von Aline Ostergaard, 23.05.2022
Hemmungslos kreativ
Die Bildschule Frauenfeld feiert ihren fünften Geburtstag. Seit 2017 bilden sich hier Kinder und Jugendliche in Kunst und Gestaltung weiter. Ein Besuch in den belebten Räumen am Frauenfelder Bahnhof. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Silvia Peters, die Initiatorin und Präsidentin des gemeinnützigen Vereins Bildschule Frauenfeld, kann es selbst kaum glauben. Schon fünf Jahre und neun Semester ist es nun her seit der Gründung der Bildschule.
In den systematisch aufgebauten Semesterkursen (2 Stunden pro Woche) und in mehrtägigen Workshops in den Ferien erlernt hier die jüngste Generation den Umgang mit verschiedensten Materialien und Techniken, entdeckt spannende Künstlerbiographien und findet ihre eigene Bild- und Ausdruckssprache.
Pro Semester sind das 75 bis 80 Kinder. Damit verfolgt die Bildschule den gleichen Auftrag wie Musikschulen, aber im gestalterischen Rahmen.
Von Linien zu Flächen, vom Figurativen zum Abstrakten
Judith Peters widmet sich in ihrem «Atelier 1» den 5- bis 7-Jährigen und möchte sinnliches Erfahren ermöglichen. Die Künstlerin und Kunstvermittlerin arbeitet gerne abstrakt, «weil die Kinder sonst schon so auf das Figurative getrimmt sind». Das Ganze müsse aber auch immer mit den Kindern machbar sein.
Aktuell widmet sich die Klasse der argentinisch-schweizerischen Künstlerin Vivian Suter und nimmt diese zum Anlass, sich mit Formen und dem Verhältnis von 2D zu 3D auseinanderzusetzen. «Es ist unglaublich, was man alles machen kann, wenn man den Kindern den Raum gibt», so Judith Peters.
Im Atelier gleich nebenan unterrichtet der Künstler Filib Schürmann. Er vermittelt den Kindern die Macht der Linie und erprobt mit ihnen den Übergang zur Fläche. Eine angeregte Stimmung herrscht, die Kinder sind versunken in ihre Projekte.
Schürmann gibt hier und da Inputs und erinnert die Kinder an die Pausen, wenn sie diese, versunken in ihre Arbeit, mal wieder vergessen. Es hat eine klare Philosophie: «Es geht um die Erfahrung, nicht um schön oder nicht, um richtig oder falsch.»
Zwischen Theorie und Praxis
Auf dem Tisch ein bunter Wiesenstrauss und ein Gemälde von Adolf Dietrich mit genau demselben Sujet, daneben sechs Kinder an Staffeleien. Künstlerin Erna Hürzeler ermutigt die Kinder in ihrem Kurs zu farbenfrohen, von Dietrich inspirierten Gemälden.
«Oftmals bildet die Biographie einen guten Einstieg ins Werk eines Künstlers oder einer Künstlerin. Dies ist auch bei Adolf Dietrich der Fall», weiss Hürzeler. An diesem Nachmittag erzählt sie den aufmerksamen Kindern vom «Ideli», die als junges Mädchen Dietrich regelmässig besuchte und diesem frische Blumen brachte, die der Künstler dann jeweils kurzerhand abmalte.
Begleitend dazu betrachtet Hürzeler mit den jungen Kursteilnehmer:innen ein von Dietrich geschaffenes Porträt vom «Ideli». Denn die Kinder lernen in der Bildschule nicht nur sich selbst gestalterisch auszudrücken, sondern auch Bilder zu betrachten und zu beschreiben. Dies schärft die Sinne und die Urteilskraft in einer bilderüberfluteten Gesellschaft wie der unseren. Den Kindern gefällt’s. «Es git so cooli Kunstbücher», schwärmt die Kursteilnehmerin Hannah.
