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von Bernhard Eymann, 28.06.2011

Gespräch mit Filmer Humbi Entress über einen letzten Kampf mit dem Eis

Gespräch mit Filmer Humbi Entress über einen letzten Kampf mit dem Eis
„Ich habe noch nie eine Person erlebt, die eine so starke positive Lebenseinstellung hat“, sagt Filmer Humbi Entress über Robert Peroni. | © zVg

Im Film "Weisser Horizont" verabschiedet sich Robert Peroni vom grönländischen Inlandeis. Der ehemalige Extremsportler aus dem Südtirol und heutige Kämpfer für die Inuit ist unheilbar krank. Der Thurgauer Snowboard- und Dokumentarfilmer Humbi Entress ermöglichte ihm die riskante Reise und begleitete ihn. Im Interview spricht Entress über die Widrigkeiten der Expedition und die Schwierigkeiten mit dem Filmprojekt.

Interview: Bernhard Eymann

Humbi Entress, in "Weisser Horizont" geht es um den ehemaligen Extremsportler Robert Peroni, um Grönland, um die Inuit, um eine Expedition ins Inlandeis. Die Spielzeit des Films beträgt 50 Minuten. Reicht das für diese Themenfülle?


Humbi Entress: Nein, eigentlich nicht. Es war anfangs ein Problem, dass ich zu viel aufgreifen wollte und mich dabei verzettelte. Dem Rohschnitt fehlte dadurch völlig der Zusammenhalt. Das Schweizer Fernsehen lehnte aus diesem Grund zuerst ab. Ich musste nochmals dahinter und alles wieder auf die zentralen Themen runterbrechen.

Wie konnten Sie sich so verzetteln?


Humbi Entress: Ich hatte weniger Budget zur Verfügung als erhofft. Regie, Kamera, Schnitt und andere Arbeiten blieben deshalb hauptsächlich an mir hängen. Vor allem beim Schnitt arbeitete ich zu viel alleine, irgendwann konnte ich nicht mehr objektiv urteilen.

Sie haben bereits den Film "piiteraq" in Grönland gedreht. Woher kommt Ihr Interesse an diesem Land?


Humbi Entress: Mein Vater geht seit ich acht Jahre alt bin regelmässig nach Grönland. Er zeigte mir damals Bilder mit schwer bekleideten Männern in der Wildnis, die ich enorm cool fand. Da sah ich auch Peroni zum ersten Mal. Als ich einen Dokumentarfilm machen wollte, lag Grönland für mich nahe und ich kontaktierte Peroni für Hilfe. Während dem Dreh von "piiteraq" kam mir die Idee, einen noch viel interessanteren Film über Peroni zu machen.

Welche Bedeutung hat das Land jetzt für Sie?


Humbi Entress: Eine riesige. Ich durfte gerade Werbespots für Grönland-Tourismus drehen. Dabei wurde mir klar, dass es das schönste Land ist, das ich kenne. Freiheit kann ich nur dort oben so intensiv erleben. Auf einer Küste, die etwa von Sizilien bis Nordnorwegen geht, leben zweieinhalbtausend Menschen. Du gehst raus und bist alleine. 
Aber es tut mir weh, zu sehen wie die Kultur der Inuit verkommt, wegen Perspektivelosigkeit und Alkohol. Manchmal habe ich das Gefühl, ich schulde diesem Land etwas, ich will helfen, diese Probleme in den Griff zu kriegen. Wahrscheinlich wird mein Film aber nicht viel bewirken.

Meinen Sie das ernst? Sie glauben nicht daran, was Sie da machen?


Humbi Entress: Als ich mit der Rohfassung zum Schweizer Fernsehen ging, dachte ich, wenn die Welt diesen Film sieht, wird den Inuit geholfen. Dort sagte man mir, ein bloss klagender Film helfe niemandem, vor allem wenn er überall nur an der Oberfläche kratze. Dadurch habe ich einen neuen Ansatz gewonnen: Ich versuche Grönland durch meine Augen zu zeigen. Ich finde es wunderschön, und hoffentlich wird der eine oder andere durch den Film angesteckt.

