von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 04.02.2021
«Nicht alle werden das überleben»
Wie geht es den Thurgauer Museen in der Corona-Krise? Heier Lang, Präsident des Vereins MUSE.TG, über drohende Schliessungen, fehlende Unterstützung und versäumte Entwicklungen. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)
Herr Lang, die Museen sind gerade mal wieder geschlossen. Nach einem Jahr Pandemie - welchen Einfluss hat Corona auf die Museumsarbeit?
Das hat einen sehr grossen Einfluss. Zurzeit sind sie bis Ende Februar geschlossen, und eine Verlängerung darüber hinaus ist nicht ausgeschlossen. Diese Situation hatten wir ja schon im Frühjahr, und zwischen den Schliessungen war der Besuch stark eingeschränkt. Die Besucherzahlen sind zurückgegangen, Gruppenführungen waren nur beschränkt möglich. Entsprechend sanken die Einnahmen. Das geht ans Mark.
Wie gehen die verschiedenen Museen damit um?
Die Museumslandschaft im Thurgau ist vielfältig, da gibt es ganz verschiedene Trägerschaften und Strukturen: kantonseigene Museen, von Gemeinden getragene oder subventionierte, Vereine, Stiftungen, Privatpersonen. Für sie alle stellen sich individuelle Fragen, sicher aber ist, unter den finanziellen Einbussen leiden alle.
Bräuchten die Museen mehr Unterstützung vom Kanton?
Es gibt verschiedene Unterstützungsmassnahmen, die die Museen beanspruchen können. Einige Museen haben Kurzarbeit eingeführt. Dann gibt es vom Kanton Ausfallsentschädigungen für Kulturunternehmen. Seit letztem Herbst gibt es die Möglichkeit, Mittel für Transformationsprojekte zu beantragen.
«Wir versuchen, das museale Leben unserer Mitglieder zumindest digital sichtbar zu halten.»
Heier Lang, Präsident MUSE.TG (Bild: Michael Lünstroth)
Und was bedeutet die aktuelle Situation für den noch jungen Verein MUSE.TG?
MUSE.TG selbst hat einen Leistungsauftrag mit dem Kanton vereinbart. Wir geben den Mitgliedern eine Plattform für den Austausch und die Vernetzung, organisieren Weiterbildungen, fördern das Interesse und das Verständnis für die Museen und Sammlungen in der Gesellschaft.
Wie sieht das konkret aus?
Wir versuchen, das museale Leben unserer Mitglieder zumindest digital sichtbar zu halten. Mit Hilfe des Lotteriefonds haben wir unsere neue Vereins-Internetseite aufgebaut. Da findet man alle Thurgauer Museen gebündelt auf einen Blick, mit Bildern, interessanten Beschreibungen und allen Kontaktdaten sowie zahlreiche Links. Zudem erhalten wir für gezielte Projekte Beiträge aus dem Lotteriefonds. Das sind aber alles keine Corona-bedingten Unterstützungen.
Welche Projekte werden beispielsweise unterstützt?
Aktuell ist es das Inventarisierungsprojekt, das MUSE.TG initiiert hat und das durch den Lotteriefonds unterstützt wird. Seit letztem Sommer können wir unseren Aktivmitgliedern mit dem Collectr Pro ein Cloud-basiertes Programm gratis anbieten. Dies gibt den Museen und Sammlungen die Möglichkeit, die Inventarisierung auf zeitgemässer und auf ihre Bedürfnisse zugeschnittener Basis aufzubauen oder darauf umzustellen.
«Manche Häuser haben noch auf Karteikarten inventarisiert, andere arbeiten mit Excel-Tabellen.»
Heier Lang, Präsident MUSE.TG zum Stand der Digitalisierung in den Thurgauer Museen
Was genau steckt dahinter?
Mit der digitalen Inventarisierung soll der Kulturgüterbestand in den lokalen und regionalen Museen systematisch und möglichst flächendeckend mit dem gleichen Programm aufgenommen werden. Das fördert die Zusammenarbeit unter den Museen und mit der Wissenschaft, zudem bekommt der Kanton eine Übersicht über die vorhandenen kulturellen Gegenstände. Den Museen selber gibt es einen Überblick über ihre Bestände. Das Recherchieren wird vereinfacht oder überhaupt erst ermöglicht. Wir hoffen natürlich, dass gerade jetzt, wenn die Museen geschlossen sind, das Personal für die Inventarisierung eingesetzt werden kann.
Bei der Digitalisierung gibt es insgesamt grossen Nachholbedarf im Kanton. Wie stehen die Museen heute da?