Druckreif
Im Druckatelier der Grafikerin Nadine Rinderer werden die Jugendlichen zu wahren Designer:innen, die ihre eigenen T-Shirts bedrucken. Vom Entwurf, über die Schablone bis zum Druck. Die Kinder erlernen den Prozess des Druckens unter fachkundiger Anleitung. In Zeiten der Massenproduktion entstehen hier Unikate, die die Kinder sicherlich mit viel Stolz tragen werden.
Im Kurs «Figuren erfinden und giessen» bei der Werklehrerin Kathrin Keller dagegen geht es filigraner zu. Ein Seeungeheuer, ein Käse mit zwei grossen Augen und ein Mann mit aufwendiger Frisur. Die Kinder arbeiten an kleinen Figuren aus einer Art Knetmasse, die sich nach dem Backen im Ofen in Radiergummis verwandelt.
Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Und doch ist die Bildschule eben alles andere als ein «Bastelkurs», wie Peters betont und damit ein immer noch vorherrschendes Missverständnis aus der Welt schaffen möchte: «Wir fördern und fordern. Wir wollen die Kinder etwas Neues erfahren lassen.»
Genau dieses ambitionierte Ziel verfolgen alle 19 Schulen, die schweizweit der «Konferenz Bildschulen Schweiz» angehören, dem Netzwerk der Schweizer Bildschulen.
Eine echte Erfolgsstory
Silvia Peters ist der Kopf, der die Bildschule nach Aussen vertritt und nach Innen zusammenhält. Doch die Bildschule ist kein Ein-Frau-Betrieb. «Wir legen hohen Wert auf gute Lehrpersonen, die sowohl einen künstlerischen als auch einen pädagogischen Hintergrund haben. Die Unterrichtenden bringen ausserdem ihre eigene Ideen ein», erklärt Peters das Erfolgskonzept der Bildschule. Interessante Synergien erkennt Peters auch in der regelmässigen Zusammenarbeit mit Schulklassen.
Auch philanthropische Gönner:innen und öffentliche Stellen haben mit Geld- und Sachspenden über die Jahre entscheidend zum Erfolg der Bildschule beigetragen. Hier zu nennen sind etwa die 15 geschenkten iPads, dank der die Kinder das iPad nicht nur als Gerät zum Konsumieren, sondern auch einmal als Werkzeug für schöpferisches Gestalten kennenlernen. Nur etwas fehle laut Peters noch: ein Klavier…
Viel Zeit zum Feiern des 5-jährigen Jubiläums bleibt der Bildschule Frauenfeld aber nicht. Als Semesterabschluss findet bereits am 18. und 19. Juni die Werkschau statt, an der die Arbeiten der Kinder und Jugendlichen zu bestaunen sind. Einige Wochen später folgt dann die Teilnahme an der Bildhauerwoche vom 22. bis 31. August 2022 im Murg-Auen-Park in Frauenfeld.
Von Aline Ostergaard
Weitere Beiträge von Aline Ostergaard
- Der ganz normale Theaterwahnsinn (09.05.2022)
- Eine Ode ans Theater (02.05.2022)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kulturpolitik
Kommt vor in diesen Interessen
- Kulturvermittlung
- Bildende Kunst
- Illustration
Kulturplatz-Einträge
Ähnliche Beiträge
Jubel wie beim Rockkonzert
Die Plattform thurgaukultur.ch ist 15 Jahre alt geworden. An der Jubiläumsfeier kamen ihre Gründerväter auf die Bühne und blickten stolz zurück. Auch Kabarettist Michael Elsener gratulierte. mehr
Wie sich der Kulturjournalismus selbst abschafft
Und wie wir das vielleicht wieder hinbekommen. Ein Plädoyer für einen neuen Kulturjournalismus. mehr
Die Übermorgen-Stadt
Mit einem neuen Kulturkonzept will sich Kreuzlingen noch stärker als Kulturstadt profilieren. Die Ideen sind gut, die Frage ist nur: Wer soll das eigentlich umsetzen? mehr