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von Brigitta Hochuli, 05.01.2011

Stück um Stück hartnäckig

Stück um Stück hartnäckig
"Auf dem Land Theater zu machen bedeutet für mich auch, den Spagat zwischen einem künstlerischen, persönlichen Anspruch und den Theatergewohnheiten der Landbevölkerung zu schaffen. Ich kann wahnsinnig gewagte Ideen haben, wenn das aber niemand sehen will, ist es verschwendete Energie. Dennoch lohnt sich eine gewisse Hartnäckigkeit, um die eigenen Visionen Stück für Stück einem Publikum nahe zu bringen", sagt die Thurgauer Theaterschaffende Katrin Sauter. | © thurgaukultur.ch/ho

Die Theaterschaffende und Theaterpädagogin Katrin Sauter lädt zur Kickoff-Veranstaltung im Hinblick auf die Einweihung des Staatsarchivs am 19. bis 21. August. Da will sie dann kurze Geschichten aus dessen Tiefen holen. Zudem begeht sie mit dem VorStadttheater Frauenfeld das 30-Jahr-Jubiläum des Wirkens in der Theaterlandschaft Thurgau und zeigt die vierte Produktion des Jungen Theaters Thurgau. - Ein Interview auch mit Fragen an André Salathé.

Brigitta Hochuli

Frau Sauter, Das VorStadttheater Frauenfeld feiert im laufenden Jahr sein 30jähriges Bestehen. Sie selber sind 37. Was geht einem da durch den Kopf?

Katrin Sauter: Zuerst dieser Hinweis: Das VorStadttheater feiert 2011 sein 30jähriges Schaffen und Wirken in der Theaterlandschaft des Kantons Thurgau. Die Genossenschaft VorStadttheater wurde erst 1984 gegründet, es dauert also noch 3 Jahre bis zum „echten“ Jubiläum.

Haben Sie trotzdem Erinnerungen an die Gründerzeit?

Katrin Sauter: Als die erste Produktion des VorStadttheaters – „Leonce und Lena“ von Georg Büchner unter der Regie von Martin Gubler – aufgeführt wurde, habe ich selbst auf dem Dachboden in Basadingen ganze Nachmittage mit Theaterspielen verbracht. Vom Entstehen des VorStadttheaters an der Zürcherstrasse 226 in Frauenfeld hab ich damals natürlich nichts mitbekommen. Ebenso fern war mir der Gedanke, dass ich selbst Theaterschaffende werden könnte. Die Liebe zum Kleintheater, wie das VorStadttheater eines ist, habe ich erst in der Pubertät wieder entdeckt.

Und heute sind Sie Stellvertreterin von Genossenschaftspräsident Felix Rutishauser und für die Finanzen verantwortlich. Wie lange sind Sie eigentlich schon dabei?

Katrin Sauter: Dieses Jahr ist mein 14. Jahr beim VorStadttheater. Ich bin 1997 als Spielerin in der Produktion „Marius“ von Marcel Pagnol (Regie Markus Keller) zum VorStadttheater gestossen. Im selben Jahr bin ich dem Vorstand beigetreten und habe zuerst in der Programmation, dann der Administration und in Projektleitungen mitgewirkt, zwischendurch vier Jahre lang das Präsidium geleitet und schliesslich den Projektbereich übernommen.

Und was haben Sie in dieser Zeit bewirken können?

Katrin Sauter: Ich betrachte es teilweise als mein Verdienst, dass das VorStadttheater auch während meiner Zeit immer wieder neue Leute, auch junge, fürs Theater begeistern konnte, insbesondere auf der Bühne und in der Vorstandsarbeit. Als ausgebildete Theaterpädagogin ist es mir natürlich ein Anliegen, Theaterinteressierten verschiedene Möglichkeiten zur Mitwirkung zu bieten. So führt das VorStadttheater seit ein paar Jahren wieder regelmässig Theaterkurse nebst den Produktionen für Laienspielerinnen und -spieler durch.

Was hebt sich aus diesen Möglichkeiten heraus?

Katrin Sauter: Mein grösstes Kind im VorStadttheater ist natürlich das Junge Theater Thurgau, welches 2006 zusammen mit Ira Werner und Petra Geiser (beides Vorstandsmitglieder) in ein Pilotjahr geschickt wurde und 2011 nun die vierte Produktion zeigen kann.

Gibt es da nicht Doppelspurigkeiten mit dem Angebot des Bilitz Theaters im Theaterhaus Weinfelden?