Immer mehr Museen und Sammlungen arbeiten schon mit Collectr Pro, einige haben eigene Programme, teilweise arbeitet man auch auf veralteten Programmen. Manche Häuser haben noch auf Karteikarten inventarisiert, andere arbeiten mit Excel-Tabellen. Für die Umstellung auf Collectr Pro gilt: Was bereits elektronisch erfasst ist, lässt sich leicht ins neue Programm einlesen.
«Es wird schwer, nach dieser Corona-Krise an zusätzliche Gelder zu kommen.»
Heier Lang, Präsident MUSE.TG (Bild: Michael Lünstroth)
Jenseits von Corona: Wie zufrieden sind Sie mit heute mit der Thurgauer Museumslandschaft?
Die Museumslandschaft ist äusserst vielfältig. Bei unseren Besuchen treffen wir sehr engagierte Leute, die viel Herzblut in ihre Arbeit legen. Unter den ausgestellten Gegenständen sind viele Perlen, ungeahnte Schätze. Viele Museen sind auch in sehr schönen, historisch und architektonisch interessanten Häusern untergebracht, die allein schon einen Besuch lohnen. Aber gleichzeitig muss man feststellen: Die Museen sind breit gestreut, oft klein und mit nur kurzen Öffnungszeiten. Dadurch sind sie zu wenig im Bewusstsein selbst der ansässigen Bevölkerung verankert.
Woran liegt diese geringe Resonanz?
Das liegt an den Strukturen und auch am Geld. Die Museumsgestaltung und -didaktik hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht, wer sie nutzt, hat eine grössere Attraktivität. Da können nur wenige lokale oder regionale Häuser mithalten. Aber nochmals: Am Einsatz der Leiterinnen und Leiter fehlt es nicht, es fehlt an der Unterstützung.
Unterstützung von wem?
Nun, viele kleinere Museen sind in erster Linie einmal Sammlungen. Sie leben von der Sammlungstätigkeit von Liebhabern und werden meist ehrenamtlich geführt. Die Mitarbeitenden haben eine ganz persönliche Beziehung zu ihrem Ausstellungsgut. Sie können allerdings nur sehr eingeschränkt in Ausstellungstechnik oder neue museologische Erkenntnisse investieren. Oft haben sie auch schlicht zu wenig personelle Kapazitäten, um Fachleute zu konsultieren, zeitgemässe Ausstellungskonzepte zu entwickeln und zu realisieren oder Wechselausstellungen zu organisieren. Auch für Werbung fehlen ihnen die Mittel. Anderseits vermitteln die kleinen Museen ein authentisches Erlebnis. Dabei ist der persönliche Kontakt der Museumsbetreiber mit ihrem Publikum zentral. Das ist eine Stärke, mit der sie gerade auch die junge Generation ansprechen.
«Die Museumslandschaft im Thurgau ist äusserst vielfältig. Unter den ausgestellten Gegenständen sind viele Perlen, ungeahnte Schätze.»
Heier Lang, Präsident MUSE.TG
Aus Ihrer Sicht: Was muss ein modernes Museum heute bieten?
Das ist sehr individuell. Jedes Museum hat seine Stärken. Es wäre ja langweilig, wenn es alle gleich machen würden. Es ist aber ganz wichtig, dass jedes Museum quasi sein Alleinstellungsmerkmal findet. Ob das dann, wie gesagt, der persönliche Kontakt ausmacht, die Vermittlung eines historischen Erlebens oder eine Ausstellungserlebnis nach neusten museologischen Erkenntnissen, ist zweitrangig. Wichtig ist, das Publikum abzuholen, sei es mit einer Dauerausstellung, Wechselausstellungen, besonderen Aktionen für Kinder und Jugendliche, mit Kulinarik oder Sonderveranstaltungen. Corona-bedingt sind aktuell aber auch Transformationsprojekte gefragt, die neue Publiken generieren, zum Beispiel über das Internet.
Wo sehen Sie in der Thurgauer Museumslandschaft noch Entwicklungspotential?
Kreuzlingen ist ein gutes Beispiel für gelungene Museumsentwicklung. Da hat sich die Gemeinde vor Jahren entschlossen, die Museen stärker zu unterstützen, zu professionalisieren. Deswegen läuft es bei diesen Häusern gut.
Ihr Verein könnte ja an andere Gemeinden appellieren, ihre Museen ebenfalls stärker zu unterstützen.
Wir können Initiativen der entsprechenden Häuser unterstützen, aber pauschale Aufrufe dürften wenig bringen.
«Die Museen sind zu wenig im Bewusstsein selbst der ansässigen Bevölkerung verankert.»
