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Madame Tricot serviert in der Kobesenmühle

Madame Tricot serviert in der Kobesenmühle
Zeigt ihre Strickkunst jetzt an einem idyllischen Ort: Madame Tricot alias Dominique Kähler Schweizer in der Kobesenmühle am Rand des kleinen Niederhelfenschwil, unweit von Bischofszell und gerade so nicht mehr Thurgau, sondern schon St. Gallen. | © Michael Lünstroth

Die Schweizer Strickkünstlerin verwandelt den idyllischen Kunstort in Niederhelfenschwil in ein Schlemmerparadies. Gemeinsam mit Frauengemeinschaften vor Ort lässt sie im Garten sogar Pilze spriessen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Wo immer man in der Kunstbubble hinhört, seit Jahren ist Teilhabe und Partizipation das goldene Kalb, um das alle herumtanzen. Einbinden müsse man die Leute, Dinge erklären und mitmachen lassen. Bisweilen stecken dahinter verkopfte Konzepte, die keiner mehr versteht. Vom hehren Anspruch bleibt dann nicht mehr viel; die Teilhabe steckt in der Sackgasse. 

Man kann es aber auch so machen wie die Stiftung Wilhelm Lehmann in der Kobesenmühle in Niederhelfenschwil. Sie fabulieren nicht gross, sondern sie machen einfach. Bei der neuen Ausstellung von Dominique Kähler Schweizer, besser bekannt als Madame Tricot, haben Frauengemeinschaften aus Niederhelfenschwil, Zuckenriet und Lenggenwil intensiv mitgewirkt. Man kann Partizipation also auch betreiben, ohne ein allzugrosses Tamtam daraus zu machen. 

Ein so bunt schillerndes Buffett sieht man selten

Vielleicht liegt das in dem konkreten Fall aber auch daran, dass die Kunst von Madame Tricot besonders anschlussfähig ist. Sie strickt. Nicht irgendwas, sondern Lebensmittel: Torten, Muffins, Früchteplatten, Käse, Hummer und ganze Metzgerei-Auslagen. Die Damen aus den Dörfern rund um Niederhelfenschwil haben dieses Buffett mit einer besonderen Zutat ergänzt: Pilzen.

Sie spriessen sehr bunt im zauberhaften Garten der Kobesenmühle. „Wir werden im Verlauf der nächsten Monate sehen, ob der Garten und die Natur diesen etwas entgegensetzen kann“, hatte Olivier Zobrist aus dem Stiftungsrat der Wilhelm-Lehmann-Stiftung an der Vernissage dazu gesagt.

 

Fliegenpilze im Garten. Bild: Michael Lünstroth

 

Wilhelm Lehmann und die Stiftung

Schon als kleiner Junge hatte Wilhelm Lehmann (1884-1974) ein Faible für handwerkliches Gestalten, bei seinen Eltern konnte er damit nicht punkten, der Bauernhof verlangte nach harter Arbeit. Für Wilhelm Lehmann ein Konflikt, den er nicht lösen konnte. Er verliess die Familie, um sein Glück zu suchen. Was sich heute so leicht liest, muss um 1900 ein unerhörter Kraftakt gewesen sein.

1918 bezog er mit seiner Frau Klara die alte Mühle. Sie wurde erstmals 740 als Besitz des Klosters St.Gallen erwähnt. Das Wohnhaus mit Sichtfachwerk stammt aus dem 17. Jahrhundert, der Mühlestuhl trägt die Jahreszahl 1758. „Hier fand das Ehepaar den Ort, der ihrer Lebensart entsprach, und hier zogen sie ihre drei Kinder Lukas, Urban und Verena gross“, notiert die Stiftung Wilhelm Lehmann auf ihrer Website

Die Stiftung wurde 1984 gegründet und pflegt heute den Nachlass des eigenwilligen Künstlers. In der Kobesenmühle hat die Stiftung ein kleines Museum eingerichtet, in dem sie einmal im Jahr Werke von Wilhelm Lehmann ausstellt. Manchmal auch im Dialog mit zeitgenössischen Künstlern und Künstlerinnen.

Dominique Kähler Schweizer ist in Paris im Quartier Montmartre in einer Designer-Familie aufgewachsen. Während sie Medizin studierte, besuchte sie parallel dazu die Ecole du Louvre, um Kunstgeschichte zu lernen. Im Alter von sechs Jahren fing Kähler Schweizer an zu stricken. Sie hat sich alles selbst beigebracht und nie wieder mit dem Handwerk aufgehört. 

