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von Brigitte Elsner-Heller, 21.09.2018

Auch Freiräume kosten Geld

Auch Freiräume kosten Geld
Auf dem Podium von links: Pascal Biedermann, Simon Hungerbühler, Michael Lünstroth, Urs Brüschweiler, Sarah Müssig und Dorena Raggenbass. | © Brigitte Elsner-Heller

Stadtentwicklung setzt Visionen voraus, bei denen der Kultur eine wesentliche Rolle zufällt. Doch Visionen allein genügen nicht: Am Ende spielt die Ökonomie doch eine Schlüsselrolle. Zu erfahren war dies bei einer Diskussionsrunde im Kult-X in Kreuzlingen, das zum Kulturzentrum entwickelt werden soll. Eingeladen hatte das Architekturforum KonstanzKreuzlingen.

Es mag als symptomatisch gelten, dass zwei jungen Frauen die ersten Minuten der Veranstaltung anvertraut wurden, die eigentlich als Podiumsdiskussion angekündigt worden war – nämlich zu der Frage, welche Rolle der Kultur in der Stadtentwicklung zukomme. Ein grosses Thema, das sich dann auf das Regionale der Städte Kreuzlingen und Konstanz beschränkte. Doch mit den beiden Kommunikationsdesignerinnen Annabelle Höpfer und Miriam Stepper (Konstanz) ging es irgendwie doch gleich zum Kernbereich Kreativität, denn sie haben ein neues Stadt-Magazin entwickelt: NUN. Die zweite Ausgabe ist gerade in Druck gegangen (ja, in Druck – Print soll nicht zum Sterben verurteilt sein). Am 28. September 2018 ist die Release-Party zur zweiten Ausgabe im TURM zur Katz am Konstanzer Kulturzentrum. Eine Einladung. Auch dazu, Dinge um ihrer selbst willen zu tun, über den Zwängen des Alltags das spielerische Moment nicht zu vergessen.

Eine Idee braucht Idealismus

Spielen also, austesten. Eine idealistische Idee. In vermeintlich konkreterer Formulierung spricht man heute von Pilotprojekten oder mindestens Pilotphasen. Das passt zum Bereich Kultur, in der der Begriff „Work in Progress“ schon mal Hochkonjunktur hatte und der oftmals einfach nur Unausgegorenes hochstilisierte. Beim augenblicklichen baulichen und ideellen Werden von Kult-X in Kreuzlingen, der Idee eines Kulturzentrums mit Ausstrahlung, lässt sich das Provisorische zunächst kaum wegdenken. Schliesslich handelt es sich um einen Testbetrieb auf dem ehemaligen Schiesser-Areal, der auf zwei Jahre angelegt ist. Vor neun Jahren hat die Stadt Kreuzlingen das Areal erworben, um Räume für die freie Kunstszene zu schaffen. Simon Hungerbühler ist seit einem Jahr Leiter des Kult-X, das sich – mehr oder weniger auf eigene Faust? – nun ausprobieren darf. Für die Frage, wie Kultur und Stadtentwicklung zusammen gedacht werden können oder müssen, ist Kult-X schon allein wegen seiner räumlichen Transitphase ein guter Ausgangspunkt. Rund 100 Besucher waren zu dem Abend gekommen.

Kult-X in Kreuzlingen befindet sich in der Pilotphase.
Kult-X in Kreuzlingen befindet sich in der Pilotphase. Bild: Brigitte Elsner-Heller 

 

Impulse von Profis

Auf Einladung des Architekturforums KonstanzKreuzlingen (kein Leerzeichen, geschweige denn eine Grenzlinie passt hier zwischen die beiden Städte) startete Pascal Biedermann, Geschäftsführer der Kantensprung AG, Basel, mit einem Impuls-Referat. Eine Gute-Laune-Geschichte, in der es mehr um die Freude an der Entwicklung eines Areals zu gehen schien als um deren Finanzierung. Biedermann, der von der Musik ins Business von Zwischen- und Umnutzung kam, berichtete von Erfolgsgeschichten, in denen verlassene Industriegebäude und -areale „zum Leben erweckt“ wurden. Erste und damit Testphase sei immer eine Zwischennutzung, die etwa drei Jahre andauere, erläuterte er. In diesem Zeitraum kristallisiere sich heraus, was genau gewollt werde. Kultur und Gastronomie sind dabei immer die Pioniere, weitere Initiativen ergäben sich dann in einem dialogischen Prozess, der über Beteiligungsveranstaltungen mit Nachbarn, Behörden, Politik und Kulturschaffenden abläuft. „Man sucht die zündende Idee“, wie Biedermann in einer Einfachheit formulierte, als sei damit die Kuh bereits vom Eis.

