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von , 22.06.2023

«80-Stunden-Arbeitswochen sind normal»

«80-Stunden-Arbeitswochen sind normal»
Soundcheck und Vorbereitung: Fabian Ziegler vor seinem Auftritt auf der weltgrössten Messe für Perkussionist:innen in Indianaplois im November 2022. | © Alexander Ponet

Mein Leben als Künstler:in (2): Fabian Ziegler antwortet auf die zwei meist gestellten Fragen an ihn: Wie wird man Musiker? Und was machen Sie sonst so? (Lesedauer: ca. 2 Minuten)

Ich freue mich sehr, zusammen mit vielen, tollen Thurgauer Künstlerinnen und Künstlern die Kolumnen-Reihe bei thurgaukultur.ch zu gestalten. Aus meiner Sicht soll sie dazu dienen, den Menschen – unserem Publikum – einen besseren Einblick in das Leben eines Künstlers zu geben. Wie das auch Ute Klein bereits in der letzten Kolumne sagte, ist es wohl nicht möglich das Leben als Privatperson und KünstlerIn zu trennen – und das soll es auch nicht. 

In meiner ersten Kolumne dieser Reihe möchte ich mich mit den zwei an mich am häufigsten gestellten Fragen befassen. Die Fragen basieren auf vielen verschiedenen Gesprächen bei meinen Konzerten. Diese zeigten mir, dass das Verständnis für den Beruf des Musikers noch nicht vollends vorhanden ist und von vielen Konzertbesucherinnen und Konzertbesuchern unterschätzt wird.

Musik, das kann man studieren?

Der Weg eines Musikers, einer Musikerin, ist lang und benötigt viel Ausdauer. Angefangen mit dem Erlernen eines Instrumentes im Kindesalter, versuchte ich mich bereits in jungen Jahren immer stetig zu verbessern. Ein wichtiger Beitrag in diesem Prozess waren für mich auch die verschiedenen Blasorchester, in denen ich musikalische Erfahrungen sammeln durfte. Nach einem längeren Reifeprozess stellte ich mir die Frage, ob ich mir den Beruf des Musikers, in meinem Fall Percussionist respektive klassischer Schlagzeuger, vorstellen kann. Aus Überzeugung konnte ich die Frage mit JA beantworten und die Laufbahn als professioneller Musiker einschlagen. 

Nach bestandener Aufnahmeprüfung an einer Hochschule, in meinem Fall die Zürcher Hochschule der Künste, absolviert man ein 3-jähriges Grund-Studium mit einem Abschluss (Bachelor of Arts  in Music). Anschliessend stehen verschiedenste Richtungen für weiterführende Studien zur Auswahl. 

Video: Fabian Ziegler bei der Arbeit

Die Ausbildungszeit: 7 Jahre Studium

Da ich mich für die Arbeit als Solist interessierte, absolvierte ich ein zweijähriges Studium zum Master in Specialized Music Performance – Solist, und anschliessend noch eine 2-jährige Ausbildung mit Masterabschluss (Master in Music Pedagogy), um später auch die Möglichkeit zu haben an einer Musikschule oder einer Hochschule unterrichten zu können.

Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage lautet: Ja, Musik kann man studieren. In meinem Fall genoss ich eine 7-jährige Studienzeit an der Zürcher Hochschule der Künste mit wundervollen Professoren die mich förderten aber auch forderten. 

Und was arbeiten Sie neben der Musik?

Die zweithäufigste Frage die ich mit Aussenstehenden diskutieren durfte war die Frage: Und was arbeiten Sie neben der Musik? Diese Frage ist sehr einfach zu erklären. Als selbständiger Musiker bin ich nicht nur Musiker. Ich bin gleichzeitig mein  Manager, Verkaufschef, Organisator, zuständig für Social Media, verantwortlich für die Akquise von Aufträgen, und vieles mehr. Kurz gesagt eine ganze Firma in einer Person. 

Das Konzert ist nur die Spitze des Eisbergs

Um meine Fähigkeiten permanent auf konstant hohem Niveau zu halten und mich auch stetig zu verbessern, übe ich täglich mehrere Stunden in meinem Übungsraum oder probe mit Orchestern und Ensembles neben meiner Konzerttätigkeit. 

