von Brigitta Hochuli, 18.07.2010
«Der Gott des Gemetzels» ...

Das Stück "Der Gott des Gemetzels" wurde 2006 in Zürich uraufgeführt. 2008 inszenierte es Jean Grädel mit dem Freien Theater Thurgau im Steckborner «Phönix». Starautorin Yasmina Rezas Theaterstücke werden auf Deutsch bei «Libelle» in Lengwil verlegt. Jetzt wird ihr «Gott des Gemetzels» von keinem Geringeren als Roman Polanski verfilmt. Das Drehbuch haben die beiden Stars gemeinsam verfasst. Verleger Ekkehard Faude freut‘s. Auf unsere Bitte um einen Kommentar zur Verfilmung hin hat er sich «am späten Abend schreibend das Vergnügen geleistet, darüber nachzudenken». Es wurde daraus eine Art Selbstgespräch. Die Redaktorin von thurgaukultur.ch hat dazu ordnend die Fragen beigesteuert. (ho)
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Herr Faude, haben Sie gewusst, dass Roman Polanski ein Theaterstück von Yasmina Reza aus Ihrer Verlagswerkstatt verfilmt?
Ekkehard Faude: Nein. Das letzte, was ich von Yasmina Reza selber hörte Anfang dieses Jahres, war, dass sie ihren ersten Film, also den ersten, bei dem sie auch Regie führte, noch zu schneiden hatte. Der Film ging schon deshalb durch die Medien, weil sie eine riskante Idee darin verwirklichte.
Was war das für eine Idee?
Faude: Sie hat Personen aus ihrem schwierigsten Theaterstück, "Ein spanisches Stück", darin weiter entwickelt. Ein faszinierendes Vorhaben, es zeigt unter anderem, dass die Personen, die sie erfindet, für sie ein Eigenleben entwickeln können.
Haben Sie diesen Film schon gesehen?
Faude: Nein, noch nicht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er in Frankreich schon angelaufen ist.
Können Sie beschreiben, welches Verhältnis die Autorin und Schauspielerin Yasmina Reza zum Film hat?
Faude: Zum Film als Kunstgattung hat sie schon lange eine Affinität. Wenn ich mich recht erinnere, war sie mit einem Regisseur verheiratet. In den deutschsprachigen Ländern ist der Film «Picknick mit Lulu Kreutz», für den sie das Drehbuch geschrieben hatte, leider nie in die Kinos gekommen. Wir sahen das in Paris, eine subtile Geschichte um einen Cellisten, um Erinnerung und Liebe. Wir haben es zum Buch gemacht.
Suchen Sie Ihren Buchstoff oft in Paris?
Faude: Das kann passieren. Was in der Region geschrieben wird, finde ich oft langweilig oder konventionell. Die interessanten Ausnahmen kamen in den letzten Jahren eher von Vorarlberg her, Arno Geiger, Michael Köhlmeier.
Und jetzt kommt die Ausnahme aus Frankreich. Yasmina Reza schreibt ein Drehbuch gemeinsam mit Polanski. Erstaunt sie das?
Faude: Nicht eigentlich. Dass sie Polanski schätzt und verteidigt, fiel mir vor einigen Monaten auf. Hat mir gefallen. Diese Verhaftung war ein übler Betriebsunfall der Schweizer Bürokratie. Am künstlerischen Rang Polanskis können solche Vorfälle um lang vergangene Beziehungsdelikte nichts ändern. Und dann auch noch US-Justiz! Den Medien passte die Story supergenau in die Missbrauchs-Debatten, die in vielen Ländern laufen.
Herr Faude, dies zu kommentieren führte hier zu weit. Bei vielen, vor allem bei Frauen, würden Sie damit aber auf Widerstand stossen. Bleiben wir also bei Polanskis Filmen!
Faude: Zu Polanski habe ich tatsächlich das Verhältnis eines Kinogehers. Sein erster Film («Das Messer im Wasser») hat mich vor über 40 Jahren bleibend beeindruckt. Polanskis Filme waren lange Zeit ein Muss: Rosemary, Katelbach, Macbeth. Das sage ich, obwohl für mich Fellini der Grössere, Phantasievollere, Menschenfreundlichere bleibt.
