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von Jeremias Heppeler, 02.05.2017

Botschaft angekommen!

Botschaft angekommen!
Ein Hingucker: Die "50 Suppenlöffel" im Baum von Rahel Müller. Eines der Kunstwerke auf dem neuen Jubiläumsweg der Stiftung Vivala. | © Jeremias Heppeler

Zum 125. Geburtstag leistet sich die Stiftung Vivala einen Kunstweg. Mit Arbeiten von Roman Signer, Rahel Müller, Joëlle Allet und anderen.

Von Jeremias Heppeler 

Roman Signer steht sichtlich angespannt in Mitten einer Menschentraube. Er nimmt sein Handy, wählt. „Ja hallo, wir fangen jetzt an!" Dann greift der vielfach ausgezeichnete bildende Künstler in seine Munitionskiste. Darin befinden sich eine Vielzahl verschieden farbiger Rauchgranaten, er greift zu. Ein Helfer steht neben einer weiteren Kiste bereit, öffnet deren Deckel, Signer setzt die Zündschnur in Brand und wirft die zischende Minibombe in die Kiste. Deckel zu. Krawumm! Jetzt beginnt die eigentliche Aktion: Zwei Industriebläser jagen den freigesetzten Rauch aus der Kiste und in einen durchsichtigen Schlauch, der sich über einen Kilometer durch Weinfelden zieht. Der Rauch bewegt sich, schleicht sich durch die durchsichtige Hülle. Ein bunter Bedeutungsträger, der hier zunächst eingesperrt und in eine ganz konkrete Richtung gedrängt wird.

Künstler Roman Signer (rechts im Bild) startet seinen "Rauchtransport!". Bild: Jeremias Heppeler

„Rauchtransport" heisst die einmalig stattfindende Installationsaktion des St. Galler Künstlers, welche den Vivala Jubiläumsweg mit Kunstinstallationen so visuell eindrucksvoll am 1. Mai eröffnete. Doch erst mal von vorne: Das Vivala hiess bis zuletzt noch Friedheim und wurde vor exakt 125 Jahren gegründet. Innerhalb dieser Zeit reifte die Institution bei Weinfelden zu einer beispielhaften Einrichtung im Umgang mit Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung. Vivala markiert heute den modernen und vielfältigen Lebensraum für circa 50 Kinder und Jugendliche und rund 50 Erwachsene aus dem gesamten Kanton Thurgau. 200 Mitarbeitende (145 davon in Vollzeit) garantieren eine komplexe Betreuung auf der Höhe der Zeit. Auch deshalb kam es für die Verantwortlichen der Institution nicht in Frage, das große Jubiläumsjahr auf abgetretenen Wegen zu feiern.

Die Idee: Zwischen dem evangelischen Kirchengemeindehaus (dem Gründungsort des Friedheims) und dem aktuellen Standort Vivalas entspannt sich für ein halbes Jahr ein mehrschichtiger Jubiläumsweg. Dieser vereint ein ganzes Knäuel an unterschiedlichen Aufgaben: Einerseits soll der Thurgauer Bevölkerung ein Zugang zu zeitgenössischer Kunst ermöglicht werden (für umsonst!), andererseits ist der circa zwei Kilometer lange Weg mit Informationen zum Thema „Menschen mit Beeinträchtigungen" gesäumt, die die wichtige Arbeit der Vivala-Mitarbeiter bekannter machen soll. Die drei Bausteine Institution, Wissen&Geschichte sowie Kunst werden hierbei in ein fast magnetisches Bezugsnetz gesetzt. Sie ziehen sich an, stossen sich ab, reiben sich aneinander, ergänzen und vervollständigen sich. Der Besucher, der alsbald in den Zwischenräumen balanciert, hat die Möglichkeit sich vollends in das Netz zu stürzen – oder aber nur entlang der optischen Reizpunkte flanieren. Die Leichtigkeit und Unaufdringlichkeit jedenfalls, mit der sich der Jubiläumsweg entspannt, ist die grosse Stärke der beispielhaften Kunstaktion.