Pascal Biedermann, Basel, hat Industriegebäuden mehr als einmal neues Leben eingehaucht.
Pascal Biedermann, Basel, hat Industriegebäuden mehr als einmal neues Leben eingehaucht. Bild: Brigitte Elsner-Heller

 

Die Realität zeigt sich auf dem Podium

In der Podiumsdiskussion, die sich nicht grundsätzlich dem Thema widmete, sondern auf Kult-X bzw. die Grenzregion (ja, es gibt sie, die Grenze, wie noch auszuführen sein wird) fokussierte, trafen Positionen aufeinander, die von idealistischen Ansätzen zeugten, aber auch von Verteilungskämpfen im harten politischen oder ökonomischen Bereich. Auf dem Podium also Vertreter der Städte Kreuzlingen und Konstanz, die vieles gemeinsam machen, vieles aber auch nicht. Dorena Raggenbass, die sich selbst 25 Jahre im Theater an der Grenze engagiert hat und Stadträtin in Kreuzlingen ist, hat dabei in der Konstanzer Kulturamtsleiterin Sarah Müssig ihr direktes Gegenüber; Simon Hungerbühler als Leiter des Kult-X steht für die Initiativen der Pilotphase, während mit Michael Lünstroth (Redaktionsleiter thurgaukultur.ch) und dem Moderator Urs Brüschweiler von der Thurgauer Zeitung zwei Medienvertreter auf dem Podium waren.

«Ziel ist, dass wir nächstes Jahr einen Bescheid haben für die Finanzierung.»

Dorena Raggenbass, Stadträtin Kreuzlingen

 

Nicht wirklich überraschend kristallisierte sich eine Grundkonstellation heraus, in der die Unterschiede zwischen Kreuzlingen und Konstanz einmal mehr deutlich wurden: Dorena Raggenbass, die darauf verwies, dass die Stadt den Ball aufgenommen habe, indem sie das Areal vor neun Jahren gekauft habe, setzt auf Zeit und vor allem die Eigeninitiative der Kulturszene. Als Betreiber habe sich die Stadt Kreuzlingen nie gesehen, sie sei lediglich gefragt, Raum zur Verfügung zu stellen und die bauliche Infrastruktur zu entwickeln. Auch Simon Hungerbühler sieht Kult-X mit seinem bunten Mix von Veranstaltungen auf einem richtigen Weg. Von weitreichenden Visionen, wie sie etwa von Pascal Biedermann ins Spiel gebracht werden, hält er wenig: „Ich bin kein Visionär, ich plane nicht für 20 Jahre. Ich bin Veranstalter.“ Biedermann hingegen, der sich vorstellen könnte, die Aktivitäten seiner Firma auch Richtung Bodensee auszudehnen, plädiert dafür, Freiräume einzufordern und sich nicht von vornherein beschneiden zu lassen, auch wenn Privatinitiativen immer nur kurzfristig wirken könnten, langfristig aber die Stadt gefragt sei. „Wenn es um Kultur geht, bitte mehr Ungehorsam!“, lautet sein Plädoyer.

Zwei Frauen, die Kultur und Politik unter einen Hut bringen müssen: Sarah Müssig und Dorena Raggenbass.
Zwei Frauen, die Kultur und Politik unter einen Hut bringen müssen: Sarah Müssig und Dorena Raggenbass. Bild: Brigitte Elsner-Heller

 

Und Konstanz?

Biedermanns Aufforderung ging in dem Moment allerdings eher in Richtung Konstanz bzw. war Reaktion auf Schilderungen, in welch engem Korsett sich die Kultur dort gegenüber der Wirtschaftsförderung zu behaupten habe. Sarah Müssig, Kulturamtsleiterin in Konstanz, brachte als Erste harte Fakten in die anfangs mehr von Idealismus geprägte Veranstaltung. „Ich bin beeindruckt von der positiven Naivität, auch von dem Abend heute, der Charme hat“, stieg sie ein. In Konstanz sei so eine Situation undenkbar, denn dort stünden gar nicht so viele Areale zur Verfügung. Selbst wenn, stehe die Kultur dort immer in Konkurrenz zur Wirtschaftsförderung. Angesichts der Tatsache, dass Städte – auch Kreuzlingen und Konstanz – über Dienstleistungssysteme funktionierten, brauche man Freiräume für die Kultur. „Und die kosten Geld“, so Müssig weiter. Interessant besonders für Besucher aus Deutschland dürfte die Reaktion des Konstanzer Stadtrats Peter Müller-Neff (Freie Grüne Liste) gewesen sein, der in Bezug auf ein Entwicklungsprojekt in Richtung der Kulturamtsleiterin aus dem Publikum heraus eingriff und sie dazu aufforderte, eine entsprechende Vorlage für den Kulturausschuss zu erarbeiten.

