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Frauen müssen draussen bleiben

Frauen müssen draussen bleiben
«Wir beide, die Konstablergesellschaft und ich, waren in unseren Anliegen sehr hartnäckig.» Samantha Zaugg über ihren Film «Das Bankett» | © zVg

Die junge Regisseurin Samantha Zaugg hat einen kritischen Dokumentarfilm über die Frauenfelder Konstablergesellschaft gedreht. Das kam nicht überall gut an. Jetzt feiert der Film Premiere bei den Schweizer Jugendfilmtagen in Zürich. Zumindest digital.

Samantha, Dein Film „Bankett“ feiert am Donnerstag bei den Schweizer Jugendfilmtagen in Zürich Premiere. Aufgeregt?

Ja, ein bisschen schon. Vor allem deshalb, nicht miterleben kann, wie die Reaktionen auf den Film sind. Wenn man im Kino mit Publikum ist kann man ja etwa spüren, was bei den Leuten passiert. Das geht via Stream nicht.

Wegen Corona findet das Festival nur digital, also via Stream statt. Schaust Du Dir deinen Film dann nochmal an?

Ich schaue ihn auf jeden Fall, nur schon um zu sehen, ob alles mit dem Stream funktioniert. Vor allem aber deshalb, weil ich mir meine Premiere nicht ganz nehmen lassen will. Es gibt ja nicht nur den Film, sondern auch eine Begrüssung und Rede zur Eröffnung des Festivals. Ich bin natürlich schon enttäuscht, dass mich dieses elende Virus um meine erste offizielle Premiere bringt. Ich hab mich ein Jahr lang gefreut mit dem Intercity nach Zürich zu fahren und im Zug ein Bier zu trinken und zu wissen, dass die ganze Arbeit sich gelohnt hat. Das geht jetzt halt nicht. Aber ich finde stark, wie sich das Festival nicht unterkriegen lässt, sowas finde ich in dieser Zeit wichtig.

„Würde eine Tradition kaputt gehen, wenn Frauen dabei wären? Das wollte ich in einem Film behandeln.“

Samantha Zaugg, Regisseurin

In Deinem Film geht es um das Bürgermahl der Konstablergesellschaft. Wie bist Du auf die Idee gekommen genau darüber einen Film zu machen?

Zuerst sollte es um das Bürgermahl gehen, der Film hat sich dann aber recht verändert. Jetzt geht es eigentlich um etwas anderes, das Bürgermahl wurde zur Kulisse. Ursprünglich hat mich interessiert, was es mit dem Bechtelistag auf sich hat. Für Frauenfeld ist das der höchste Tag im Jahr, es wird vor allem getrunken und zwar generationen- und schichtenübergreifend. Also was Cooles. 

Und dann?

Ich habe begonnen zu recherchieren und bin dabei auf die Bürgergesellschaften von Frauenfeld gestossen. Diese drei Gesellschaften sind ähnlich, wie Zünfte, es gibt insgesamt drei, und zwei davon schliessen Frauen als Mitglieder aus. Das hat mich interessiert. Wie verhalten sich Tradition und Moderne zueinander? Was macht eine Tradition aus? Wie kann sie mit der Zeit gehen und trotzdem bewahrt werden? Würde eine Tradition kaputt gehen, wenn Frauen dabei wären? Das wollte ich in einem Film behandeln. Damit stiess ich bei der Konstablergesellschaft auf unerwarteten Widerstand. Genau diese Reibung zwischen mir als Filmemacherin und der Konstablergesellschaft entwickelte sich schliesslich zum spannendsten Teil der Geschichte. Deshalb habe ich mich entschlossen auf die Metaebene zu wechseln und genau das zu thematisieren.

Tischlein deck Dich: Frauen dürfen den Tisch decken, aber mehr nicht beim Bürgermahl der Kurzdorfer Konstablergesellschaft. Die Regisseurin Samantha Zaugg hat interessiert, warum das so ist. Das Foto zeigt eine Szene aus ihrem Film «Bankett», der bei der Zürcher Jugendfilmtagen Premiere feiert. Bild: zVg

 

Wie bist Du bei der Recherche und dem Dreh vorgegangen?

Erstmal bin ich in die Kantonsbibliothek. Da gibt es viel Literatur zum Thema. Alles rund um die Bürgergesellschaften, die Bürgergemeinde und überhaupt lokalhistorisches hab ich mir da mal besorgt und gelesen. Dann ging's los mit Recherchegesprächen. Und schliesslich hatte ich ziemlich viele Informationen zusammengetragen. Eigentlich sollte der Film an verschiedenen Schauplätzen spielen, ich hab auch viel Zeit bei Drehs verbracht. Das musste ich dann alles über den Haufen werfen, weil sich die Geschichte so verändert hat. So viel Arbeit in die Tonne hauen und nochmals von null beginnen, da musste ich mich recht überwinden. Auch deshalb, weil der Film dadurch persönlich wurde. Die grosse Arbeit kam dann im Schnitt. Zwei Wochen hab ich quasi im Schnittplatz gewohnt, um eine gute Dramaturgie hinzukriegen.

Was hat Dich an dem Thema überhaupt interessiert?

Ich interessiere mich sehr für Gleichstellung und Geschlechterrollen. Ich konnte es mir einfach nicht erklären, wieso es wichtig sein sollte, dass keine Frauen als Mitglieder zugelassen sind. Die Konstabler schreiben selber über sich, gegen die Aufnahme von Frauen spreche ein historischer und ein praktischer Grund: Die Konstablergesellschaft wurde als Gesellschaft von Männern gegründet und im Rathaus wäre nicht genug Platz für Männer und Frauen. Während der Recherche habe ich aber gemerkt, dass das Thema viel breiter ist. Spannend fand ich da, das Frauen beispielsweise auch nicht als Ehrengäste zugelassen sind. Gewisse Personen sind beim Bürgermahl auf Grund ihres Amtes als Ehrengast fixiert, beispielsweise der Präsident des Regierungsrates, des Grossen Rates, der Frauenfelder Gemeinderates und der Stadtpräsident. Wird das Amt von einer Frau belegt, wird sie nicht eingeladen auf Grund ihres Geschlechts. Sofern der Vize ein Mann ist, kann er ihre Einladung übernehmen. Das hat mich doch erstaunt.

