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von Bettina Schnerr, 06.05.2022

Dank Crowdfunding zur Bibliothek zum Verweilen

Dank Crowdfunding zur Bibliothek zum Verweilen
Am neuen Standort hat die Bibliothek in Bischofszell ausreichend und zudem gemütlichen Platz für ihren Bestand und kann flexibel Veranstaltungen planen. | © Bettina Schnerr

Die Bibliothek Bischofszell hat bei ihrem Umzug nicht nur den alten, beengten Standort hinter sich gelassen, sondern auch eine veraltete Einrichtung. Dabei haben viele Menschen geholfen. Dass die als Verein organisierte Bibliothek das finanziell stemmen konnte, verdankt sie einer Idee von Sandra Müller. Die Bibliothekarin startete ein Crowdfunding für das Mobiliar und was sie auf die Beine gestellt hat, kann seit den Frühlingsferien am neuen Standort bewundert werden. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Rund 40 Jahre zog es lesebegeisterte Bischofszeller:innen in die Villa Kundert. Das stattliche Gebäude beherbergte auf zwei Etagen verteilt die Ludothek der Stadt und auch die Bibliothek. Dass beide ausziehen mussten, hängt mit der Volksschulgemeinde zusammen. Sie benötigte die Räume für ihre Verwaltung und meldete Eigenbedarf an.

Für den Trägerverein der Bibliothek begann eine lange Suche nach einem neuen Standplatz. Der fand sich erst nach mehr als 10 Jahren in einer ehemaligen Denner-Filiale am Hechtplatz. Im vorigen Jahr kam das OK von Schulgemeinde und Gemeindeversammlung, Umzug und Umbau zu finanzieren und den Trägerverein jährlich bei der Miete zu unterstützen.

Einrichtungswünsche mit Crowdfunding erfüllt

So blieb nur ein Problem ungelöst: „Unsere Einrichtung war ziemlich in die Jahre gekommen und aus unterschiedlichsten Quellen zusammengewürfelt,“ erzählt Sandra Müller. Für viele Stücke gab es schon keine Ersatzteile mehr. Damit sie am neuen Ort auch eine zeitgemässe Einrichtung setzen konnten, startete Müller ein Crowdfunding.

„Vor zwei Jahren hatte der Bischofszeller Unverpacktladen auf diese Weise sein Startkapital beschafft,“ erinnert sie sich. „Wir haben unser Projekt dann auf derselben Plattform lanciert.“

Die Crowdfunding-Plattform lokalhelden.ch ist eine Initiative der Raiffeisen-Bank und kostenfrei für gemeinnützige Einrichtungen. „Wir erhielten Tipps, wie wir das Projekt streuen können, und hatten sechs Wochen Zeit, die Finanzierung zu realisieren.“

 

Für das neue Mobiliar der Bibliothek Bischofszell initiierte Sandra Müller erfolgreich ein Crowdfunding. Mit der erlösten Summe und finanzieller Unterstützung des lokalen Gewerbes konnte die Einrichtung modernisiert und an die Bedürfnisse einer zeitgemässen Bibliothek angepasst werden. Bild: zVg

Ziel: Einen Ort der Begegnung schaffen

Damit ein Crowdfunding erfolgreich abgeschlossen werden kann, wird eine Finanzierungsschwelle definiert. Nur, wenn sie überschritten wird, zieht der Plattformbetreiber das zugesagte Geld ein und überweist es an das Projekt.

Für die Bibliothek waren 25.000 Franken als untere Grenze anvisiert: „Das war so kalkuliert, dass damit die wichtigsten Einrichtungsgegenstände finanziert werden konnten,“ erklärt die Initiatorin. Dazu zählten natürlich die Regale, aber auch eine passende Ausleihtheke oder eine Garderobe.

Ein Teil der Regale im Innenbereich sollte zum Beispiel Rollen haben, damit die Bibliothek flexibel Platz für Veranstaltungen schaffen kann: „Für eine moderne Bibliothek ist es immens wichtig, nicht nur Ausleihe zu bieten, sondern auch ein Ort der Begegnung und des Verweilens zu sein.“

 

„Platz haben“ bedeutet auch eine geräumige Ausleihtheke, an der die Mitarbeiterinnen gleichzeitig Arbeitsplätze finden. Das noch leere Regal im Hintergrund bildet künftig eine Sponsorenwand. Bild: Bettina Schnerr

Historische Überraschung bei den Incentives

Bei allen Crowdfunding-Aktionen spielen Geschenke eine grosse Rolle. Wer spendet, erhält ein kleines Dankeschön, das je nach Spendenhöhe von einer handgeschriebenen Postkarte bis zum exklusiven Event reichen kann. Die Bischofszeller zeigten dabei viel kreativen Einsatz. Unterstützung erhielten sie zum Beispiel von den Schulklassen, die ihnen Lesezeichen gestalteten. Aber sie legten auch selbst Hand an. Die Bibliothekarinnen nähten Buchstützen oder bedruckten Tragetaschen.

