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von Andrin Uetz, 02.11.2020

Beach Party an Halloween

Beach Party an Halloween
Ekstatische Spielfreude trotz Corona: GeneM bei ihrem Re-Union-Konzert im Frauenfelder Eisenwerk. | © Serge Vonlanthen.

Vor 15 Jahren erschien das letzte Album der Thurgauer Band GeneM. Jetzt kamen sie für ein Reunion-Konzert unter Corona-Bedingungen im Eisenwerk erneut zusammen.

In weniger aussergewöhnlichen Zeiten könnte hier eine Konzertkritik stehen, doch irgendwie scheint das derzeit unpassend. Es geht jetzt ja plötzlich wieder um viel grundlegendere Fragen. Kultur trotz Corona. Ohne Kunst & Kultur wird’s still. Kulturschaffende müssen jetzt zusammenhalten.

Um 20:30 Uhr ist der Saal des Frauenfelder Eisenwerk an diesem Samstagabend noch ziemlich leer. Mit grossem Abstand sind ein paar Stühle im Raum verteilt, die Instrumente der heute auf dem Programm stehenden Band warten auf der Bühne, in der Shedhalle dreht eine Drohne ihre nervösen Runden, das Soundsystem spielt das legendäre Album „OK Computer” (1997) von Radiohead. Wer hätte gedacht, dass eine genossenschaftliche Kulturinstitution wie das Eisenwerk zur Kulisse einer Science-Fiction-Dystopie werden könnte?

GeneM mit Kafi, Mo und Reto. Bild: Roman Schürch

Zum ersten Mal seit Jahren wieder gemeinsam auf der Bühne

GeneM, so heisst die Band des Abends, wird zum ersten Mal seit Jahren wieder gemeinsam im Rampenlicht stehen.

Langsam kommen die ersten Gäste, und mit jeder Person wird es menschlicher, angenehmer im Raum. Getränke dürfen nur im Sitzen konsumiert werden. Es werden wohl gegen die fünfzig Personen sein, mehr dürfen gar nicht rein. Vorschrift vom Bund. Punkt 21 Uhr wird die Band angesagt: Es geht los.

Quasi auf Knopfdruck sind wir in die Nuller Jahre des 21. Jahrhunderts zurück katapultiert. Elemente aus Drum’n’Base, Trip Hop, House und Trance vermischen sich zu einer Wand aus Beats und Bässen, darüber mal kräftig, mal filigran, mal mit und mal ohne Klangeffekte die Stimme der Sängerin Mo (Monika Rietmann).

Endlich wieder gemeinsam auf der Bühne: GeneM. Bild: Serge Vonlanthen

Am Anfang stand das „Libli” von A&O Sound

Reto Rietmann und Kafi Kaufmann arbeiteten Ende der 1990er Jahre beide bei der Fela Leitplattentechnik AG in Thundorf, hatten wohl daher auch schon eine Affinität zur Technik und Elektronik. Als Kafi eines Tages mit einem T-Shirt des A&O Sound Musikhaus zur Arbeit erschien, erkannte Reto einen musikalischen Genossen. Zum Duo gesellte sich die Sängerin Mo sowie der Gitarrist Jörg, welcher heute leider nicht mehr unter uns weilt.

Der Name GeneM steht für Generation Mix, was auch heute noch zutrifft: Kafi ist bereits Rentner, Reto und Mo sind verheiratet und stehen mitten im Berufs- und Familienleben. Zwischen 1999 und 2005 veröffentlichte GeneM zwei Alben und spielte diverse Konzerte in der ganzen Schweiz. Das Material für ein drittes Album hingegen lag nach Auflösung der Band brach, bis sich die Band vor einem Jahr entschied, doch noch etwas daraus zu machen.

Offiziell hätte die Reunion Ende August am „Musig I dä Stadt” in Frauenfeld ihren Einstand feiern sollen, doch das Festival musste Corona-bedingt abgesagt werden. Umso toller also, dass es jetzt im Eisenwerk geklappt hat.

So sehen Konzerte zu Corona-Zeiten aus: Viel Abstand, wenig Bewegung. GeneM bei ihrem Re-Union-Konzert im Eisenwerk am 31. Oktober 2020. Bild: Andrin Uetz

Von Fernost über Irland bis Thundorf

Während rund 1.5 Stunden bekamen die fünfzig Zugelassenen so einiges auf die Ohren. Von Tablas, Steel Drums, Rave Synthesizern, Rock-Gitarren-Samples, nervösen Drum’n’Bass-Beats und fetten Trip Hop Kicks, aber auch Folk und New-Age Elemente wie Flöte (Reto) oder einem verzerrten Banjo-Solo von Mo (ein Highlight!) waren alle Elemente für die perfekte Beach-Party auf Koh Samui, Bali oder Florida vorhanden.

Kein Wunder also, dass trotz Tanzverbot bald mehr als die Hälfte der Gäste sich etwas näher zur Bühne wagten, und immer noch brav Abstand wahrend, so etwas wie verhaltene Gymnastikbewegungen aufführten (was im Gegensatz zum Tanzen ja noch erlaubt ist).

Der langen Rede kurzer Sinn: GeneM macht Generationen vereinenden Elektro-Pop, welcher hoffentlich in absehbarer Zeit auch wieder Leute zum Tanzen bringen darf. Und trotz Mundschutz und melancholischen Untertönen war eines ganz offensichtlich; sowohl das Publikum wie auch die Band hatten jede menge Spass. Vielleicht ist das die Lehre aus diesen schwierigen Zeiten: Es gilt den Wert des Zusammenkommens, der geteilten Erfahrung, des Austauschs und des Enthusiasmus zu rehabilitieren.

Reinhören: Eine Playlist mit älteren Songs von GeneM gibt es hier.
 

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