„Meine Intention war es einen Film zu machen um etwas zu verstehen. Aber in gewissen Bereichen verstehe ich nun noch weniger als vorher.“

Samantha Zaugg, Filmemacherin

Wie waren die Reaktionen bei der Konstablergesellschaft?

Ich hatte angenehme Kontakte mit verschiedenen Personen. Als es konkret um Drehs ging musste ich meine Anfrage an die Konstabler Kommission stellen, wo sie schliesslich abgelehnt wurde. Ich konnte keine Interviews oder Drehgenehmigungen mehr erwirken, zeitweise sah es so aus, als könnte ich den Film gar nicht realisieren. Schlussendlich konnten meine Equipe und ich doch einige Aufnahmen von der Vorbereitung des Banketts machen. Den Film hat bis jetzt noch niemand gesehen, da warte ich die Premiere ab.

In Deinem Flyer zum Film schreibst Du: „Es ist ziemlich ungünstig, wenn man in einem Dorf Leute gegen sich aufbringt. Noch ungünstiger ist es allerdings, wenn man da auch wohnt.“ Erzähl, was ist das passiert?

Wir beide, die Konstablergesellschaft und ich, waren in unseren Anliegen sehr hartnäckig. Ich denke, das Ich war in meinem Anliegen sehr hartnäckig und die Konstabler anderseits in ihrem. Das hat für Reibungsfläche gesorgt. Zu viel will ich da nicht erzählen, sonst nehme ich dem Film da viel vorneweg.

Beim Dreh: Samantha Zaugg und ihr Team. Bild: zVg

 

„Ich konnte keine Interviews oder Drehgenehmigungen mehr erwirken, zeitweise sah es so aus, als könnte ich den Film gar nicht realisieren.“

Samantha Zaugg, Regisseurin

Was hat das bei Dir ausgelöst?

Unverständnis und auch eine gewisse Ratlosigkeit. Meine Intention war es einen Film zu machen um etwas zu verstehen. Aber in gewissen Bereichen verstehe ich nun noch weniger als vorher. Und natürlich habe ich mir auch Gedanken gemacht, wie das im Dorf aufgenommen wird. Mit dem Film exponiere ich mich ja doch, ich habe auch lange darüber nachgedacht, ob ich das wirklich will. Aber das Thema ist mir wichtig, deshalb habe ich mich dafür entschieden.

Hat sich Dein Verständnis von Heimat durch den Dreh verändert?

Sehr. Ich habe gemerkt, dass man sich sehr wohl an einem Ort zuhause aber gleichzeitig auch sehr fremd fühlen kann. Ich hätte nicht gedacht, dass eine Idee für einen Film so viele Emotionen auslösen kann, bei mir selbst, wie auch bei anderen. Heimat hat viel mit Festen, Bräuchen und Traditionen zu tun. Und da finde ich, ist eine genaue Betrachtung wichtig. Das Bürgermahl der Konstablergesellschaft steht da nur stellvertretend. Das Zürcher Sechseläuten, die Luzerner und die Basler Fasnacht, die Appenzeller Silvesterchläuse, der Chalandamarz im Bündnerland, das alles sind Traditionen in denen Männer die Hauptrolle spielen und die Frauen, wenn überhaupt, eine untergeordnete Position einnehmen. Bräuche und Traditionen sind absolut identitätstiftend und sagen etwas aus über eine Gesellschaft.

„Bräuche und Traditionen sind absolut identitätstiftend und sagen etwas aus über eine Gesellschaft.“

Samantha Zaugg

Und: Gibt es ein Special-Screenings für die Konstablergesellschaft?

Nein, Special Screening gibt es nicht. Aber ich plane eine Aufführung im Cinema Luna, sobald man wieder ins Kino darf. Und da hoffe ich, dass Frauenfelderinnen und Frauenfelder kommen und wir Diskussionen und Gespräche nachholen können.

Vor dem Bankett: Hier trifft sich die Konstablergesellscahft am Bechtelistag zum Bürgermahl. Aber Frauen müssen draussen bleiben. Die Frauenfelder Filmemacherin Samantha Zaugg hat interessiert, warum das so ist. Bild: zVg

 

Die Premiere und die Regisseurin

Premiere: Der Film „Bankett“ wird im Streaming zur Eröffnung der Jugendfilmtage in Zürich am Donnerstag, 26. März, 19 Uhr, gezeigt. Den Link zum Streaming gibt es hier. Mit der Idee zu dem Film hatte Autorin und Regisseurin Samantha Zaugg im vergangenen Jahr bei den Jugendfilmtagen den Pitchingwettbewerb «Klappe Auf!» gewonnen. Deshalb läuft der Film ausserhalb des Wettbewerbs.

 

Die Regisseurin: Samantha Zaugg (25) ist in Frauenfeld aufgewachsen und lebt auch heute noch dort. Sie ist nicht nur Filmemacherin, sondern auch Journalistin. Als Autorin arbeitet sie auch regelmässig für thurgaukultur.ch Sie hat ein Kommunikationsstudium abgebrochen und dann die Schweizer Journalistenschule absolviert. Zurzeit studiert sie Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste mit Vertiefung Fotografie.

 

 

 

 

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