Heier Lang, Präsident MUSE.TG
Ganz ehrlich: Wie wahrscheinlich ist es, dass das nach der Corona-Krise mit all ihren Kosten für Gemeinden und Kanton wirklich passiert?
Reden wir nicht drum herum: Es wird schwer, nach dieser Corona-Krise an zusätzliche Gelder zu kommen.
Auch deshalb werden am Ende vermutlich nicht alle Museen überleben. Gerade bei den kleineren Museen fehlt es oft an Nachwuchs und Leuten, die Verantwortung übernehmen wollen.
Dem ist leider so. Es ist bereits einigen Museen gelungen, eine Nachfolge zu sichern. Aber allen wird das nicht gelingen, und dann stellt sich die Frage, was mit den Kulturgütern geschieht. Bleiben sie in Privatbesitz und damit unzugänglich oder kann wenigstens ein Teil der gesammelten Gegenstände in andere themenähnliche Museen eingegliedert werden. In diesem Bereich können wir Hilfe leisten, indem wir zum Beispiel Verbindungen zu Häusern herstellen, die ihre Sammlung vergrössern wollen.
In den nächsten Jahren stehen wichtige Entwicklungen in der Museumslandschaft an: Neuer Standort Historisches Museum, Entwicklung des Kunstmuseums in der Kartause Ittingen, Generationswechsel in einigen Direktionen. Wie kommen die Häuser sicher durch den Wandel?
Sie erwähnen ausschliesslich kantonale Einrichtungen. Damit sind sie Teil der kantonalen Kulturpolitik. Dazu nehmen wir keine Stellung.
Wenn sich der Lobbyverein der Museen nicht dazu äussert, wer dann?
Wir sind kein Lobbyverein, sondern für die Unterstützung der lokalen und regionalen Museen und Sammlungen zuständig, dafür haben wir ein Mandat des Kantons. Unsere Mitglieder haben sehr unterschiedliche Haltungen zu kulturpolitischen Fragen. Jedes Mitglied ist frei, seine Haltung in die Politik einzubringen.
«Es ist ganz wichtig, dass jedes Museum quasi sein Alleinstellungsmerkmal findet.»
Heier Lang, Präsident MUSE.TG
Der Verein und sein Präsident
Der Präsident: Heinrich «Heier» Lang (73) stammt aus Mammern und hat fast 33 Jahre im Dienst des Kantons gearbeitet. Zunächst (ab 1975) als wissenschaftlicher Mitarbeiter im damaligen Sanitäts- und Erziehungssdepartement. 1982 wurde er zum Chef des Schulamtes II gewählt, das für die Oberstufe der Volksschule, die Mittelschulen, die Lehrerbildung und die Hochschulen zuständig war. 1991 wurde er zum Generalsekretär des Departements für Erziehung und Kultur berufen. Diese Aufgabe behielt er bis zu seinem Ruhestand Ende April 2008.
Neben der Aufgabe als Präsident des Vereins MUSE.TG ist er inzwischen auch Vize-Präsident der Stiftung Napoleon III. Ihr Zweck ist es, besondere Aktivitäten des Napoleonmuseums Schloss und Park Arenenberg zu unterstützen.
Der Verein MUSE.TG hat eine lange Geschichte: Er wurde 1917 als Thurgauische Museumsgesellschaft ins Leben gerufen. Sie war ursprünglich Trägerin der verschiedenen Sammlungen des damaligen Thurgauischen Museums. 1958 gingen die Sammlungen der Museumsgesellschaft – bis auf wenige Objekte – in den Besitz des Kantons über.
Sie bildeten den Grundstock für das Historische Museum im Schloss Frauenfeld, das heutige Naturmuseum Thurgau und das Museum für Archäologie in Frauenfeld. Im November 2018 übereignete der Verein dem Kanton durch Schenkung noch die restlichen Sammlungsobjekte.
Mit dieser Schenkung wurde der Verein vollständig neu strukturiert. Seit November 2019 tritt er unter dem Label MUSE.TG auf. Aktivmitglieder des Vereins sind die Museen, Einzelpersonen sind nun Passivmitglieder.
Der Leistungsauftrag des Kantons verpflichtet MUSE.TG, den Thurgauer Museen eine Plattform für den Austausch und die Vernetzung zu bieten. Dies mit dem übergeordneten Ziel, das Interesse und Verständnis für die Museen und Sammlungen in der Gesellschaft zu fördern.
Der Verein zählt aktuell 125 Passiv- und knapp 40 Aktivmitglieder. Letztere sind Museen und Sammlungen, die das kulturelle Leben im Kanton aktiv prägen.
Mehr zur Geschichte des Vereins und den Museen im Thurgau gibt es auf der Website des Vereins: www.muse.tg
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