von Brigitta Hochuli, 03.05.2011
DREI FRAGEN AN...

... ARNULF MOSER, Autor von „Der Zaun im Kopf“, zur ergänzten Geschichte der deutsch-schweizerischen Grenze um Konstanz und zur Rolle der Kultur.
Brigitta Hochuli
Herr Moser, seit der ersten Auflage von „Der Zaun im Kopf“ im Jahr 1992 wird Ihr längst vergrifffenes Buch andauernd zitiert. Warum haben Sie so lange mit einer Neubearbeitung gewartet?
Arnulf Moser: Der Universitätsverlag Konstanz hat die „Weisse Reihe“, in der das Büchlein erschienen ist, eingestellt. Letztes Jahr hat mich der Hartung-Gorre Verlag in Konstanz gefragt, ob ich an einer aktualisierten Neuausgabe interessiert sei, und ich habe zugegriffen. Der damalige Text ist unverändert, aber die zahlreichen politischen Veränderungen der letzten 20 Jahre haben die Aktualisierung sinnvoll gemacht. Nach dem Fall der Berliner Mauer folgten der Beginn einer heftigen Zaundiskussion, das Problem der Migrantenströme an dieser Grenze, die Grenze als Aussengrenze der EU nach dem Schengen-Beitritt Deutschlands, der neue Autobahn-Zollhof, der allmähliche Abbau des Zauns, die bilateralen Verträge, der Beitritt der Schweiz zum Schengen-Abkommen. All dies hatte seine Auswirkungen an dieser Grenze.
Nun ist der Zaun bis auf historische Stücke und ein paar Gartenhäge weg von der Grenze. Wie sieht es Ihrer Meinung nach heute in den Köpfen aus?
Arnulf Moser: Auch gute Nachbarn haben ihren Gartenzaun, hiess es in Kreuzlingen zur Verteidigung des Grenzzauns. Heute geht es weniger um die Markierung der politischen Grenze und um die Abwehr von illegalen Grenzgängern als vielmehr um Mentalitäten. Der Zustrom von Deutschen in die Schweiz und in diesem Fall nach Kreuzlingen hat die Mentalitätsunterschiede deutlich gemacht, etwa im Umgang mit Nachbarn oder Behörden, und auch feine Unterschiede können Reibereien erzeugen. Aber mit dieser Form von Zaun im Kopf sollte man leben können.
Augenfällig thematisiert wird die Grenze seit einigen Jahren vorallem in kultureller Hinsicht. Es gibt die Kunstgrenze, es gab zum 200-Jahr-Jubiläum des Thurgaus einen grenzüberschreitenden Kulturtisch und vieles mehr. Die Politik diskutiert das Thema hingegen nicht von sich aus, obwohl es gerade an der Grenze durch die Zuwanderung von Deutschen in die Schweiz aktuell brisant ist. Woran liegt das? Glauben Sie, dass die Kultur in dieser Sache ausgleichend wirkt, während die Politik zwar manchmal auf Konfrontation aus ist, die offene Auseinandersetzung aber scheut?
Arnulf Moser: Die Kulturschaffenden waren schon immer in grenzüberschreitenden Projekten offener als die politischen Kräfte. Diese sind nicht auf Konfrontation aus, sondern mehr an rechtliche und politische Vorgaben ihrer übergeordneten Institutionen gebunden. Die Vorbehalte gegen eine Liberalisierung der Grenze waren im Thurgau sicher stärker als auf der deutschen Seite. Aber die Entwicklung der Kooperation zwischen Kreuzlingen und Konstanz ist ebenfalls ein Thema der Neuausgabe.
*****
Der Autor
Dr. Arnulf Moser, Studiendirektor im Ruhestand in Konstanz, ist mit regionalgeschichtlichen Publikationen sowie als Schulbuchautor und Übersetzer hervorgetreten, beschreibt diese ungewöhnlichen Zusammenhänge im Rahmen der Geschichte dieser Grenze, die Veränderungen im europäischen Kontext und die Entwicklung des deutsch- schweizerischen Nachbarschaftsverhältnisses.
Zum Buch schreibt der herausgebende Hartung-Gorre Verlag: „Der unklare und unzweckmässige Verlauf der Grenzlinie, namentlich in stark besiedelten Gebieten wie bei Konstanz, könnte zu unangenehmen Zwischenfällen führen.“ So begründete der Schweizer Bundesrat im Herbst 1938 die neue (heutige) Grenzführung bei Konstanz, zu einem Zeitpunkt, als Hunderte von Juden in die Schweiz zu flüchten suchten. Die Schweiz drängte auch auf einen Grenzzaun im Stadtgebiet zwischen Konstanz und Kreuzlingen, den die deutsche Wehrmacht gegen den Widerstand der Stadt Konstanz durch einen Zaun zwischen dem Ortsteil Paradies und dem Schweizer Tägermoos ergänzte. Der Fall der Berliner Mauer und der Strom der Asylbewerber haben um diesen Zaun eine öffentliche Diskussion über fast zwanzig Jahre entfacht. (pd/red.)

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