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Wie das Rössli Hü auf die Bühne kommt

Wie das Rössli Hü auf die Bühne kommt
Holzpferd in der Hauptrolle: In der neuen Produktion "Hü" des Theater Bilitz stehen die Abenteuer eines alten Spielzeugs im Mittelpunkt. Die Schauspieler:innen Roland Lötscher und Christina Benz müssen es mit Leben füllen. | © Michael Lünstroth

Als Zuschauer:in sieht man meist nur das Ergebnis eines Theaterstücks auf der Bühne. Wie viel Arbeit dahinter steckt, ahnt man kaum. Einblicke in den Maschinenraum des Theaters. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Ein Freitagmorgen Ende Februar in Weinfelden: Die Schauspieler:innen Christina Benz und Roland Lötscher stehen zwischen allerlei Holzkonstruktionen auf der Probebühne des Theaterhaus Thurgau und versuchen den richtigen Flow zu finden. „Komme ich jetzt von dieser Seite oder von der anderen?“, fragt Lötscher seine Kollegin. Regisseur Markus Keller schaltet sich von seinem Schreibtisch aus ein: „Ich finde es wirkt besser, wenn du von rechts in die Szene kommst. Aber wir probieren das jetzt einfach mal aus!“ Genau darum geht es ja hier - Dinge auszuprobieren.

Wir sind zu Gast bei den Proben des Theater Bilitz für das neue Kinderstück „Hü!“ (für Kinder ab 6 Jahren), das am 16. April Premiere feiert. Eine Geschichte über die Abenteuer eines kleinen Holzpferdes, das in die Welt hinaus zieht, um seinem Erbauer zu helfen. Und darüber, wie man trotz Rückschlägen die Hoffnung nicht verliert.

Als Zuschauer:in sieht man meist nur das Ergebnis eines Theaterstücks auf der Bühne. Wie viel Arbeit es bedeutet bis eine Aufführung bühnenreif ist, ahnt man kaum. „In der Regel haben wir im Bilitz acht Wochen Zeit für die Vorbereitung eines neuen Stücks“, sagt der Theatergründer Roland Lötscher.

 

Wie bringt man einen Kinderbuchklassiker heute auf die Bühne? Die Proben des Theater Bilitz geben Antworten. Bild: Michael Lünstroth

Acht Wochen Zeit für jede neue Produktion

Anders als an grossen Theaterhäusern hat man diese Zeit im Bilitz aber nicht am Stück, sondern gestückelt in Zwei-Wochen-Blöcken über Monate hinweg. „Das geht bei uns nicht anders, weil wir zwischen den Proben eines neuen Stücks immer auch noch mit alten Stücken touren“, erklärt Lötscher.

Ausserdem seien nicht alle Beteiligten immer gleichzeitig verfügbar. Manche steckten in anderen Projekten, so dass man den Probeplan darum herum stricken muss. Ob das ein Problem ist? Die Schauspielerin Christina Benz winkt ab: „Ich finde es eigentlich ganz gut so, weil sich in den Pausen immer noch etwas neu entwickeln kann.“

Der lange Weg bis zur Premiere

Jetzt, Ende Februar, „sind wir in der Verdichtungsphase“, sagt Regisseur Markus Keller. Die Textfassung des Kinderbuchklassikers von Ursula Williams steht. „Der Text muss sich auf der Bühne bewähren. Wenn da etwas noch nicht stimmt, justieren wir nach“, erklärt der Regisseur. Bis zu dieser Phase liegen schon Monate der Beschäftigung mit dem Stoff hinter dem Team.

Angefangen hat alles sogar noch viel früher: „Vor vier Jahren hat mir der Musiker Daniel Schneider mal gesagt, er würde gerne Musik zum Hü machen“, erinnert sich Roland Lötscher. Auch er habe den Stoff schon länger auf seinem Zettel der Wunschproduktionen gehabt.

 

Der Regisseur Markus Keller und seine Schauspieler:innen Christina Benz und Roland Lötscher bei der Probe. Bild: Michael Lünstroth

 

Bereits im Sommer 2022 fiel der Startschuss

Die endgültige Entscheidung dafür, das Stück in den Spielplan aufzunehmen, fiel im Sommer 2022. Vor allem auch, weil das Buch bei sehr vielen Menschen sehr tiefe Kindheitserinnerungen wecke. „Das haben wirklich Generationen von Kindern gelesen, auch für mich ist das Buch tief mit meiner Kindheit verbunden“, sagt Lötscher. Nach der grundsätzlichen Entscheidung begann die Arbeit.