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Warum wollten Sie so bewusst weg vom Snowboardfilm zum Dokumentarfilm?


Humbi Entress: Beim Snowboardfilm geht es nur um den Sport. Versucht man, wenn man zum Beispiel in Japan dreht, noch einige Hintergründe von Tokio dazu zu nehmen, heisst es von der Industrie, man solle das rausstreichen. Schliesslich hätte ich genauso gut den Turnverein Aadorf filmen können. Ich wollte aber etwas mit mehr Inhalt filmen, das auch mich selber weiterbringt.

Kommen wir zum Protagonisten von "Weisser Horizont". Wer ist Robert Peroni?


Humbi Entress: Er kommt ursprünglich aus dem Südtirol, mein Vater pflegt durch Grönland-Expeditionen eine gute Freundschaft zu ihm. Peroni war der erste Mensch, der das Land ohne Hilfsmittel an seiner breitesten Stelle durchquert hat. Er ist ein Charismat und guter Geschichtenerzähler. Auch in der Forschung war er tätig und entwickelte das Nahrungsmittel Peronin. Das bekommt man auch heute noch in Fachgeschäften.

Was hat sie persönlich so an ihm fasziniert, dass sie einen Film über ihn drehen wollten?


Humbi Entress: Ich habe noch nie eine Person erlebt, die eine so starke positive Lebenseinstellung hat. Auch bei Schicksalsschlägen kann er noch das Positive sehen. Dann die Lebensfreude, die er ausstrahlt, sie schwappt geradezu über. Wenn er einen Raum betritt, hören ihm sofort alle zu. Seinen Idealismus halte ich auch für bewundernswert, er setzt sich ein Ziel und setzt es dann durch. Davon können wir uns hier in der Schweiz eine dicke Scheibe abschneiden. Jeder hat Ideen, aber es scheitert ziemlich schnell an der Umsetzung. Peroni macht es dann halt einfach.

Peroni hat eine unheilbare Blutkrankheit. Sie wollten ihm einen Traum ermöglichen und haben darum seine Expedition ins Inlandeis organisiert. Was waren dabei die Schwierigkeiten?


Humbi Entress: Sein Gesundheitszustand hat es ihm nicht erlaubt, allein hinaus zu gehen. Ich musste darum Schlittenhunde organisieren, die als Rettungsmöglichkeit gedient hätten. Wir brauchten auch einen Arzt und Sauerstoffflaschen, weil Peroni ein Atemproblem hat. Das war nicht ganz einfach, da Sauerstoff mit dem Flugzeug nicht mitgebracht werden konnte - es ist wie eine Bombe. Für ihn war es auch finanziell ein Problem. Durch den Film konnten wir ihm aber die Möglichkeit schaffen.

Wie gross war das Risiko, mit ihm diese Expedition zu machen?


Humbi Entrees: Sehr gross Als wir planten, schätzte ich die Chance, dass etwas passiert, auf fünfzig Prozent. Ich war mir wirklich nicht sicher, ob Peroni auf dem Inlandeis bliebe. Aber ich habe mir auch überlegt, dass dieses Risiko wohl zu seinem Traum gehört. Ob er gehen will oder nicht, musste er selber entscheiden, ich begleitete ihn bloss. Zwei Tage vor Abmarsch sind auch bei ihm Zweifel aufgekommen. Aber das ist wohl kurz vorher normal.

Die Reise war vermutlich Peronis letzte Expedition. Für ihn war das wohl eine sehr persönliche Angelegenheit. Was brauchte es an Überredung, dass Peroni in den Film einwilligte?


