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von Anabel Roque Rodríguez, 21.04.2022

Zwischen Tradition und Moderne

Zwischen Tradition und Moderne
Das mongolische Künstlerpaar Nomin Bold und Baatarzorig Batjargal zeigt aktuelle Arbeiten im Kunstverein Frauenfeld.. | © Anabel Roque Rodriguez

Von der documenta in den Kunstverein Frauenfeld: Das mongolische Künstlerpaar Nomin Bold und Baatarzorig Batjargal zeigt aktuelle Arbeiten. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Die Kunst von Nomin Bold und Baatarzorig Batjargal mag sich aus der mongolischen Tradition speisen, ist aber längst in der internationalen Kunstwelt angelangt, so waren die Werke von Nomin Bold auf der documenta 14 oder Werke der beiden in namhaften Galerien in den USA oder London zu sehen.

Nun zeigt der Kunstverein Frauenfeld die Arbeiten des Künstlerpaares in der Ausstellung «Neue Kunst aus der Mongolei-Tradition im Wandel» (noch bis zum 8. Mai) und stellt Fragen nach den Verbindungslinien zwischen Tradition und Moderne.

Die kulturelle Identität der Mongolei

Im Gespräch, das von Übersetzerinnen begleitet wird, erzählt der Künstler Baatarzorig Batjargal, wie sich alles Moderne auf die Geschichte bezieht und jede Ausstellung eine Brücke im Jetzt ist, zwischen Tradition und Zukunft. Das Künstlerpaar sieht sich als eine Art Botschafter, um Einblicke in die kulturelle Identität ihres Landes zu geben.

Die beiden gehören zu einer neuen Generation von Künstler:innen, die sich dem Mongol Zurag einer Art Malbewegung, die traditionelle mongolische Symbole und buddhistische Elemente mit westlichen Kontexten in Verbindung setzt.

Die Kunst erhält dadurch interessante Schichten, denn ein westlicher Betrachter erkennt Figuren wieder, wie zum Beispiel Mickey Mouse, der plötzlich als kleiner Buddha verkörpert auftaucht, während andere Symbole mehr Hintergrundinformationen benötigen.

 

Popkultur trifft mongolische Kultur: Eine der Arbeiten des Künstlerpaares Nomin Bold und Baatarzorig Batjargal, die jetzt im Kunstverein Frauenfeld zu sehen sind. Bild: Anabel Roque Rodriguez

Neue Aktualität: Ein Land zwischen China und Russland

Die Werke sprechen die breite Geschichte der Mongolei an und führen dem westlichen Betrachter vor Augen, was er nicht weiss. Denn was haben wir für eine Vorstellung über das Land, ausser oft ein paar Klischees über weite Landschaft und Nomaden.

Dabei ist die Geschichte des Landes von vielen Kontrasten und Wandel gekennzeichnet: Nomadenkultur und Urbanisierung, Kommunismus und Konsumkultur. Es ist das Land von Dschingis Khan und dem Mongolischen Reich sowie dem Zerfall dieses Reiches und einem Land mit einer Geschichte zwischen China und Russland. Gerade im Hinblick auf Russland ist die Position der Mongolei mit dem gegenwärtigen Krieg in der Ukraine interessant.

Gehäkelte Gasmasken als Mahnzeichen

Die gehäkelten Gasmasken von Nomin Bold, die in der Ausstellung zu sehen sind, stammen aus 2019, sind also noch vor dem aktuellen Krieg entstanden, stellen aber einen politischen Kommentar mit den Mitteln der Kunst dar. Eine Gasmaske bleibt ein horrendes Hilfsmittel des Überlebens, egal ob es hübsch aus Wolle gehäkelt ist, man kann dem Objekt kaum das hervorgerufene Unbehagen nehmen. Genau mit diesen visuellen Mitteln schaffen es die beiden Künstler:innen aktuelle Themen anzusprechen.

Das Künstlerpaar stellt Fragen danach, wie viel Tradition in der Globalisierung eigentlich noch erkennbar bleibt. Welche Geschichten den Wandel der Zeit überdauern und wie sehr sich Kultur angleicht. Was von Tradition erhalten werden sollte und warum.

Für Nomin Bold und Baatarzorig Batjargal ist das abarbeiten an diesen Fragen auch ein Spagat, denn es braucht viel Geschick um visuelle Mittel für den Hybrid aus Moderne und Tradition zu schaffen, ohne zu einer Floskel zu verkommen.

 

Erschreckend aktuell: Die gehäkelten Gasmasken von Nomin Bold und Baatarzorig Batjargal. Bild: Anabel Roque Rodriguez

Bilder, die man lesen können muss

Die Werke der beiden Künstler sind reich an Symbolen, die verstanden werden müssen, um gelesen werden zu können: Häufig begegnet uns der Totenkopf in der Ausstellung, wie auch im Totenschiff «Transporter to another time», das vielleicht manche westliche Betrachter an das Totenschiff aus der griechischen Mythologie erinnert, bei dem Charon die Toten für einen kleinen Betrag über den Totenfluss Styx, ins Totenreich bringt.

Jedes Volk hat seine Mythologie, um den Tod zu thematisieren und es ist erstaunlich wie ähnlich sich diese Geschichten oft sind. Die beiden Künstler erzählen im Gespräch, wie diese Arbeit im Speziellen auch eine Erinnerung an ihre eigenen Grosseltern ist, die an Corona verstorben sind.