Gemeinsam entwarfen sie eine erste, so genannte Strichfassung. Das bezeichnet die Auswahl der Inhalte des Buches, die später auch auf die Bühne kommen sollen. „Wir wussten, dass wir das Buch nicht 1:1 auf die Bühne bringen können, deshalb mussten wir gut auswählen, was auch im Theater funktionieren könnte“, erklärt der Regisseur Markus Keller.

Mit dieser Strichfassung startet das Team im Herbst 2022 die Vorproben. Dort geht es dann auch darum, den Stoff für die Bühne anzupassen: „Wir sind da in einzelne Szenen eingetaucht und haben nach passenden Bildern gesucht, um den Stoff auf die Bühne zu bringen. So entsteht letztlich auch das Bühnenbild“, gibt Regisseur Keller einen Einblick.

Parallel wird auch weiter am Text gearbeitet. Die Schauspieler:innen improvisieren und nähern sich dem Text an. Stück für Stück wächst das Projekt. Im Dezember 2022 ist das Stück fertig. Zumindest in der Theorie. Das heisst, es gibt jetzt zwar eine erste, fertige Textfassung für die Aufführung des Bilitz. Aber beendet ist die Arbeit damit lange noch nicht.

 

So sieht eine Strichfassung aus. Bild: Michael Lünstroth

Wie erweckt man ein starres Holzpferd zum Leben?

Im Januar und Februar folgen weitere Proben. Dieses Mal unter der Überschrift: Wie erzählt man den Stoff für die Bühne? Vielleicht die grösste Herausforderung für das Team: Wie gelingt es, einen starren Gegenstand wie ein Holzpferd auf der Bühne zum Leben zu erwecken? Denn für alle war von Anfang an klar, dass sie das Holzpferd als Holzpferd auf der Bühne haben wollen und keine Kostümlösung wollen.

„Ich finde es total spannend, dass dieses Relikt aus einer analogen Welt hier die Hauptrolle hat“, sagt Roland Lötscher. In Zeiten der Dauer-Digitalisierung und Allzeit-Ablenkungen durch kleine technische Geräte darf man das wohl auch als Statement verstehen.

Für die Inszenierung stellt das aber die Frage, wie spielt man ein Holzpferd so, dass auch heutige Kinder ihren Spass haben? Das Theater Bilitz hat seine Antwort darauf darin gefunden, dass prinzipiell jede:r auf der Bühne zum Rössli Hü werden kann. Die Figur ist keiner bestimmten Person exklusiv zugeschrieben. Für die beiden Schauspieler:innen wird das zu einer grösseren Herausforderung, weil sie mehr Rollen übernehmen müssen. Der Figur „Hü“ dürfte das aber gut tun, weil sie so vielschichtiger werden kann.

 

Die Schauspieler:innen Roland Lötscher und Christina Benz bei den Proben Ende März. Im Hintergrund der Musiker Daniel R. Schneider. Bild: Michael Lünstroth

Theater auf die Bühne zu bringen, bedeutet immer auch, aus einer Vielzahl von Umsetzungs-Möglichkeiten auswählen zu müssen

Macht das die Vorbereitung für die Schauspieler:innen schwieriger? Oder anders gefragt: Wie spielt man eigentlich ein Holzpferd überzeugend? „Für mich ist es in der Vorbereitung nicht anders, als bei anderen Rollen. Wir machen ja kein Figurentheater“, sagt Roland Lötscher. Das sieht Christina Benz ähnlich: „Es braucht kein spezielles Rössli-Spiel, definitiv nichts Verfremdendes. Wichtig ist durch das Objekt zu atmen und durch die Figur zu spielen.“

Theater auf die Bühne zu bringen, bedeutet auch immer aus einer Vielzahl von Möglichkeiten auszuwählen. „Zentral hierbei ist für mich vor allem die Frage: Wie bringen wir die Atmosphäre, die wir vermitteln wollen dem Publikum nahe?“, sagt Regisseur Markus Keller. Wie schnell sich Szenen manchmal auch verändern können, zeigt der Probenbesuch Ende Februar.

