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von Bettina Schnerr, 19.03.2019

Eine Welt versinkt im Chaos

Eine Welt versinkt im Chaos
„Wie man sich selbst als Fisch zeichnet“: Szenenfoto mit Sibylle Ciarloni aus dem gleichnamigen Kurzfilm. | © Bild: Bettina Schnerr

Wie erschafft man aus einer Erzählung erlebbare Welten für mehrere Sinne? Die Autorin Sibylle Ciarloni und die Klangkünstlerin Rahel Kraft beantworteten diese Frage eindrucksvoll beim Premierenabend ihres ersten gemeinsamen Programms „Alles in Ordnung“. In zwei Teilen gestalteten sie mehrere Texte Ciarlonis zu neuartigen Klangkreationen um.  

Zum Performance-Programm „Alles in Ordnung“ erwartet das Publikum ein erster künstlerischer Eindruck schon im Eingang zum „Haus zur Glocke“, auch, wenn der Zusammenhang erst im zweiten oder dritten Raum klar wird: Blaue Bänder markieren den Weg und stimmen farblich zugleich auf das wichtigste Element ein, das am Abend eine Rolle spielen wird: Wasser. Die Bänder ziehen sich durch alle Räume, markieren Soundboxen und dekorieren.

Mit Hereinkommen und Setzen ist es nicht getan. Sibylle Ciarloni und Rahel Kraft laden ein, im Haus und seinen Zimmerchen zu stöbern. An den Wänden verteilt hängen Textauszüge, Wortspiele und Grafiken. Zwei Soundboxen von Rahel Kraft tauchen einen Raum bereits in eine Soundwolke, sphärische Klänge mit ersten Wörtern überlagert. Die Künstlerinnen sind längst im Haus unterwegs und führen durch die Räume.

„Fluten, Wohnhaus, Tiefgarage“

Der Abend beginnt mit einer Performance auf Basis von „Bernstein und Valencia“, der Titelgeschichte aus dem gleichnamigen Erzählband von Sibylle Ciarloni. Es ist eine Arbeit, die den Text massiv auf wenige bestimmende Schlagwörter eindampft. Das Erzählerische tritt hinter die Kreation der passenden Klangwelt zurück. „Dieses Stück ist unsere Vertonung jener Welt aus der Geschichte,“ beschreibt Ciarloni. „Es ist gleichzeitig die Vertonung einer möglichen Zukunft.“ Bei „Bernstein und Valencia“ sieht diese nicht rosig aus: Der steigende Wasserspiegel sorgt dafür, dass weite Landflächen überflutet und die übrig gebliebenen felsigen Inseln dicht bewohnt sind.

Entsprechend intensiv ist die Aura der Verzweiflung und Sinnlosigkeit, die Ciarloni und Kraft erzeugen. Sie sprechen gleichzeitig, überlagern mal gleiche, mal unterschiedliche Wörter und Sequenzen. Sie arbeiten mal zusammen, mal gegeneinander an. Die Stimmen aus den Soundboxen tauchen als „Rezitatoren“ auf, untermalt von einem Klangteppich, der nun in der gezielten Kombination mit Textfragmenten geradezu dystopisch anmutet. Kraft schnappt in dieser Wasserwelt immer wieder nach Luft, während Ciarloni von den Enten erzählt. Die können etwas mit den Wassermassen anfangen, aber die Menschen gönnen ihnen den Spass sichtlich nicht. Eine Lösung für das Dilemma geben die beiden zunächst nicht an die Hand, sodass ihnen ein Stück mit einem ganz eigenständigen Charakter gelingt.

Sibylle Ciarloni und Rahel Kraft transformieren mit Wortspielen, ihren Stimmen und nur wenigen Instrumenten eine Kurzgeschichte zu einem akustischen Erlebnisraum für Stimmungen. Bilder: Bettina Schnerr

Das Spiel mit der Groteske

„Wir schlagen einen Ausweg vor,“ verspricht Ciarloni. Den kann man in der ursprünglichen Kurzgeschichte nachlesen. Doch die beiden Künstlerinnen haben natürlich auch dieses Konzept zu einer eigenen Schöpfung weiterentwickelt: „Wie man sich selbst als Fisch zeichnet“. Sie ist als szenische Lesung Bestandteil des Programms, exisitert aber auch als herrlich absurd-verspielter Kurzfilm. Wer den Film während der Tournee nicht sehen kann (er wird während der Pause gezeigt), muss sich bis zu deren Ende gedulden; erst dann stellen ihn Ciarloni und Kraft für jedermann zur Verfügung.