Viele der Werke zeigen auch den Kontrast zwischen den in der Mongolei lange verpönten nationalen Trachten und modernen Kleidern. Ihre Figuren geben einen Einblick in das zwiespältige Verhältnis von Moderne und Tradition.

 

Mensch und Natur - ein prägendes Motiv für das Künstlerpaar Nomin Bold und Baatarzorig Batjargal. Bild: Anabel Roque Rodriguez

Vom Fortschritt bedrohte Natur

Hirsch, Wolf und die wilden Takhi-Pferde in den Werken stehen für den nomadischen Moment in der traditionellen Kultur. Es ist eine Natur, die zugleich von Fortschritt und Kapitalismus bedroht wird.  In der asiatischen Kultur haben Tiere vielschichtige Bedeutungen, diese Symbole können gelesen werden und so bekommt jedes Bild eine weitere Ebene. Viele Mythen und Legenden speisen sich direkt aus der Natur und werden zu Metaphern für den Zustand der Welt.

Baatarzog Batjargal und Nomin Bold zeigen, dass Kunst zwar ohne Vorwissen genossen werden kann, aber die eigentliche Botschaft eröffnet sich erst durch die richtige Vermittlung. Erst dann zeigt sich die komplexe Auseinandersetzung mit dem Wesen der Tradition an sich und ihrer potenziellen Gegenüberstellung und Überlagerung mit der modernen Welt.

An dieser Stelle würde man dem ehrenamtlich tätigen Vorstand mehr Ressourcen wünschen, denn die Organisation der Ausstellung war, wie alle durchblicken liessen, ein Kraftakt und so blieb ein Programm zur Kunstvermittlung offen.

 

Wie Nomin Bold und Baatarzorig Batjargal die Welt sehen. Bild: Anabel Roque Rodriguez

Wie es zu der Ausstellung kam

Die Ausstellungsgeschichte erzählt die Geschichte von Herzblut und Engagement, denn man darf sicher die Frage stellen, wie internationale mongolische Kunst nach Frauenfeld kommt. Die Antwort lautet Anita Fahrni.

Die gebürtige Amerikanerin engagiert sich seit 1998 in der Mongolei. Sie hat in der Vergangenheit Schulmaterial in Containern in die Mongolei geschickt und gleichzeitig 109 Studentinnen auf den umgekehrten Weg geschickt und ihnen ermöglicht, ein Jahr in der Schweiz die Schule zu besuchen. Vieles an ihrem Engagement ist dem Bereich der Frauenförderung zuzurechnen.

 

Künstlerpaar mit der Ausstellungsermöglicherin Anita Fahrni. Bild: Anabel Roque Rodriguez

Wie viel Tradition passt in eine globalisierte Welt?

Die Samen zur Ausstellung in Frauenfeld wurden bereits 2014 gesät, in der Ausstellung Die Mongolen kommen! in der Baliere, die von Anita Fahrni betreut wurde. Zu sehen waren damals die Werke von Bumandorj (*1954) und Narmandakh (*1955), beide Maler waren auch als Professoren an der Kunsthochschule in Ulaanbaatar tätig, sowie Werke ihrer einstigen Studenten Regzen und eben auch Nomin Bold, die nun mit ihrem Mann in Frauenfeld zu sehen ist.

Nomin (*1982) absolvierte die Mongol-Zurag-Klasse am neu eröffneten Fachbereich für „Nationale Kunst“ der einzigen öffentlichen, staatlich geführten Hochschule für bildende Kunst in Ulan-Bator. Sie und ihre Kommiliton:innen begannen gemeinsam mit ihren Lehrer:innen, die Rolle der mongolischen Tradition in einer globalisierten Welt neu zu denken.

Eigentlich sollte die Ausstellung vor zwei Jahren eröffnen

Eine extra Portion Engagement verlangte zusätzlich die Pandemie, denn die Eröffnung der Ausstellung war eigentlich bereits vor zwei Jahren geplant. Die beiden Künstler waren in dieser Zeit weiter künstlerisch aktiv und hatten zumindest Glück, dass ihr Atelier nah in ihrer Wohnung liegt, wenngleich ihre Ausstellungen, besonders im Ausland nahezu vollständig abgesagt wurden.

Es ist aber auch eine Zeit, die den beiden gezeigt hat, wie stark Lebensbereiche miteinander verbunden sind und wie sehr auch Tradition und Moderne sich benötigen. Im Gespräch erzählen sie, wie sehr sie diese Zeit auch für ihr künstlerisches Schaffen nutzen konnten. Sieht man sich die Ausstellungsliste an, fällt auf, dass eine beachtliche Anzahl an Werken ist sogar dieses Jahr entstanden ist.

Es ist für die beiden Künstler das zweite Mal, dass sie in der Schweiz sind und einige Parallelen zwischen der Schweizer Identität und der Verbindung zu Tradition sehen. Mit Sicherheit ist es eine Ausstellung, die wichtige Fragen stellt.

 

Eine Arbeit von Nomin Bold und Baatarzorig Batjargal. Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

Termine: Die Ausstellung von Nomin Bold und Baatarzorig Batjargal ist noch bis zum 8. Mai im Kunstverein Frauenfeld zu sehen.

 

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