von Barbara Fatzer, 22.04.2015
Stiche zum Kunstwerk

Zurzeit gibt es in Frauenfeld die einmalige Gelegenheit, amerikanische Quilts vor allem der Amish-Bevölkerung aus dem späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu sehen und zu erwerben.
Barbara Fatzer
Erst spät hat man in den USA entdeckt, dass textile Arbeiten, im besonderen die Quilts, einen wesentlichen Beitrag zur Kulturgeschichte der Neusiedler auf diesem Kontinent bedeuten. Nach einer aufsehenerregenden Ausstellung im Whitney Museum 1971 in New York wurde ein breiteres Publikum aufmerksam auf die jahrhundertealte Tradition der gesteppten Textilarbeiten, die auch eine Wiederverwertung ausgetragener Kleider oder von Stoffresten war. Mit der Zeit entwickelten die Siedlerfrauen diese zu kunstvollen Schaustücken, die aber auch weiterhin ihren ursprünglichen Zweck als wärmende Steppdecken oder Bettüberwürfe erfüllten.
Bettdecke als Kunstwerk
Im 19. Jahrhundert erweiterten die amerikanischen Stickerinnen ihre Mustervorlagen. Da machen dann auch die Frauen der Amish-Bevölkerung mit, die sich in Pennsylvania oder Ohio niedergelassen hatte, die ursprünglich aus der Schweiz stammte. Ihre Vorfahren hatten sich während der Reformation in Zürich von dieser Bewegung abgespalten, entsprechend wurden sie wegen ihrer anderen Glaubenshaltung verfolgt. Um 1720 sah sich ein grosser Teil von ihnen gezwungen, nach Amerika auszuwandern. „Diamond in a Square“, ca. 1910, Amish, Pennsylvania.
(Bilder: Barbara Fatzer)
Interessant nun ist, dass die Amish-Frauen gewagt-farbige Decken entwarfen, denen ein einfaches geometrisches Muster zugrunde liegt, oft quadratisch angelegt und mit Rahmen eingefasst. Und das bereits im 19. Jahrhundert, als in Europa noch kein Künstler den Konstruktivismus entdeckt hatte!
Aber auch auf dem Dreieck basierend werden Vorderansichten gestaltet, wie etwa das Muster „Star of Bethlehem“. In der abschliessenden Verarbeitung über das Quilting zeigt sich dann die grosse gestalterische Kraft der Urheberinnen dieser Arbeiten. Mit feinen Stichen werden Girlanden, Kreismuster und pflanzliche Motive auf die Stoffe gebracht, so dass ein reliefartiges Gebilde entsteht, das seinen eigenen Reiz hat.
Zweiteilige Ausstellung
Diese Ausstellung bietet nun Einblick in diese kreative Arbeit von einstigen Amerikanerinnen, die von einer einzigartigen Originalität und Qualität sind. Es sind durchwegs Quilts aus dem späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als diese noch für den Eigengebrauch hergestellt wurden. Inzwischen hat der Kunsthandel dieses Sammelgut entdeckt, entsprechend werden Quilts heute anders produziert.
„Coxcombs“, ca. 1900, Pennsylvania, Appliqué.
Es lohnt sich auch, nach dem 2. Mai die Ausstellung nochmals zu besuchen, dann werden die jetzigen textilen Kunstwerke durch andere ersetzt, die aus einer grossen Privatsammlung stammen
Freundschafts-Quilt
Das Muster „Log Cabin“ (Blockhaus) kommt von der ursprünglichen Gebäudekonstruktion her, wie erste Siedler ihre Häuser errichteten und die Amish-Bevölkerung bis heute auch so noch verwendet (oberstes Bild). Rechts davon ist ein Quilt für besondere Ereignisse zu sehen, der Freundschafts-Quilt, etwa zur Hochzeit einer Frau. Von ihren Bekannten stellt jede nach einem Grundmuster einen Mini-Quilt in Applikations-Technik her, was auch runde Formen zulässt. Dann werden die einzelnen Stücke gemeinsam zusammengenäht zu einer grossen Decke.
„Plain, Inside Borders“ 1920-1930, Crib Quilt, Decke für ein Kleinkind.
***
Einführung in die Kunst des Quiltens am Samstag, 9. Mai 2015, 14.00 Uhr
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