Katrin Sauter: Sie sprechen Stage Apple, die Junge Bühne Theater Bilitz, an. Wir vom Jungen Theater Thurgau richten uns nur an Jugendliche zwischen 13 und 20 Jahren und versuchen, die Jugendlichen in verschiedene Bereiche einer Produktion zu involvieren, Spiel, Ausstattung, Technik, Maske, Werbung, Musik. Als Vorbereitung für das Mitwirken in einer Produktion sind Werkstätten konzipiert, in denen der Schwerpunkt auf der Erarbeitung von Schauspielhandwerk und einem ersten Auftritt vor Publikum liegt. In den letzten Jahren sind die Jugendlichen aus Frauenfeld und der Umgebung bis nach Wil, Diessenhofen und Winterthur gekommen. Wie sehr sich die zwei Theaterangebote unterscheiden, wird sich zeigen. Wir sind auf jeden Fall in Kontakt und organisieren gegenseitige Probenbesuche der beiden Jugendtheater. Im besten Fall wird Theater unter den Jugendlichen salonfähig und beide Angebote können im Thurgau bestehen. Momentan spricht einiges dafür.

Zurück zum VorStadttheater. In den vergangenen 30 Jahren hat es nicht weniger als 50 Produktionen ermöglicht. Wenn Sie sie Revue passieren lassen, wie würden Sie die Entwicklung in der Aufführungspraxis und der Stückwahl charakterisieren?

Katrin Sauter: In den Anfängen hat sich das VorStadttheater vor allem bekannten Theaterautoren und ihren bewährten Stücken gewidmet: Shakespeare, Büchner, Sartre, Goldoni, Tschechow, Becket, Dürrenmatt, um einige zu nennen. Mit der Zeit begannen sich Uraufführungen, Bearbeitungen von bestehenden Theaterstücken und bekannte Stücke abzuwechseln. So reihen sich heute Namen in die Autorenliste, die die Eine oder der Andere im Thurgau vielleicht sogar persönlich kennen: Bolli, Moser, Widmer, Gysi, Keller, Wurster, Dietschi, Sauter. Das VorStadttheater pflegt seit Anfang für seine Produktionen die Zusammenarbeit mit professionellen Theaterschaffenden, insbesondere im Bereich der Regie. Auf der Bühne stehen meist ambitionierte Laien, ab und an auch Profis oder beides zusammen.

Und wie wird sich das VorStadttheater Ihrer Meinung nach weiter entwickeln?

Katrin Sauter: Das VorStadttheater soll auch in Zukunft Experimentier- und Spielfeld für Laienspieler/innen sein, genauso wie Arbeitsstätte für Theaterschaffende, die einen Bezug zum VorStadttheater, zur Stadt Frauenfeld oder zum Kanton Thurgau haben. Es sollen weiterhin sowohl bestehende Stücke interpretiert wie auch Stücke neu entwickelt werden.

Haben Sie Erfolg mit diesen Neuentwicklungen?

Katrin Sauter: Unbekannte Namen und Geschichten zu spielen bedeutet Mut, denn das Publikum schaut gern, was es schon kennt. Nichtsdestotrotz halten wir daran fest, weil wir daran glauben, dass auch unsere Zeit erzählenswerte Geschichten und Themen zu bieten hat. So suchen wir vom VorStadttheater immer wieder nach einer optimalen Mischung. Dies gilt auch fürs Gastspielprogramm, für welches wir Gruppen aus der Freien Theaterszene Schweiz nach Frauenfeld holen.

Zum Jubiläum veranstalten Sie nun am 11. Januar einen Kick-Off Abend zu einem Improvisationsprojekt mit spielfreudigen Jugendlichen und Erwachsenen in Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv. Prallen da nicht unvereinbare Gegensätze aufeinander?

Katrin Sauter: Unvereinbar hoffe ich nicht, Gegensätze hoffentlich schon! Die Reibung dazwischen macht Theaterarbeit spannend. Das Staatsarchiv als Ort, an welchem Geschichte archiviert wird, erscheint uns attraktiv, um diese mit Theater lebendig werden zu lassen.

Frau Sauter, Sie zeichnen verantwortlich für dieses Jubiläumsereignis für jung und alt und wollen zur Einweihung des Staatsarchivs vom 19. bis 21. August in den neuen Räumen mit Ihrem Theater präsent sein. Was haben Sie genau vor?