Was verbindet Yasmina Reza und Polanski persönlich?
Faude: Darüber weiss ich nichts. Biographisch haben sie einiges gemeinsam: Beide sind in Paris geboren, beide haben jüdische Vorfahren, auch aus Osteuropa. Gewiss verbindet sie eine künstlerische Unbedingtheit, auch das Fasziniertsein von Gewalt und Macht, von Untiefen unter dem bürgerlichen Fahrwasser. Deshalb war Polanski wohl auch von «Der Gott des Gemetzels» so beeindruckt, dass er den Stoff nun verfilmen will. Nach «KUNST» ist es Rezas wirkungsvollstes Stück.
Seit bekannt wurde, dass Polanski das «Gemetzel» verfilmt, ist der Libelle-Verlag sicher für allerlei Auskünfte gefragt. Wie erleben Sie das?
Faude: Ich erfuhr davon, als wenige Stunden nach Polanskis Freilassung Journalisten hier bei uns anriefen, weil sie Yasmina Rezas Mail-Adresse für ein Interview haben wollten. Die bekommen sie natürlich nicht. Yasmina Reza will ja arbeiten, umgeht mediale Neugier erklärtermassen gern. Bei einem Journalisten der «Süddeutschen» fragte ich dann, was er denn vorhabe. Bis dahin hatte ich von Polanskis Fimplänen nichts gewusst.
Eine bessere Werbekampagne kann es für «Libelle» ja gar nicht geben. Sehen Sie das auch so?
Faude: Ja. Das ist natürlich toll für unser Buch. Man ahnt so etwas ja nicht am Anfang. Wir hatten die Buchfassung am Tag der Weltpremiere druckfrisch fertig, bei «Der Gott des Gemetzels» fand sie auf Deutsch statt, in Zürich, vor fast vier Jahren. Eine der letzten Arbeiten des Regisseurs Jürgen Gosch. Die über 150 Inszenierungen an deutschsprachigen Bühnen haben dann unsere Buchfassung zum Laufen gebracht, inzwischen haben wir Bühnenfotos aus der Zürcher Inszenierung darin. Wenn Polanski seinen Film schafft, kommt der Stoff wieder in alle Medien.
Haben Sie das geahnt, als Sie 1996 mit Yasmina Reza ins Geschäft kamen?
Faude: Nein. Am Anfang war da nur das hohe Entzücken über ihren witzigen und nachdenklichen Text. Yasmina Reza wurde damals auf deutschsprachigen Bühnen noch kaum gespielt, auf dem Buchmarkt war ihr Name sogar ganz unbekannt.
Und so etwas reizt sie dann?
Faude: Genau. Das ist einer der höchsten Reize in der Verlegerei: Qualität etwas schneller zu finden als andere und ohne Rücksicht auf Erfolge einfach zu wagen. Das Stück «KUNST» aber wurde von Anfang an auch ein Bucherfolg. Inzwischen ein Klassiker. Und ich schätze jedes andere Stück von ihr ebenso, man lernt bei jedem ihrer Stücke weiter. Und glücklicherweise ist Yasmina Reza so erfolgreich, dass sie unbeschwert von griesgrämigen Kritiken, die sie oft in Paris bekommt, ihr Ding weitertreiben kann: Menschenleben zu erforschen in der Experimentierküche des Theaters.
Yasmina Reza hat auch den französischen Präsidenten Sarkozy während seines Wahlkampfs beobachtet. Daraus wurde aber kein Theaterstück, sondern ein Prosabestseller.
Faude: Genau, das Welttheater als Experimentierbühne der Macht, das interessiert sie. Aber ihre Prosabücher macht der Verlag Hanser, nicht Libelle.
Bei all dem Getöse um den «Gott des Gemetzels» – steht jetzt nicht zu befürchten, dass Ihre Autorin auch mit ihren Stücken zu einem noch renommierteren Verlag abwandert?
Faude: Nein, das muss ich nicht befürchten. Yasmina Reza hat nach den ersten zehn Jahren den Vertrag mit Libelle sehr freundlich verlängert. Sie mag schöne Bücher und bleibt dankbar für unseren Einsatz auch bei schwierigeren Werken.

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