von Brigitta Hochuli, 07.09.2013
Der Fotograf als Superzuschauer

Theaterfotografie von Guido Kasper zeigt zurzeit das Fotoforum Kreuzlingen. Er nennt sich selber den Superzuschauer. An der Vernissage attestierte ihm der ehemalige Intendant Hans Ammann des Stadttheaters Konstanz den untrüglichen Blick für den entscheidenden Augenblick.
Brigitta Hochuli
Initiator und Organisator des Forums für professionelle und angewandte Fotografie ist seit fünf Jahren der gelernte Werbefotograf Peter Forster. Er führte in seiner Begrüssung die Entwicklung von der analogen zur digitalen Fotografie vor Augen und hob hervor, wie aufwendig das Fotografieren vor 20 Jahren Jahren noch war. Aufwendig war es auch für den studierten Germanisten Guido Kasper, der in Kreuzlingen Szenenbilder und Porträts aus den Jahren 1980 bis 1993 unter den Intendanzen von Hans Ammann und Ulrich Khuon zeigt.
*
An Yoga erinnerte seine Demonstration der Körperhaltungen während des Einfangens der Sujets bei weit offenener Blende. 15 Jahre lange habe er täglich trainiert, um bestimmte Belichtungszeiten aus der Hand fotografieren zu können. Man sieht es den Fotos im Dreispitz Kreuzlingen denn auch an. „Jedes Motiv strahlt Verbundenheit mit dem Thema der Akteure aus“, sagt Kasper. Er habe sich immer als dramaturgischer Mitarbeiter verstanden - eine Art Superzuschauer.
Auftaktmotiv der ersten Ammann-Spielzeit 1980 und das Ensemble des Stadttheaters Konstanz (unten v.l.). Bild: Brigitta Hochuli
Der in Ermatingen heimatberechtigte Solothurner Hans Ammann begann seine Konstanzer Spielzeit vor 33 Jahren mit einem Theaterfest. Drei Spielzeiten habe es gedauert, bis sich in der Stadt Akzeptanz eingestellt habe, erinnert er sich. Theatermachen sei eine Lebensschule, die Theaterfotografie von Guido Kasper sei insofern etwas Besonderes als es um den Spannungsbogen zwischen Gelingen und Scheitern gehe und die Bilder bis in die Gegenwart hineinleuchtend und den Augenblick bewahrend seien.
Vernissagerede von Hans Ammann
Erinnerungen sind Aufenthaltsorte der Zeit. Fotografien sind gleichsam Wegmarken, welche geeignet sind, die Aufenthaltsorte der Zeit, ihre komplizierte Geographie, kenntlicher zu machen. Aber noch bin ich nicht so weit, etwas genauer in das Schaffen von Guido einzusteigen, von dem die heute zu eröffnende Ausstellung ja nur einen kleinen Teil präsentiert, der erst noch, wie angedeutet, tief in der Vergangenheit angesiedelt ist. Tief in meiner Vergangenheit auch.
Beim Schreiben dieser Sätze befiel mich ein seltsames Gefühl. Vor 33 Jahren eröffneten wir die Spielzeit 80/81. Mit einem Theaterfest, mit der clownesken Eroberung des Theatergebäudes, das eingepackt war, wie ein Geschenkpaket, der Konstanzer Bevölkerung vor die Füsse gelegt. Die Konstanzer taten sich schwer, das Paket zu öffnen. Gottseidank nicht alle, aber der Südkurier zum Beispiel, musste lange am Knoten herumbasteln,bis der sich löste. Aber genau dies feuerte unsere Arbeit an. Die scharf kritisiert wurde, die für allerlei politische Interessen missbraucht wurde und herhalten musste. Dann, nach drei Spielzeiten hatten wir es geschafft. Die Akzeptanz erreicht, die Auseinandersetzungen wurden inhaltlicher und produktiver.
