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Seine letzte Spielzeit

Seine letzte Spielzeit
«Sie werden mich vermissen!» Christoph Nix, Intendant am Theater Konstanz, kündigt seinen Abschied gewohnt unbescheiden an. | © Michael Lünstroth

Christoph Nix hat in den vergangenen 13 Jahren keine Scheu vor Konflikten gezeigt. Im Herbst eröffnet der Intendant seine letzte Spielzeit am Theater Konstanz. Es gibt nochmal eine extragrosse Portion Nix. 

Wenn man in einigen Jahren mal auf die Ära des Intendanten Christoph Nix am Theater Konstanz zurück blicken wird, dann wird da mutmasslich noch immer das Bild des um keinen Konflikt verlegenen Theaterdirektors vorherrschen. Tatsächlich ist Nix in den vergangenen 13 Jahren in Konstanz kaum einem Streit aus dem Weg gegangen. Nicht immer zum Wohle des Hauses. Aber man sollte sich im Rückblick auch einer anderen Gabe des umtriebigen, inzwischen 64-Jährigen, Mannes erinnern - seinem Gespür für Talente. Man muss dieser Tage wieder besonders daran denken, da der Isländer Thorleifur Örn Arnarsson zum neuen Schauspieldirektor der Volksbühne Berlin berufen wurde. 2010 hatte Christoph Nix Arnarsson, damals noch nicht so gehypt wie heute, als Chef-Regisseur an sein Haus geholt. Der Isländer blieb zwar nicht lange, inszenierte aber unter anderem Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder" sowie William Shakespeares „König Lear“. Es sind solche Geschichten, die auch für die Intendanz Nix stehen.

Grund überhaupt über derlei Dinge nachzudenken, ist die Präsentation des Spielplanes 2019/2020 des Theater Konstanz. Es wird die letzte Spielzeit unter Christoph Nix sein. Danach wird sich am Haus einiges verändern. Karin Becker wird neue Intendantin und sie bringt mutmasslich eigene Leute mit an den Bodensee. So werden unter anderem der aktuelle Chef des Kinder und Jugendtheater, Ingo Putz, sowie der von Nix berufene Schauspieldirektor Mark Zurmühle kaum zum neuen Leitungsteam von Becker gehören.  

Noch ist der Kapitän an Bord, bald wird er gehen: Der Konstanzer Theater-Intendant Christoph Nix mit Daniel Grünauer und Daniel Morgenroth auf einem neuen theatereigenen Boot. Zum Ende der Spielzeit 2019/2020 verlässt Nix nach dann 14 Jahren die Bühne. Bild: Michael Lünstroth

„Sie werden mich vermissen“, sagt der Intendant zum Abschied

Noch ist das Zukunftsmusik und so darf Christoph Nix noch einmal eine Theatersaison vorstellen. Es ist ein Donnerstag im Mai in Konstanz. Die Sonne scheint und Nix läuft auf im knitterigen, beigefarbenen Leinenanzug, darunter ein blau glänzender Trikotstoff. Die Haare auf seinem Kopf sind wieder lang und strubbelig geworden. Auf Äusserlichkeiten hat Nix noch nie besonderen Wert gelegt. Der Intendant begrüsst auf seine unnachahmliche Weise: „Ich sage Ihnen jetzt schon, Sie werden es bedauern, dass ich gehe. Sie werden mich vermissen“, erklärt er den Journalisten. Und all jene, die ihn schon länger begleiten wissen, dass das nicht ironisch gemeint ist. In seiner letzten Spielzeit will Christoph Nix es inhaltlich nochmal wissen: Er inszeniert, schreibt Neufassungen von Stoffen („Die Bremer Stadtmusikanten“), einer seiner Romane wird für die Bühne adaptiert und er holt viele seiner Lieblinge aus den vergangenen 14 Jahren nach Konstanz: Johanna Schall, Martin Nimz, Neil LaBute und Andrej Woron sind nur vier der bekannteren Namen. 

Eröffnet wird die neue Spielzeit am 27. September mit „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth. Nix selbst führt Regie, gemeinsam mit der Choreografin Zenta Haerter. Nur einen Tag später kommt Christoph Nix’ Roman „Junge Hunde“ in der Regie von Oliver Vorwerk auf die Bühne der Spiegelhalle. Weitere Stücke der Spielzeit sind unter anderem Brechts „Die Tage der Commune“ (Regie: Johanna Schall), „Zwei Tage, eine Nacht“ (Regie: Martin Nimz), „Wein und Brot“ (Regie: Oliver Vorwerk), „Glückliche Tage“ (Regie: Wolfram Mehring) und „Betrogen“ (Regie: Neil LaBute). Auch Nix’ Sohn Johannes darf bei den Nix-Abschieddsspielen ran:  Er inszeniert den Schlager-Abend „Herzrasen“ (ab 30. November). Es soll seine erste Regie-Arbeit werden.