Die Arbeit als Musiker beinhaltet also noch sehr viel mehr, als die 1,5 Stunden Konzertdauer, bei dem wir unserem Publikum unsere Musik präsentieren. Das Konzert ist, wie es so schön heisst, nur die Spitze des Eisberges. 

 

«Wir sind Spitzensportler in unserem eigenen Fachgebiet der Musik.»

Fabian Ziegler, Schlagzeuger 

Wie auch andere selbständige Erwerbstätige begleitet mich mein Beruf überall hin. Jede Zugfahrt, jede Autofahrt, viele Unterhaltungen mit Freunden und Familie – oft ist das Thema Musik allgegenwärtig und ich denke über neue Projekte, die weitere Planung oder Ideen nach. 

Grundsätzlich gehört eine 70 bis 80 Stunden-Arbeitswoche zu meinem Leben – Erholung und Urlaub müssen definitiv in ein solches Leben eingeplant werden, denn da unterscheiden wir uns nicht vom Sport. Wir sind Spitzensportler in unserem eigenen Fachgebiet der Musik. 

Die Serie «Mein Leben als Künstler:in»

Im Juni 2023 lancieren wir die neue Kolumnenserie «Mein Leben als Künstler:in». Darin schreiben die vier Künstler:innen Ute Klein, Fabian Ziegler, Thi My Lien Nguyen über ihren Alltag und ihre Arbeit. Diese vier Künstlerinnen und Künstler schreiben bis Ende Oktober 2023 regelmässig und abwechselnd ihre Kolumnen für die neue Serie. Sie erscheint ab dem 15. Juni immer donnerstags. Die Vorgaben, die wir aus der Redaktion gemacht haben, waren minimal. In Thema, Stil, Darstellungsform, Tonalität und Medialität sind alle Autor:innen frei. Die Autor:innen können sich aufeinander beziehen, müssen es aber nicht.

 

Eine kritische Auseinandersetzung mit Dingen, die die Künstler:innen beschäftigen, wie den Bedingungen des Kulturbetriebs oder auch mit dem Kulturleben im Thurgau oder was auch immer, ist genauso möglich wie eine Schilderung des Alltags. Ziel der Serie ist es, ein möglichst realistisches Bild der verschiedenen Künstler:innen-Leben zu bekommen.

 

Idealerweise entsteht so ein Netz aus Bezügen - interdisziplinär und umspannend. Mit der Serie „Mein Leben als Künstler:in“ wollen wir den vielen Klischees, die es über Künstler:innen-Leben gibt, ein realistisches Bild entgegensetzen. Das soll unseren Leser:innen Einblicke geben in den Alltag der Kulturschaffenden und gleichzeitig Verständnis dafür schaffen, wie viel Arbeit in einem künstlerischen Prozess steckt.

 

Denn nur wer weiss, wie viel Mühe, Handwerk und Liebe in Kunstwerken steckt, kann die Arbeit von Künstler:innen wirklich wertschätzen. So wollen wir auch den Wert künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft transparenter machen. Neben diesem aufklärerischen Ansatz ist die Serie aber auch ein Kulturvermittlungs-Projekt, weil sie beispielhaft zeigt, unter welchen Bedingungen Kunst und Kultur heute entstehen.

 

Was wir uns als thurgaukultur.ch auch erhoffen mit der Serie ist, dass ein neuer Dialog der Kulturschaffenden untereinander entsteht, aber nicht nur. Es soll auch ein Austausch mit dem Publikum, also unseren Leser:innen stattfinden. Das geht über unsere Social-Media-Kanäle, in denen wir direkt miteinander diskutieren können oder in der Kommentarspalte zu den einzelnen Beiträgen auf unserer Website. Wenn du konkrete Fragen an die teilnehmenden Künstler:innen hast, wenn dich ein Themenfeld besonders interessiert, dann kannst du mir auch direkt schreiben, ich leite dein Anliegen dann gerne weiter: michael.luenstroth@thurgaukultur.ch 

 

Alle erschienenen Beiträge der Serie bündeln wir im zugehörigen Themendossier.

 

 

 

 

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Autor:in tgk, Kulturschaffende

Fabian Ziegler

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