Wortraupen von Ute Klein. Bild: Jeremias Heppeler

 

Als übergeordneten Themenstempel hatte die „Arbeitsgruppe Jubiläumsjahr" den Diskurs „unterwegs" auserkoren. Auch hier: Mehrdeutigkeiten! „'unterwegs' steht für Vieles. (...) für den geschichtlichen Weg im Laufe der letzten 125 Jahre, das heißt von der seinerzeit so benannten Schwachsinnigen-Fürsorge zur heutigen Betreuung und Förderung von Menschen mit Beeinträchtigungen auf hohem fachlichem und menschlichem Niveau.", heisst es etwa von offizieller Seite. Daran anknüpfend haben neben Signer vier weitere Künstler aus dem Thurgau Kunstprojekte entwickelt. Zunächst rückt Joëlle Allet Arbeit ins Auge. Ihre bunten, verspielten Dreiecke markieren den Weg selbst und werden zur abstrakten Perlenkette, an der sich die weiteren Arbeiten aufreihen. Auf dem Boden. Am Wegesrand. Klar: Unterwegs wird der Weg selbst zum Ziel, zur Kunst. Die blosse Begehung kann und wird für den suchenden Beobachter zur Rezeption reifen. Auch Ute Klein stellt die Leichtigkeit ins Zentrum ihrer Arbeit. Kleins Wortraupen und Falter haben sich in den Bäumen unaufdringlich am Wegesrand festgekrallt und festgesetzt, allzeit bereit zu Abflug. Ebenfalls in den Bäumen entfaltet sich Rahel Müllers spielerische Installation „50 Schöpflöffel". Ebendiese hängen vom Himmel, einfach so, als entkontextualisiertes Zeichen, das uns hier, in der Natur, zum Austausch und zur Bereitschaft, neue Wege und Blickwinkel aufzubringen, erinnert und ermuntert. Auch „Langeweile 3 (Corner 12)" des Künstlerduos Bildstein/Glatz entfremdet einen Alltagsgegenstand: Ein blauer Sessel, eine klare Referenz den weltberühmten „Lounge Chair" von Ray und Charles Eames, steht hier mitten im Feld. Das Pop-Blau trifft auf das Erd-Braun des brachliegenden Feldes.

Zurück in die Echtzeit: Am anderen Ende des Weges wartet Signers Frau Aleksandra auf die Ankunft des Rauches und dem ihm nachfolgenden Publikum. Über die gesamte Strecke verliert der Rauch zunehmend ans Substanz, die bunten Partikel lagern sich nach und nach auf der Strecke ab und werden hierbei zu kleinteiligen Metapher aller Kommunikationsvorgänge. Selbst in unserer total vernetzten Realität verlieren Botschaften über Distanzen und Grenzen hinweg Teile ihres ursprünglichen Sinnes – wer nicht genau hinhört oder hinsieht, der läuft Gefahr Dinge partiell falsch zu deuten. Und doch, das ist die eigentliche Botschaft dieser 750 Meter langen Aktion, können alle Distanzen überbrückt werden und es kommt zur erlösenden Vermittlung kommt. Im Finale nämlich steigt eine dünne Fahne bunter Rauch auf. Botschaft angekommen!

Den Jubiläumsweg im Überblick mit allen Stationen gibt es hier: http://www.vivala.ch/uploads/doc/skizze-jubilaeumsweg.pdf 

Langeweile 3 (Corner 12) heisst die Arbeit des Duos Bildstein/Glatz. Bild: Jeremias Heppeler

Die Dreiecke sind Arbeiten von Joelle Allet. Bild: Jeremias Heppeler

 

Besucher beobachten Roman Signers "Rauchtransport!" Bild: Jeremias Heppeler

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