Das Spielzeitmotto lautet „Bella Ciao“. Das passt zwar zur Abschiedssaison, bezieht sich aber inhaltlich auf das gleichnamige italienische Arbeiterlied, das im Zweiten Weltkrieg zum Lied gegen den Faschismus umgetextet wurde und auch heute noch als antifaschistische Hymne gilt. „Ähnlich wie im Song, rufen wir unserem Publikum zu: Empört euch! Brecht die Vorherrschaft der Gleichförmigkeit. Leistet Widerstand, kämpft für eure Sache! Seid Partisanen im Alltag!“, schreiben die Dramaturgen des Konstanzer Theaters zur Erläuterung im Spielzeitheft. 

Zwei Grossprojekte zum Schluss: Auf dem See und auf dem Münsterplatz

Mit zwei Grossprojekten verabschiedet sich Christoph Nix 2020 dann endgültig von der Konstanzer Bühne. Zum einen mit einem Theaterschiff, das ab 8. Mai an verschiednen Orten rund um den Bodensee, also auch im Thurgau, anlegen wird und dort „Utopien schaffen, zum Träumen verleiten, die Zukunft erforschen“ möchte, wie es ihm Spielzeitheft heisst. Auf dem Schiff und an den Häfen soll gespielt werden. Regie führt hier Andrej Woron. 

Das zweite Grossprojekt ist das Freilichttheater auf dem Münsterplatz. Christoph Nix hat es eingeführt, zum Abschied wird er hier nochmal selbst inszenieren: „Hermann der Krumme oder die Erde ist rund“ lautet der Arbeitstitel des Open-Air-Theaters 2020. Damit soll Hermann, dem Lahmen, dem grossen Denker des 11. Jahrhunderts ein Denkmal gesetzt werden. Hermann ist von Kindheit an gelähmt und wächst in einem Kloster auf der Reichenau auf. Er kann auch als Erwachsener nur mit Mühe sprechen, kaum schreiben und wird doch einer der grossen Denker der damaligen Zeit. Die Geschichte dieses „Stephan Hawking des 11. Jahrhunderts“, wie Nix es selbst formuliert, will er gemeinsam mit Mark Zurmühle ab dem 19. Juni 2020 auf dem Konstanzer Münsterplatz erzählen.

„Der Abschied vom Theater fällt mir schwerer, als ich gedacht hätte.“

Christoph Nix, scheidender Intendant

Nach der inhaltlichen Präsentation bleiben Fragen. Mit welchem Gefühl Christoph Nix jetzt selbst in diese finale Staffel seiner Intendanz gehe? „Es ist eine Verwirrung der Gefühle“, sagt er auf Nachfrage. Aber eigentlich wolle er gar nicht über sich reden. Das Ende sei noch nicht nah, die Spielzeit noch lang, so Nix. Aber nicht über sich reden, kann Nix auch nicht so richtig gut. Dass er Rechtfertigungsbedarf hat über seine Konstanzer Jahre zeigt auch die Saisonbroschüre der Spielzeit 2019/2020: Darin finden sich sehr viele Zitate von Regisseuren und Dramaturgen, die sich selbstredend nur lobend über Christoph Nix äussern.

Und so spricht er am Ende auch auf der Pressekonferenz doch noch ein bisschen über seine Gemütslage: „Der Abschied vom Theater fällt mir schwerer, als ich gedacht hätte. Wir haben hier ja doch einiges auf die Beine gestellt“, sagt er. Dass die von ihm angeschobenen Afrika-Projekte unter seiner neuen Nachfolgerin wahrscheinlich nicht fortgeführt werden, findet er „sehr schade“. Aber so sei das bei einem Wechsel in der Intendanz, da setze jeder seine eigenen Schwerpunkte. 

Die Konstanzer Politik wird er wohl nicht vermissen

Was er wohl weniger vermissen wird, ist die Konstanzer Politik: „Dass ich in dieser Hierarchie nicht mehr funktionieren muss, da bin ich sehr froh“, sagt er. Kurze Pause. Man kann in seinem Gesicht ablesen, wie er überlegt, ob er das jetzt sagen kann oder nicht, aber letztlich lässt er es doch raus, zumindest so halb: „Mit so einem Kulturbürgermeister zu arbeiten (gemeint ist der SPD-Politiker Andreas Osner, d. Red.), das ist…“ Pause. Nix holt tief Luft. Und schüttelt dann nur fassungslos den Kopf. Worte will er dafür offenbar nicht mehr verschwenden. Das Verhältnis der beiden Männern gilt seit Jahren als zerrüttet. Dann noch ein letzter Blick in die Zukunft: „Das Haus bleibt infrastrukturell ein Problem, ich konnte nicht alle Dinge lösen. Aber das müssen jetzt andere bearbeiten.“ Christoph Nix sieht dabei fast ein bisschen erleichtert aus.

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