*
Warum erzähle ich das alles? Vielleicht um mit dem erwähnten „seltsamen Gefühl“ umzugehen, herauszufinden, worin es besteht. Seit 1969 mache ich Theater, seit 2007 als sogenannter Freischaffender. Theaterarbeit besteht im Schaffen von Präsenz, im Schaffen von vergänglichen Bildern, die das Bild von Welt, von Wirklichkeit umsetzen, das den Theatermachern unabdingbar wichtig ist. Dies aber immer mit dem Willen, einen möglichst intensiven Dialog mit dem Publikum zu führen. Dazu gehören und gehörten verschiedenste Mittel, unter anderem die Fotos von Guido, damals in Konstanz. Das seltsame Gefühl. Es geht möglicherweise um das Aushaltenmüssen einer unauflöslichen Spannung: sie besteht im lustvollen Ausprobieren von Texten, im Organisieren von spannungsvollen Situationen, immer darum wissend, dass Gelingen und Scheitern Zwillingsschwestern sind. Darum wissend, dass in der Premiere auch schon die Derniere sitzt. Wie im Leben der Tod. Das schmälert aber die Gegenwärtigkeit von Theaterenergie nicht. Im Gegenteil. Theatermachen ist ein Leben auf Probe führen, ist eine Lebensschule. Konkurrenz und Gemeinsamkeit, Trennung und Zusammenschluss, Freundschaft und Gegnerschaft, intellektuelle Distanz und Nähe. Das ist alles nicht nur auszuhalten, sondern zu gestalten. Leicht liesse sich die Liste der Gegensätzlichkeiten verlängern, die Vorausstzung unserer Arbeit waren und sind.
*
Wir leben in einer Zeit, in der einerseits die Furie des Verschwindens wütet, verursacht durch den Beschleunigungsfuror, dem wir ausgesetzt sind. Andererseits in einer Gegenwart, die vom verzweifelten Festhalten des Augenblicks unter dem Stichwort „Verweile doch, du bist so schön“, geprägt ist. Das weltweite, milliardenfache digitale Klicken macht blind. Mit diesem Klicken haben die Fotos von Guido nichts zu tun. Kein vergebliches Anrennen gegen das Verschwinden. Sondern das Öffnen der Augen für die Substanz eines theatralischen Vorgangs, eines schauspielerischen Ausdrucks.
*
Das seltsame Gefühl. Es kommt noch etwas dazu, das uns nun unmittelbar in den Raum der Ausstellung führt. Das Verschwinden und Auftauchen von Gesichtern, von Menschen, die einem nahe waren, dann immer ferner und ferner, die hinter einem unbeschreibbaren Horizont verschwinden. Es ist sehr schwer, Theaterbeziehungen in Freundschaftsbeziehungen zu verwandeln. Es muss eine Ebene von Nähe dazukommen, über die Arbeit hinaus, die nicht einfach zu erreichen ist. Guido Kasper hat hier eine wundervolle Reihe von Portraits versammelt von Kolleginnen und Kollegen, deren Bühnenpräsenz eingefangen, die in meinem Erinnerungsraum gleichsam schattenpräsent sind. Die Fotos von Guido schafften aber damals etwas Wichtigeres: sie dokumentierten ein Theaterkonzept, nämlich die Lebendigkeit, Konkretheit, Sinnlichkeit eines Theaters,
das weit weg führte vom Literaturtheater der Vorgängermannschaft. Insofern waren sie auch eine politkünstlerische Botschaft an das Konstanzer Publikum.
*
Guido kam gleichsam als Theaternovize in unsere Mannschaft. Er hat sich schnell, jung wie er war, eingelebt, seine Qualitäten entwickelt. Nicht nur im Reden und Argumentieren, sondern auch als Fotograf mit einem untrüglichen Instinkt für den entscheidenden Augenblick einer Situation, einer Geste, eines Ausdrucks. Theaterfotografie ist etwas Besonderes, am ehesten mit der Fussballfotografie zu vergleichen. Jägerinstinkt verbindet sich mit einem Gefühl für die Dramaturgie einer Inszenierung, für deren Stil und Absicht. Die Schauspieler und Regisseure mochten ihn. Ich habe mit Markwart Müller-Elmau, damals Oberspielleiter bei uns, heute im Ensemble des DT in Berlin, Kontakt aufgenommen, ihn gebeten, etwas zu notieren zu dem Probenportrait aus Uli Khuons Molière-Inszenierung „Der eingebildete Kranke“. Müller-Elmau schreibt:
Lieber Hans,
wenn ich mich recht erinnere: das betreffende Foto wurde für ein Plakat gemacht. Mit dem Mut zum "Aussergewöhnlichen" liess ich mir von der Maske so eine Kalkpampe ins Gesicht streichen, die dann langsam trocknete und abzubröckeln begann. Wir haben
das dann allerdings nicht auf der Bühne benutzt. Ich glaube der alte Maskenspiegel aus Holz ist da noch zu sehen. Gibt es die Spiegel noch heute? Uli hatte damals Regie, Bühne Loisl Gallé. Ein Kellergeschoss mit einem kleinen Fenster weit oben mit Blick auf
manchmal auftauchende rote High Heels von Gabi Erler. Falls ein Foto der 3 Schwestern nach dem Abzug der Soldaten dabei ist: Guido war immer ein geschätzter, sehr rücksichtsvoller Auf-der-Bühne-Herumkriecher auf den Fotoproben, wenn ich mich recht erinnere. Aber da stand er auf einmal rechts vor der Bühne und setzte Renate, Isabel und Feil so unter ein Fotogewitter klick, klick, klick, dass ich die Probe unterbrechen musste.