Eigentlich sollte die Szene, die im Bauch eines Containerschiffs in einer Frachtkiste spielt und in der Hü den Elefanten Jumbo kennenlernt, als eine Art Hörspiel-Erfahrung auf die Bühne kommen. Das heisst, die Figuren wären hinter einer Holzkonstruktion nicht sichtbar gewesen, um die Enge der Kiste zu vermitteln.

Manchmal ändert sich die Inszenierung innerhalb von zwei Stunden

Aber bei den Proben merkt das Team, dass das nicht so recht funktioniert. „Ich glaube, wir müssen uns aus der engen Box lösen, lass uns den ganzen Raum zu einer Art offener Black Box machen, dann habt ihr auch mehr Platz für das Spiel“, sagt Markus Keller zu seinen Schauspieler:innen. Zusatznutzen für das Publikum: es passiert mehr auf der Bühne. Nach zwei Testläufen ist klar, die offenere Version passt besser zum Stück, die alte Idee wird verworfen.

Theater ist eben auch immer ein Prozess bei dem sich idealerweise alle Puzzleteile über die intensive Probenarbeit ineinander fügen. Das passiert nicht durch Zauberei, sondern ist zu einem grossen Teil auch klassisches Handwerk.

 

Probenszene aus dem März 2023. Die Fotos auf dem Boden im Vordergrund zeigen die verschiedenen Bühnenbilder einzelner Szenen und helfen dem Team dabei, sich zu orientieren. Bild: Michael Lünstroth

Die Rolle der Musik in dem Stück

Was das bewirkt, lässt sich einen Monat nach dem ersten Besuch bei den Bilitz-Proben beobachten. Wieder ein Freitagmorgen, dieses Mal Ende März. Noch zwei Wochen sind es bis zur Premiere, inzwischen laufen die Proben auf der Bühne des Theaterhauses. Die Atmosphäre ist konzentriert, aber gelassen. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagt der Regisseur Markus Keller.

Tatsächlich ist der Unterschied zum ersten Besuch beträchtlich. Der Flow ist da, die Dinge haben sich gefügt, Puzzleteile, die im Februar noch verkantet waren, fügen sich nun geschmeidig ineinander. Auch der Musiker Daniel R. Schneider sitzt jetzt mit auf der Bühne. Welche Rolle die Musik in der Inszenierung spielt?

„Die Musik ist ein Miterzähler“, sagt Daniel R. Schneider, „sie macht die Geschichte noch vielschichtiger.“ An manchen Stellen unterstütze sie das auf der Bühne Gezeigte, an anderen Stellen konterkariert sie es eher. „Musik kann Sachen erzählen, die sich im Text nicht erzählen lassen“, findet Schneider. Das sieht auch der Regisseur Markus Keller so: „Mit Musik ein Stück zu bauen ist sehr cool, weil sich beide Künste verbinden - Spiel und Musik ergänzen sich.“

Ist das Holzpferd nicht längst aus der Zeit geraten?

Und während man auf der Probe schon sieht, wie sich die Dinge fügen, wird deutlich, dass sich auch der Text gewandelt hat. Das Kinderbuch von Ursula Williams stellt als Grundgerüst der Geschichte, das Theater Bilitz hat aber eine ganz eigene Geschichte daraus gemacht.

Was letztlich zu der einen grossen finalen Frage führt: Ist die Geschichte des Holzpferdes Hü heute überhaupt noch zeitgemäss? Welches Kind spielt heute schon noch mit einem Holzpferd? Roland Lötscher lächelt, als er die Frage hört. Fast so als habe er darauf gewartet, genau darauf antworten zu können. „Das Stück handelt von Mut, Selbstvertrauen, Hoffnung und Durchhaltevermögen. Wie könnte das jemals aus der Zeit geraten?“

 

Szene aus dem Stück: Roland Lötscher, Hü, Christina Benz und Daniel R. Schneider. Bild: zVg

 

Premiere und weitere Aufführungen

Die Premiere findet am Sonntag, 16. April, 10.15 Uhr, im Theaterhaus Thurgau statt. Weitere öffentliche Aufführungen gibt es am Mittwoch, 19. April 2023, 15.15, Theaterhaus Thurgau, Weinfelden
 sowie am Samstag, 17. Juni 2023, 15 Uhr,  Kultur im Eisenwerk, Frauenfeld. Tickets hierfür gibt es über die Website des Theaters. Schulaufführungen finden statt in Weinfelden (17.-20. April) und Frauenfeld (15.-16. Juni) im Rahmen der «theaterblitze23»

 

 

 

 

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