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von Thi My Lien Nguyen, 31.08.2023

Vom Aushalten und Neste bauen

Vom Aushalten und Neste bauen
| © Thi My Lien Nguyen

Mein Leben als Künstler:in (12): Die Fotografin Thi My Lien Nguyen über die Einsamkeit als Solo-Künstlerin und wie Strukturen und Ignoranz, einen ausbremsen können. (Lesedauer: ca.2 Minuten)

Manchmal gibt es doch solche Momente im Leben, in denen man einfach nichts “tun” kann. Nichts, was der Situation hilft – nichts dafür, noch was dagegen. Oft ist es die Zeit, oder besser gesagt, die Geduld, die benötigt wird, um die Dinge einfach geschehen zu lassen, ihren Lauf zu lassen. 

Immer wieder versuche ich mich zu besinnen, dass wir Menschen im Universum winzige Ameisen sind und dass wir als menschliche Spezies nicht über alles und jeden herrschen (können), obwohl unser heutiges modernes Leben oft suggeriert, dass wir dazu in der Lage sind. 

In meiner Arbeit als Künstlerin ist es mir wichtig, dass ich diesen Aspekt präsent halte. Schliesslich hat jede Person, jeder Beruf und jede Berufung ihre Berechtigung und ihre Relevanz. 

Warum man im künstlerischen Prozess auch loslassen muss

Das Wort “aushalten” hat für mich etwas Tröstliches. Es widerspiegelt den Prozess, dass ich manchmal im kreativen Prozess einfach loslassen muss: Wenn ich eine Blockade erlebe, wenn ich vor lauter Bäume den Wald nicht mehr sehe oder eben einfach nicht weiter weiss..

Es spricht von einem gewissen Vertrauen, das ich an den Tag legen kann. Ich darf es liegen, setzen oder ziehen lassen und noch viel wichtiger, es zeigt, dass dieser Akt kein “Aufgeben” bedeuten muss. Durch diesen Akt wird unheimlich viel Druck gelöst. Oftmals kreiert es einen gewissen “Zwischen-Frei-Raum”, der es mir erlaubt Innezuhalten, rumzuspringen, zu schreien, zu lachen oder zu heulen. (Meistens passiert das eher so mental. ;P)

Im Englischen gibt es viele verschiedene Worte fürs “Aushalten”. To endure sth, to withstand, to maintain, to dwell, to hold on, to stand, to bear sth, to sustain, to tolerate, to be patient! Vor allem der letzte Ausdruck spricht mir zu. Viele nennen diesen Akt der Geduld, insbesondere im kreativen Arbeiten, “Trust the process”. Und als junge Kunst-Design-Studentin nickte ich dem begeistert zu, ohne wirklich zu wissen, von was da genau die Rede war. Damals war ich in einem safen Vogelnest, wo Kommiliton:innen und Dozierende dich halbwegs sanft aufgefangen haben bei Krisen, Unwissen, Fehlern oder sonstigen Disasters. 

Wie andere Künstler:innen einen inspirieren können

Heute… Well, heute, puh, “aushalten” – das ist manchmal so painful! Und da ist leider kein safes liebes Vogelnest mit Brothers’n’Sisters mehr, das dich auffängt und tröstet.

Die Struktur und vor allem die Existenz deines eigenen Nestes ist nicht given, nicht selbstverständlich. Also baute ich mir mein eigenes Nest! Als (Solo-)Künstlerin kann es manchmal einsam werden, denn um in den eigenen Ideen und Konzepten rumzuspinnen, benötigt Mensch per se keine Kollaborationen mit anderweitigen Personen. 

Über die letzten Jahre als Künstlerin lernte ich wahnsinnig viele inspirierende Kreative kennen, die nicht mal unbedingt genau die gleichen Themen oder Medien wie ich abhandeln, aber mich bei gewissen Themen, Erfahrungen oder Anliegen verstehen, gleich erleben oder eine ähnliche Meinung vertreten. (Oder eben eine ganz andere und wir uns dann gegenseitig challengen. ;))

Als PoC habe ich eine andere Realität in der Schweizer Kunstwelt

Leider ist es jedoch Fakt, dass ich als einerseits junge Frau, aber auch als People of Color (PoC) eine ganz andere Realität (in) der Schweizer Kunstwelt habe als jemensch, der oder die weiss ist. Das kann das Erschaffen eines neuen Kunstwerkes durchaus beeinflussen. 