Humbi Entress: Keine. Peroni ist überhaupt nicht kamerascheu, er war filmisch Gold wert. Er spricht offen über seine Krankheit. Man hat ihm angemerkt, dass er sich damit auseinandersetzt. Ich selber hatte mehr Probleme damit. Es war neu bei einer Produktion, dass ich sensibel sein musste und dass es um Gefühle ging. Beim Filmen der Anfangsszene, bei der Peroni von den möglichen Folgen der Expedition für Ihn erzählt, musste ich einige Male leer schlucken.

Peroni lebt in der ostgrönländischen Stadt Tasiilaq, die mehrheitlich von Inuit bevölkert ist. Wie soll man sich das vorstellen?


Humbi Entress: Das Gesundheitswesen, öffentliche Hand und Tourismus werden vor allem von Dänen abgedeckt. Peroni ist mit seiner Pension "The Red House" der Einzige, der prinzipiell nur Inuit einstellt, obwohl es mit Dänen viel einfacher wäre. Er wohnt auf dem Hügel, dem armen Teil von Tasiilaq, wo er oft die Leute zum Essen einlädt, da diese sonst tagein tagaus nur getrockneten Fisch essen würden. Auch seinen Angestellten stellt er Häuser zur Verfügung. Er ist ein Idealist, hat das klare Ziel zu helfen und ich könnte mir niemanden vorstellen, der das besser könnte als er.

Haben Sie herausgefunden, warum sich ein Idealist wie Peroni so aufopfert?


Humbi Entress: Ich würde nicht von aufopfern sprechen. Natürlich muss er wahnsinnig viel Geduld und Opfer aufbringen. Aber es geht ihm darum, was er von den Menschen da oben zurückbekommt. Er hat mir einmal erzählt, in unserer Gesellschaft wäre er ein Taugenichts. In Grönland fand er den Frieden mit sich und das nicht auf Erfolg fixierte, ursprüngliche Denken der Inuit.

Was macht "Weisser Horizont" neben der Person Peronis aus?


Humbi Entress: Neben dem Portrait einer Person, die einen Traum verfolgt, ist es klar auch ein Expeditions- oder Reisefilm. Das bedeutet schöne Naturbilder und Einblicke in die Kultur der Inuit.

Was machen Sie als nächstes? Einen Heimatfilm über den Thurgau?


Humbi Entress: (lacht) Ich finde den Thurgau schön, aber das darf gerne jemand anderes machen. Mich zieht es ein wenig weiter. Am liebsten filme ich draussen, wenn es extrem kalt ist. Eventuell gehe ich im November an den Südpol, auch mit einer Expedition.

Was reizt Sie an Expeditionen?


Humbi Entress: Die emotionale Komponente bei Expeditionen und die Rollenverteilung. Es passiert sehr viel mit dem Menschen.

Was?


Humbi Entress: Es ist ähnlich wie bei Platzangst. Auf dem Eis gibt es keine Anhaltspunkte, man ist immer der höchste Punkt in der Umgebung. Einige fühlen sich völlig verloren. Andere brauchen diesen Platz und werden sogar süchtig. Ich gehöre wohl zu Letzteren.

*****

"Weisser Horizont" läuft vom Freitag, 1. Juli bis Sonntag, 3. Juli täglich um 20 Uhr im Cinema Luna, Frauenfeld. Humbi Entress ist am Freitag anwesend. Im Oktober wird der Film im Schweizer Fernsehen laufen und auf DVD.

*****

Humbi Entress

Humbi Entress ist 29 Jahre alt und in Aadorf aufgewachsen. Sein Vater ist Humbert Entress, unter anderem ehemaliger Präsident der Kulturstiftung des Kantons Thurgau und Verwaltungsratspräsident der Thurgaukultur AG. Humbi Entress ist der Gründer von mmp films und lebt in Winterthur. Unterstützt wurde der Film „Weisser Horizont“ unter anderem vom Lotteriefonds des Kantons Thurgau mit 30 000 Franken. (red.)

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