Wie lang muss der lange Atem sein?

Michael Lünstroth, Redaktionsleiter von thurgaukultur.ch und durch seinen journalistischen Werdegang mit den Kulturdebatten der Region vertraut, sprach auch eher konkrete Zahlen und Rahmenbedingungen an. In Bezug auf Konstanz pflichtete er der Kulturamtsleiterin bei: „Wenn in Konstanz Flächen frei werden, leuchten die Augen der Investoren.“ Mit Blick auf die gegenwärtige Pilotphase des Kult-X zeigte er sich zwar beeindruckt, hegte aber auch Skepsis angesichts des langen Zeithorizonts, der aufgezogen worden ist. „Ich wünsche dem Projekt sehr, dass es einen langen Atem hat, aber ich habe Zweifel“, sagte er und warf die Frage auf, ob die Stadt Kreuzlingen ein solches Zentrum wirklich wolle – und was das Kulturzentrum dann eigentlich sein wolle. „Wenn man es grösser will, braucht man Konstanz dafür. Eine grössere Stadt und ein grösseres Publikum.“ Von dem augenblicklichen städtischen Zuschuss über 70.000 Franken flössen zudem 50.000 Franken über die Miete wiederum an die Stadt zurück. „Mit 20.000 Franken kann man kein Kulturzentrum aufbauen“, so sein Fazit.

«Freiräume für die Kultur kosten Geld.»

Sarah Müssig, Kulturamtsleiterin Konstanz

  

Aufgerufen war da Stadträtin Dorena Raggenbass, die selbst aus der Kulturszene kommt, den vielfältigen Visionen als Politikerin aber immer wieder auch Realitäten entgegen halten muss. Sie betonte, dass man sich mit dem Kult-X erst in der Pilotphase befinde, zudem auch ein Zuschuss für die Leitung des Kult-X gezahlt werde (20.000 Franken). Während sie zunächst auf die Bedeutung von Kultur für die Stadtentwicklung hingewiesen hatte, musste auch sie auf die harten Realitäten zurückkommen. Und die sehen nun einmal so aus, dass der Boulevard in Kreuzlingen nicht sehr belebt ist. Grund dafür ist vor allem das Kursverhältnis zwischen Euro und Franken, wieder also die Ökonomie. Auch Simon Hungerbühler, der das Programm der Pilotphase erstellt, hatte zuvor darauf hingewiesen: „Wer bezahlt für das Kino 20 Franken, wenn man es auch für neun Euro bekommt?“

«Unterstützt uns!»

Simon Hungerbühler, Leiter Kult-X

 

Trotz alledem und alledem: Dorena Raggenbass, die zuvor gesagt hatte, dass nie die Absicht bestanden hatte, dass die Stadt die Trägerschaft übernehmen werde, bleibt sich treu – und sieht sich in seltsamer Umkehr der Argumentation nach Einwürfen aus dem Publikum sogar gezwungen darzulegen, dass die Stadt die Freie Szene nicht blockieren werde. Zum Abschluss noch einmal fast so etwas wie ein Datum: „Ziel ist, dass wir nächstes Jahr einen Bescheid haben für die Finanzierung und dass wir dann planen können.“

Das letzte Wort gehörte am Ende eines Abends, der die zwiespältige Ist-Analyse einer Region sowie eines konkreten Orts brachte, dem Interims-Leiter Simon Hungerbühler: „Unterstützt uns!“

Die Kommunikationsdesignerinnen Miriam Stepper und Annabelle Höpfer (von links) stellen das Magazin „NUN“ vor.
Die Kommunikationsdesignerinnen Miriam Stepper und Annabelle Höpfer (von links) stellen das Magazin „NUN“ vor. Bild: Brigitte Elsner-Heller


Weiterlesen: Den Bericht der Thurgauer Zeitung zum Diskussionsabend können Sie hier nachlesen.


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