Es stellt sich also die Frage, für wen Kunst gemacht und gezeigt wird, von wem wird sie entworfen und unter welchen Bedingungen? Welche Motivation steckt hinter dem Werk, welche Message möchten die Künstler:innen vertreten und aus welchem Beweggrund?

Unverständnis und Misstrauen können Kunst ausbremsen

Manchmal finde ich mich in Strukturen wieder, wo ich mich “ausgebremst” fühle. Ausgebremst in meinem ursprünglichen Wunsch, wie ich ein Vorhaben, ein Projekt, eine Idee abhandeln möchte, weil es auf Unverständnis, Misstrauen oder auf reine Ignoranz stösst. Diese Momente erfordern ein Umdenken, ein Neudenken, manchmal sogar ein Anpassen meinerseits und vor allem benötigen sie ein “Aushalten”. Es geht dann nicht mehr nur um Geduld, sondern erfordert viel mehr noch ein emotionales Aushalten. Ein Ertragen. 

In solchen Situationen bin ich unheimlich dankbar für mein Nest, das oftmals mit-hält und mit-trägt, für meinen “Zwischen-Frei-Raum” zum Springen, Lachen und Heulen, und vor allem für alle, die an mich und meine Arbeit glauben und diese unterstützen. 

 

Die Serie «Mein Leben als Künstler:in»

Im Juni 2023 lancieren wir die neue Kolumnenserie «Mein Leben als Künstler:in». Darin schreiben die vier Künstler:innen Ute Klein, Fabian Ziegler, Thi My Lien Nguyen über ihren Alltag und ihre Arbeit. Diese vier Künstlerinnen und Künstler schreiben bis Ende Oktober 2023 regelmässig und abwechselnd ihre Kolumnen für die neue Serie. Sie erscheint ab dem 15. Juni immer donnerstags. Die Vorgaben, die wir aus der Redaktion gemacht haben, waren minimal. In Thema, Stil, Darstellungsform, Tonalität und Medialität sind alle Autor:innen frei. Die Autor:innen können sich aufeinander beziehen, müssen es aber nicht.

 

Eine kritische Auseinandersetzung mit Dingen, die die Künstler:innen beschäftigen, wie den Bedingungen des Kulturbetriebs oder auch mit dem Kulturleben im Thurgau oder was auch immer, ist genauso möglich wie eine Schilderung des Alltags. Ziel der Serie ist es, ein möglichst realistisches Bild der verschiedenen Künstler:innen-Leben zu bekommen.

 

Idealerweise entsteht so ein Netz aus Bezügen - interdisziplinär und umspannend. Mit der Serie „Mein Leben als Künstler:in“ wollen wir den vielen Klischees, die es über Künstler:innen-Leben gibt, ein realistisches Bild entgegensetzen. Das soll unseren Leser:innen Einblicke geben in den Alltag der Kulturschaffenden und gleichzeitig Verständnis dafür schaffen, wie viel Arbeit in einem künstlerischen Prozess steckt.

 

Denn nur wer weiss, wie viel Mühe, Handwerk und Liebe in Kunstwerken steckt, kann die Arbeit von Künstler:innen wirklich wertschätzen. So wollen wir auch den Wert künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft transparenter machen. Neben diesem aufklärerischen Ansatz ist die Serie aber auch ein Kulturvermittlungs-Projekt, weil sie beispielhaft zeigt, unter welchen Bedingungen Kunst und Kultur heute entstehen.

 

Was wir uns als thurgaukultur.ch auch erhoffen mit der Serie ist, dass ein neuer Dialog der Kulturschaffenden untereinander entsteht, aber nicht nur. Es soll auch ein Austausch mit dem Publikum, also unseren Leser:innen stattfinden. Das geht über unsere Social-Media-Kanäle, in denen wir direkt miteinander diskutieren können oder in der Kommentarspalte zu den einzelnen Beiträgen auf unserer Website. Wenn du konkrete Fragen an die teilnehmenden Künstler:innen hast, wenn dich ein Themenfeld besonders interessiert, dann kannst du mir auch direkt schreiben, ich leite dein Anliegen dann gerne weiter: michael.luenstroth@thurgaukultur.ch 

 

Alle erschienenen Beiträge der Serie bündeln wir im zugehörigen Themendossier.

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