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von Inka Grabowsky, 11.03.2021

Der Stierkampf

Der Stierkampf
Stierisch gut: Die Kunst am Kreisel in Amriswil. | © Inka Grabowsky

#Lieblingsstücke, Teil 5: Kunstwerke auf Kreiseln sorgen immer für Diskussionen. In Amriswil nahm der Streit unvergessliche Formen an.

Wahre Kunstwerke wirken unmittelbar - ohne dass der Betrachter weiss, was sich der Schöpfer bei der Arbeit gedacht hat und welchen Kontext es beim kreativen Prozess gab. Ich will nicht ausschliessen, dass der Stier von Amriswil auf unbefangene Beobachter tatsächlich unmittelbar wirkt. Dass sie seine Kraft erkennen, den Bezug zur historischen Heraldik und die Projektionsfläche, die er bietet.

Doch wenn ich um den Kreisel herumkurve, muss ich lächeln, weil ich die Entstehungs-Geschichte mitdenke und mich an die Posse um die Unterhosenstiere des Wäscheproduzenten ISA-Sallmann erinnere.

Geliebte Guerilla-Kunst

Im Sommer 2012 begannen nach jahrelanger Planung in Amriswil die Bauarbeiten für einen Kreisverkehr, der die Kreuzung von Weinfelder- und Alleestrasse ersetzen sollte. Die unerträglich leere Fläche im Innenraum des Kreisels wollte die Kulturkommission der Stadt mit einer künstlerisch wertvollen Stele auffüllen. Idee war damals schon, dass unterschiedliche Künstler die Stele wechselweise bespielen sollten. Dazu kam es jedoch nie.

In einer Nacht- und Nebel-Aktion stellten Unbekannte (die selbsternannte Kreiselbande) einen der lebensgrossen Werbestiere von ISA-Sallmann auf die jungfräuliche Fläche. Bald kamen zwei weitere dazu. Jeder lachte. Nun ja, fast jeder.

Auf Kreisverkehrsinseln darf keine Werbung stehen. Nichts soll den Blick des Autofahrers ablenken und seine Konzentration stören. Trotzdem mochte die Bevölkerung die Stiere mit dem Logo auf der Unterhose. Sie erfüllten schliesslich eine wunderbare Funktion als Wegweiser: Die Fabrik ist da, wo die Stiere sind. Und die konnte man einfach nicht übersehen.

Alle vier Jahr kann hier ein anderer lokaler Künstler seine Werke präsentieren. Bild: Inka Grabowsky

Übersetzte Geschichte

Deshalb gab es einen gut schweizerischen Kompromiss. Die Stiere blieben – wenn auch mit abgedecktem Werbeschriftzug - bis Ende 2014 stehen, und dann gab es statt Stelen die rund sechs Meter hohe Stiersilhouette von Hanswalter Graf. Er schuf übrigens auch den Bassisten vor dem Pentorama eine Strassenecke weiter.

Die stierförmige Alu-Wand mit Stahlkern ist mit Folie bezogen, so dass dort alle vier Jahre ein anderer lokaler Künstler seine Werke präsentieren kann. Walter Dick aus Schocherswilen machte den Anfang und zeigte auf den beiden Seiten zwei Idyllen für Tagträumer: den See und die Berge.  2019 kleidete dann Regula Stüdli den Stier in klassische Stoffmuster, um an Amriswils Geschichte als Standort der Textilindustrie zu erinnern.

Stiere nicht im Ruhestand

Über die alten Werbestiere kann man sich immer noch freuen. Einer zog vor die Wäschefabrik, andere hat die Baufirma Kibag gekauft. Mit neuer Unterhose markieren sie jetzt die Baustellen des Unternehmens und bringen Insider an immer wechselnden Orten zum Lächeln.

Noch nicht im Ruhestand: Die Werbestiere, die für so viel Aufruhr gesorgt hatten. Bild: Inka Grabowsky

 

Die Serie #Lieblingsstücke und wie Du mitmachen kannst

In unserer neuen Serie #Lieblingsstücke schreiben Thurgaukultur-KorrespondentInnen über besondere Kunstwerke im Kanton. Das ist der Start für ein grosses Archiv der beliebtesten Kulturschätze im Thurgau. Denn: Wir wollen auch wissen, welches ist Dein Lieblings-Kunststück aus der Region?

 

Skulpturen, Gemälde, historische oder technische Exponate, Installationen, Romane, Filme, Theaterstücke, Musik, Fotografie - diese #Lieblingsstücke können ganz verschiedene Formen annehmen. Einige der vorgestellten Werke stehen im öffentlichen Raum, manche sind in Museen zu finden, andere wiederum sind vielleicht nur digital erlebbar. Die Serie soll bewusst offen sein und möglichst viel Vielfalt zulassen.

 

Schickt uns eure Texte (maximal 3000 Zeichen), Fotos, Audiodateien oder auch Videos von euch mit euren Lieblingswerken und erzählt uns, was dieses Werk für euch zum #Lieblingsstück macht. Kleinere Dateien gerne per Mail an redaktion@thurgaukultur.ch, bei grösseren Dateien empfehlen wir Transport via WeTransfer.

 

Oder ihr schreibt einen Kommentar am Ende dieses Textes oder zum entsprechenden Post auf unserer Facebook-Seite. Ganz wie ihr mögt: Unsere Kanäle sind offen für euch!

 

Alle Beiträge sammeln wir und veröffentlichen wir sukzessive im Rahmen der Serie. Sie werden dann gebündelt im Themendossier #lieblingsstücke zu finden sein.

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