Katrin Sauter: Die Besucherinnen und Besucher erleben teilweise interaktiv die Archivierung von Gegenständen und Zeitdokumenten. Sie erhalten einerseits Einblicke in sonst verborgene Räume und ihre Nutzung, andererseits spielen und erzählen jugendliche und erwachsene Spielerinnen und Spieler kurze Geschichten aus den Tiefen des Staatsarchives. Zusammen mit den Spielern wollen Kristin Vodusek und ich einen vergnüglichen, informativ-unterhaltsamen Rundgang an den Tagen der offenen Tür gestalten. Er beinhaltet für alle Altersstufen etwas, richtet sich also auch an Familienpublikum.

Noch ein Wort zur allgemeinen Theaterlage im Thurgau. In der ersten von der Kulturstiftung initiierten Grundsatzdebatte zur Kultur im Kanton kam unter anderem das Stadt-Land-Gefälle als Mangel zur Sprache. Sie selber sind vom Land nach Zürich gezogen. Warum?

Katrin Sauter: In erster Linie bin ich nach Zürich gezogen wegen meiner intensiven Theaterpädagogik-Ausbildung. Danach bin ich geblieben. Der Ort erscheint mir noch heute als guter Ausgangspunkt für meine Arbeit. Das Theaterangebot ist gross und bietet vielfältige Inspiration und Kontakte, die ich auf dem Land so nicht finde.

Warum eigentlich? Angebote gibt es hier ja manchmal fast zu viele...

Katrin Sauter: Das Theaterverständnis in der ländlichen Bevölkerung unterscheidet sich sehr von dem, was in der Stadt zu sehen ist. Auf dem Land Theater zu machen bedeutet für mich also auch, den Spagat zwischen einem künstlerischen, persönlichen Anspruch und den Theatergewohnheiten der Landbevölkerung zu schaffen. Ich kann wahnsinnig gewagte Ideen haben, wenn das aber niemand sehen will, ist es verschwendete Energie. Dennoch lohnt sich eine gewisse Hartnäckigkeit, um die eigenen Visionen Stück für Stück einem Publikum nahe zu bringen. Dies reizt mich. Ich bin der Überzeugung, dass sich das Theaterverständnis nur durch eigenes Erleben verändert. Profis setzen sich täglich damit auseinander. Für und mit Laien mache ich Theater, um unter anderem auch das Nachdenken über Theaterästhetik anzukurbeln und Neugierde auf verschiedene Theaterformen und -ästhetiken zu wecken.

Das Jahr ist noch jung. Was wünschen Sie sich sonst noch für 2011?

Katrin Sauter: Ich wünsche mir sehr, dass die jugendlichen und erwachsenen Spielerinnen und Spieler nachhaltig von ihren Erfahrungen im Theater zehren können und in naher Zukunft vielleicht selbst die Theaterlandschaft Thurgau mit ihren Theatervisionen bereichern. Dem Thurgau wünsche ich immer wieder Theatermenschen – Profis wie ambitionierte Laien – die visionär und mutig in Projekte einsteigen, die ihnen persönlich wichtig sind und der Thurgauer Bevölkerung ab und zu offene und konstruktive Diskussionen bescheren.

*****

 

Drei Fragen an...
... André Salathé, Staatsarchivar des Kantons Thurgau, zu lustigen und staubigen Gesellen sowie einem Kostenrahmen von nahezu 20 Millionen.

Herr Salathé, was erwarten Sie an der Einweihung des neuen Staatsarchivs von der Aktion des VorStadttheaters?

André Salathé: Überraschungen, lange und lachende Gesichter - und ein paar Meinungsäusserungen dahingehend, die im Staatsarchiv seien doch eher lustige als knochen-trockene, staubige Gesellen.

Keine Angst, die doch sicher vielen älteren Besucher, die sich in Ruhe ein Archiv ansehen wollen, zu vergraulen?

André Salathé: Nein, im Gegenteil. Erstens, weil die vielen älteren Menschen oft mehr Humor haben als die wenigen jüngeren. Und zweitens, weil ich - umgekehrt - nicht glaube, dass nicht auch sehr viele jüngere kommen.

Wie ist überhaupt der Stand der Dinge auf der Baustelle? Haben Sie die Kosten im Griff?

André Salathé: Das Staatarchiv ist am 22. März fertig und wird uns übergeben. Dann zügeln wir bis Ende Juli. Der Kostenrahmen von 19,7 Millionen Franken kann eingehalten werden. (ho)

 

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