Überraschend gut lief noch etwas anderes: „Wir hatten historische Zeitungsbünde der Bischofszeller Zeitung, die ältesten von 1896.“ Einige davon hatte Müller als Spendenanreiz angeboten und nur zwei Wochen nach Start des Finanzierungsprojekts waren sie bereits ausverkauft. „Das grosse Interesse hat uns wirklich überrascht. Doch da wir keinen Sammelauftrag haben, konnten wir mehr historische Zeitungen aus unserem Archiv anbieten.“

Das Gewerbe packt mit an

Erreicht hat die Crowdfunding-Aktion schlussendlich fast 31.000 Franken mit 140 Unterstützer:innen. Mit dem Plus gegenüber der Finanzierungsschwelle konnte die Bibliothek nicht nur grundlegendes Mobiliar beschaffen, sondern beispielsweise auch einen Zeitschriftenturm — eine Möglichkeit, unterschiedliche Leihangebote klarer und damit auch attraktiver voneinander zu trennen.

Und so ganz zu Ende war die Sammelphase auch nach dem Stichtag nicht: „Wir blieben im Gespräch mit dem lokalen Gewerbe und freuen uns, dass wir so mit dem Budget gut haushalten konnten. Die Bilderbuchtröge und die Tische der Erwachsenenlounge erhielten wir zum Beispiel von drei ansässigen Schreinereien zum vergünstigten Preis.“

 

Bücher stehen hier nicht nur in den Regalen: Gefaltete Halterungen aus alten Büchern weisen auf die Sparten und Rubriken hin. Die „Orimoto“-Werke sind fast schon ein kleines Markenzeichen der Bischofszeller Räume. Bild: Bettina Schnerr

Alles wurde passgenau fertig

Den Umzug haben die Mitarbeiterinnen in den Osterferien gestemmt, in der die Bibliothek ohnehin geschlossen hatte. Laster und Möbellift dazu wurden von vier Gewerblern aus der Stadt gesponsort.

Aus Sirnach konnten passgenau die rollbaren Regale für den Erwachsenenbereich übernommen werden. „Probleme“, wenn man bei diesem reibungslosen Ablauf überhaupt davon reden kann, machten lediglich die Sitzkissen für die Kinderecke oder Lesesessel für die Erwachsenenlounge. Die waren am Eröffnungstag wegen Lieferschwierigkeiten noch nicht eingetroffen.

Auch ein paar Lampen fehlen noch. Aber alles in allem sind die 300 Quadratmeter für Ludothek und Bibliothek passgenau für alle fertig geworden.

Erste Ausbaupläne im Kopf

Seit der Eröffnung nach Ostern ist bereits Trubel in die neuen Räume eingezogen. Vor allem die jüngeren Schulkinder, die vom typischen Renovierungsgeruch noch etwas irritiert waren, werden den neuen Farbanstrich schon bald nicht mehr riechen.

Und seit Denner ausgezogen ist, sieht man erst, wie viel Platz die Erdgeschossräume eigentlich bieten – und wie viele Fenster. „Die waren früher natürlich zugestellt und alles wirkte eher düster. Jetzt lädt der Raum zum Stöbern und Verweilen ein,“ freut sich Sandra Müller.

 

So sah es in den Räumen vor dem Umbau aus: Das „Erbe“ der früheren Denner-Filiale ist noch erkennbar. Die Fenster im nüchternen Raum waren einst mit Regalen zugestellt. Neu ist die eingezogene Wand hinter der zweiten Säule; sie trennt die Bereiche von Bibliothek von Ludothek. Bild: Sandra Müller

Raus aus der Enge

„Am alten Standort war man schon im Weg, wenn man sich, so wie wir gerade, unterhalten hat.“ In der Villa herrschte sicher ein Kommen und Gehen, aber kein Bleiben. Dass die modernisierte Bibliothek mehr Aufenthaltsqualität bieten wird, spürt man auch nach einem kurzen Besuch ziemlich schnell.

Mit dem Umzug erweitert wurden zusätzlich die Öffnungszeiten. Neu ist eine Ausleihe Dienstag früh möglich und Freitag Nachmittag wurden die Zeiten nach vorne verschoben, sodass die Schüler und Schülerinnen aus Bischofszell und den Nachbargemeinden direkt nach der Schule vorbeischauen können.

Geplant: Mehr Manga-Comics anschaffen

Die Bischofszeller Bibliothek, eine fast 130 Jahre alte Institution, führt aktuell rund 12.360 Medien und es werden bald mehr. Müller und ihre Kolleginnen haben dank der besseren Bedingungen bereits Ideen für den Ausbau des Angebots: „Englische Titel sollen es mehr werden,“ planen sie. „Wir möchten auch Reihen auffüllen, vor allem für die Kinder. Manga beispielsweise haben wir im Verhältnis zur Nachfrage so wenig, dass praktisch selten etwas zur Ausleihe in den Regalen steht.“

Aktive Nutzer:innen gibt es derzeit etwa 1.000 und vielleicht überträgt sich die Lust am Buch dank der neuen Räume und Möglichkeiten auf ein paar Menschen mehr.

 

Blick fürs Detail nicht nur mit den Buchstützen: Transparente Rückwände schaffen über Licht- und Schattenspiele eine Verbindung zwischen den Seiten. Bild: Bettina Schnerr

 

Tag der offenen Tür

Die Bibliothek Bischofszell feiert die Eröffnung der neuen Räume am Hechtplatz am 14. Mai mit einem Tag der offenen Tür mit vielen Aktionen, wie Glücksrad, Sockentheater, Geschichtenerzählen und Actionbound-Abenteuern. Ludothek und Bibliothek haben zwischen 10 und 14 Uhr offen.

 

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