auch als Pädagoge setzt Stamm Impulse und wirkt im für die Öffentlichkeit «unsichtbaren» Bereich.“ 

Mateusz Szczepkowski, Klavier, nominiert vom Kanton Schaffhausen. Auszug aus der Jurybegründung: „In Szczepkowskis Spiel sagt mir etwas in mir, ich kenne dich, ich erkenne mich, ich bin wie du. Diese Flagiolets, die nicht ganz kommen, diese kindlich blockhaften Patterns, komponiert wie an verschiedenen Tagen, nun scheinen sie wahrhaftig. Szczepkowski inszeniert weder Entwicklung noch lange Bögen, keine «bodenseehaft» glatten Phrasen, er spielt genau was in den Noten steht, holzschnittartig mit fast preussischem Ingrimm – er spielt nicht Pärt, nicht Publikum, nicht ich. Er nimmt sich zurück und lässt die Violine einer Seele gleichen. Seine Pizzicati fallen auf sie wie leichte Hammerschläge.“

Zusätzlicher Preis der Jugendjury

Die Projektgruppe Jugendengagement der IBK hat es sich zur Aufgabe gemacht, junge Erwachsene stärker zu beteiligen. Dazu setzte sie 2019 erstmals eine parallele Jugendjury für die IBK-Förderpreise ein. Diese konnte unter allen 18 Nominationen einen zusätzlichen Preis in Höhe von 5.000 Schweizer Franken vergeben. Die Jugendjury hat sich für Simone Keller, nominiert vom Kanton Thurgau, entschieden.

Mitglieder der Jugendjury waren junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 26 Jahren, die einen Bezug zu zeitgenössischer Musik haben: Christian Zatta (für die Schweizer IBK-Kantone), Philipp Deiss (für die deutschen IBK-Mitglieder), Moritz Huemer (Liechtenstein), Johannes Herzog (für den Vorsitzkanton Thurgau), Anna Zimmermann (Vorarlberg). Den Vorsitz der Jugendjury hatte Ruth Haefelin von der IBK-Projektgruppe Jugendengagement, Stabsstelle Regierungssekretär des Fürstentums Liechtenstein inne.

Die IBK-Förderpreise

Die Förderpreise der IBK werden seit 1991 jährlich in wechselnden Sparten verliehen. Es können maximal sieben Preise in der Höhe von jeweils 10.000 Schweizer Franken vergeben werden. Ausgezeichnet werden Personen im Alter bis zu 40 Jahren mit einem herausragenden Potential im jeweiligen Kulturbereich.

 

Verantwortlich für die Vergabe ist die Kommission Kultur der IBK. Durchgeführt wurde die diesjährige Jurierung vom Kanton Thurgau. Den Juryvorsitz übernahm Martha Monstein, Leiterin des Kulturamtes des Kantons Thurgau und Mitglied der Kommission Kultur der IBK.

 

Jedes Mitgliedsland der IBK – Baden-Württemberg, Bayern, Liechtenstein, Vorarlberg, die Kantone St.Gallen, Thurgau, Schaffhausen, Zürich sowie Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden zusammen – hat unter Beizug von ausgewiesenen Fachleuten maximal zwei Künstlerinnen und Künstler nominiert. Die Nominierten müssen einen biographischen Bezug zum jeweiligen Kanton oder Land aufweisen. Eine von den Mitgliedsländern und Mitgliedskantonen gewählte internationale Jury von neun ausgewiesenen Expertinnen und Experten hat die Preisträgerinnen und Preisträger ausgewählt. Ihr gehörten an: Alfred Achberger (Fürstentum Liechtenstein), Barbara Camenzind (Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden), Moritz Eggert (Bayern), Christine Fischer (Baden-Württemberg), Jens Schubbe (Zürich), Silvia Thurner (Vorarlberg), Charles Uzor (St.Gallen), Andrea Wiesli (Thurgau), Helena Winkelman (Schaffhausen).

 

 

 

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