Ich habe Guido als einen sehr eigenwilligen Menschen in Erinnerung, mit Pulswärmern. Wollte er nicht auch einmal Pianist werden?
Ich habe bei den vielen berufsbedingten Umzügen viel Ballast abgeworfen und nur noch wenige Fotos - ob das Foto von Uli, Dir und mir in "ein heiss Eisen" beim Theaterfest auch von Guido ist? 30 Jahre sind eine lange Distanz, bei meinem schlechten Gedächtnis ausserhalb der Theatertexte.
Sollte mir noch was einfallen, meld ich mich.
Herzlichst
Dein
Markwart
Guido Kasper als Pianist? Das kann ich mir nun gar nicht vorstellen. Dafür ist Guido viel zu nervös, zu ungeduldig, zu augenabhängig, um es mal so zu sagen. Er hat gespürt, wo seine Qualitäten liegen. Es gibt Bilder von ihm, die sind in unserer bilderüberschwemmten Zeit wahre Perlen. Sie haben einen Augenblick in einen bis in unsere Gegenwart hineinleuchtenden, gleichsam gedehnten Augenblick, verwandelt. Die Ausdruckskraft von Darstellern und Situationen bewahrend. Eben: Wegmarken in den Aufenthaltsorten der Zeit, den Erinnerungen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich komme zum Schluss meiner kleinen Eröffnungsrede. Kann diese aber nicht schliessen ohne ein Zitat, das mit Guidos Anfangszeit in unserem Team zu tun hat, aber nicht nur, sondern mit unser aller Liebe zum Theater. Es ist ein kleiner, grosser Text des Bieler Dichters Robert Walser.
Ich zitiere:
„Sind nicht auch die Dichtungen Träume, und ist denn die offene Bühne etwas anderes als ihr grossgeöffneter, wie im Schlaf sprechender Mund? Während des anstrengenden Tages treiben wir in den Strassen und Lokalen unsere Geschäfte und nützlichen Absichten vor uns her, und dann finden wir uns in den engen Sitzreihen wie in engen Betten zum Schauen und Hören ein; der Vorhang, die Lippe des Mundes, springt auf, und es brüllt, zischt, züngelt und lächelt uns befremdend und zugleich herzensvertraulich an; es setzt uns in eine Erregung, deren wir uns nicht bemeistern mögen und können, es macht uns krümmen vor Lachen oder erbeben vor innerlichem Weinen. Die Bilder flammen und brennen vor den Augen, die Figuren des Stückes bewegen sich übernatürlich, gross, wie nie gesehene Gestalten, vor uns. Das Schlafzimmer ist dunkel, nur der offene Traum glänzt in dem starken Licht, blendend, redend, dass es einen zwingt, mit offenem Munde dazusitzen.“

Weitere Beiträge von Brigitta Hochuli
- Kultur für Familien: Was im Thurgau noch fehlt (06.09.2018)
- Rätsel gelöst: So alt ist der Kunstraum Kreuzlingen (29.06.2018)
- Musikschule Kreuzlingen sucht Verbündete (14.06.2018)
- Kult-X in WM-Stimmung: Das etwas andere Public Viewing (29.05.2018)
- Unterm Sternenhimmel (13.05.2018)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kunst
Kommt vor in diesen Interessen
- Porträt
- Fotografie
Ähnliche Beiträge
Im Wasser zuhause
Die Fotografin Milena Schilling zeigt in der Konstanzer Leica-Galerie ihre Fotoserie „Origio“ mit nackten Menschen im Bodensee. Für ihr Herzensprojekt hat sie fotografisches Neuland betreten. mehr
«Jeder ist in irgendeiner Blase prominent.»
Der Musiker und Maler Kurt Lauer ist 80 Jahre alt geworden. Ausserdem feierte er gerade sein 50-jähriges Atelierjubiläum. Grund genug also für einen Besuch in seinem Atelier in Kreuzlingen. mehr
Erinnerung an Hans Danuser
Hans Danuser, der Wegbereiter der modernen Fotografie in der Schweiz, ist 71-jährig gestorben. arttv.ch erinnert mit einer Reportage von 2017 an ihn. mehr