 

Buffett mit Hochzeitstorte. Bild: Michael Lünstroth

Die Kunst hat physische Wirkungen: Man wird hungrig beim Gang durch die Ausstellung

Wohl auch, weil es für sie eine beruhigende und ausgleichende Wirkung zu ihrem Hauptberuf als Fachärztin für Psychiatrie und Naturheilkunde hatte. „Ich habe einfach grosse Freude daran, immer wieder neue Formen und Möglichkeiten zu entdecken, ich probiere gerne aus“, sagte die Künstlerin im Gespräch mit thurgaukultur.ch an der Vernissage. In den vergangenen Jahren hatte sie international verschiedene Einzelausstellungen sowie Ausstellungensbeteiligungen. Zum Beispiel im Landesmuseum Zürich, im Textilmuseum St. Gallen oder im Gardiner Museum Toronto. Die Künstlerin hat zwei Töchter und zwei Enkelkinder und lebt heute in Wil (St. Gallen).

Während im Garten die Pilze spriessen, zeigt Madame Tricot in der Kobesenmühle einige ihrer Strick-Köstlichkeiten. Mehrstöckige und bunte Torten, Muffins, Donut, zünftige Vesperplatten mit Salami, Käse und einem Brotlaib. In den unteren Räumen wird es dann richtig üppig mit Buffets, die sich fast biegen vor den Delikatessen, die die Künstlerin in die Auslage stellt: ein leuchtend roter Hummer lässt seine Scheren über einen Teller hängen, ein Truthahn liegt saftig im Bräter, dazu Schinken, Käse und Salatvariationen.

Wie wirklichkeitsnah sie die Farbverläufe und Formen der Speisen mit Nadel und Faden hinbekommen hat, ist wirklich verblüffend. Alles sieht so fein aus, dass man den eigenen Magen beim Betrachten der Werke grummeln hören kann.

 

Ein Buffett für Schlemmer bietet die Ausstellung von Madame Tricot in der Kobesenmühle. Bild: Michael Lünstroth
Käseplatte, gestrickt. Bild: Michael Lünstroth

Wie die Künstlerin die Kobesenmühke entdeckte

Mit der Kobesenmühle verbindet die Künstlerin, die der Liebe wegen 1974 in die Schweiz kam, eine sehr besondere Geschichte. Anlässlich ihrer Hochzeit hat sie einer ihrer Trauzeugen mit einem Besuch der Kobesenmühle und einer Gartenbesichtigung mit Verena Lehmann, der Tochter von Wilhelm Lehmann überrascht. 

„Sie war sofort von diesem Ort der Ruhe und Kunst fasziniert und stattete in der Folge Vreni Lehmann viele Besuche ab“, erzählte Olivier Zobrist bei der Eröffnung der Ausstellung. Dieser Verbindung haben die Ausstellungsmacher den sogenannten Hochzeitsraum gewidmet, wo neben der Hochzeitstorte und Buffet auch ein gewobener Wandteppich von Vreni Lehmann zu sehen ist. 

Auch über diese persönliche Verbundenheit hinaus gibt es künstlerische Aspekte, die das Werk von Madame Tricot mit jenem von Wilhelm Lehmann verbinden, findet Olivier Zobrist. Der künstlerische Zugang über persönliche Intuition zum Beispiel. Oder auch die Sorge um die die Natur sei ein weiteres verbindendes Merkmal zwischen den beiden Künstler:innen. Deshalb wachsen auch keine putzigen Eierschwämmli oder Champignons im Garten während der Ausstellung, sondern giftig-orange neophytische Pilze. 

 

Besondere Zuwanderer: Noch mehr Pilze im Garten. Bild: Michael Lünstroth

Kunst als Form der Kommunikation

Und: Für Wilhelm wie Madame Tricot sei die Kunst auch ein Mittel der Kommunikation, oder präziser: ein Instrument des Austauschs der Gedanken und Ideen mit anderen. „Es wäre sicher eine spannende Konversation entstanden, wenn die beiden sich begegnet wären“, ist Zobrist überzeugt.

Video: Madame Tricot im SRF-Bericht

Noch bis 5.Oktober: Die Ausstellungsdaten

Die Ausstellung ist noch bis 5. Oktober in der Kobesenmühle in Niederhelfenschwil zu sehen. Sie ist in der Regel jeden ersten Sonntag im Monat geöffnet. Die nächsten Daten sind: 1. Juni / 6. Juli / 3. August / 7./14. September / 5.Oktober, jeweils 14 bis 17 Uhr.

 

Es gibt auch ein Begleitprogramm zur Ausstellung

 

Samstag, 21. Juni, 18 Uhr
: Sommerkonzert mit dem Manesse Quartett
. Gespielt werden Werke von Ludwig van Beethoven, Elena Kats-Chernin und Alexander Borodin.


Sonntag, 17. August, 10 Uhr: 
Matinée mit Matthias Flückiger
. Der Schauspieler und Leiter des Theater «Trouvaille» liest aus Texten. 

 

Beide Anlässe finden mit Kollekte statt. Anmeldung sind über die Website der Stiftung möglich.

Ein wirklich schöner Ort: Der Garten der Kobesenmühle in Niederhelfenschwil. Bild: Michael Lünstroth

 

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