„Dazwischen gibt es Suppe.“ Die schlichte Ankündigung für die Zeit zwischen den beiden Teilen des Abends hat es in sich. Zum Konzept des Hauses zur Glocke von Judit Villiger gehört nicht nur die kleine Wirtschaft, sondern auch die Tradition, gemeinsam mit den Künstlern zu essen. Diese helfen kochen und sitzen hinterher mit dem Publikum beisammen. An diesem Abend übernimmt der Vater von Rahel Kraft die Suppenkelle und Sibylle Ciarloni erzählt aus den Anfängen ihrer Zusammenarbeit.

Video: Trailer zu „Wie man sich selbst als Fisch zeichnet“

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass sich die beiden Künstlerinnen am NAIRS, dem Zentrum für Gegenwartskunst in Scuol, kennengelernt hatten. Die Autorin und Wortkünstlerin auf der einen Seite, die Musikerin und Soundtüftlerin auf der anderen und wie sie selbst sagen, beide gerade auf dem Weg zum Gemeinschaftskühlschrank.

Die Idee zu einer Zusammenarbeit kam schnell über gemeinsame Interessen. Sibylle Ciarloni ist die Gestaltung von Texten mit Musik und Klängen aus ihrer Arbeit im Radio vertraut und Rahel Kraft ergänzte die Idee mit ihrer eigenen Arbeit und Kreativität. Von der Auswahl der Texte bis hin zur Umsetzung selber: „Die Essenzen der Texte umzusetzen, Assoziationen und Töne zu finden, war ein wunderbarer Prozess, bei dem wir sehr voneinander profitiert haben.“

Klänge und Musik in Räumen denken 

Den zweiten Teil des Abends gestalten Ciarloni und Kraft mit szenischen Lesungen. Wer die Kurzgeschichten Ciarlonis kennt oder später nachliest, wird sie in diesem Fall wiedererkennen. Mit der leichten Überarbeitung einzelner Textpassagen und der Klangkunst jedoch erhält jede Erzählung zusätzliche Dimensionen. Geht es nach Rahel Kraft, sind es drei: „Ich denke Klänge und Musik in Räumen,“ beschreibt sie ihre Arbeit. „Ich kann die Texte nicht illustrieren, sondern gestalte Klangräume, in denen sie auf eine ganz bestimmte Weise wirken.“

Ganz besonders funktioniert das bei den beiden ausgewählten Texten. Der eine spielt in einem halb zerfallen Hotel, das Synchronschwimmerinnen beherbergt und wundersamerweise ein noch funktionierendes Thermalwasserbecken sein Eigen nennt. Der andere begleitet ein Mädchen zu einer Party in einem verwirrend grossen, labyrintischen Haus mit allerhand selbstverliebten und skurrilen Gästen. „Alles in Ordnung?“ wird sie gefragt und man fragt sich unwillkürlich, was für eine Ordnung gemeint sein könnte, in dieser Welt aus Leopoardenjacken, falschen Sternenhimmeln, zwillingsgleichen Hunden, stolpernden Verehrern und ausgebüchsten Welsen.

Sibylle Ciarloni (links) und Rahel Kraft (rechts) performen „Wie man sich selbst als Fisch zeichnet“. Bild: Bettina Schnerr

Reinhören: Soundmitschnitt aus „Alles in Ordnung“ 


 

Das Buch und weitere Termine

Die Aufführungen: Sechs weitere Performance-Termine stehen fest: 

 

23. März 2019 Nairs Zentrum für Gegenwartskunst, Scuol – 18 Uhr
27. März 2019 Rote Fabrik, Fabriktheater, Zürich – 20 Uhr 
3. April 2019 Café Kairo, Bern – 20.30 Uhr
25. April 2019 Neubad, Luzern – 21 Uhr
26. April 2019 Bagno Popolare im Schweizerhof, Kurplatz 3, Baden – 20 Uhr
7. Mai 2019 Brotfabrik, Berlin – 20 Uhr

die Liste wird laufend aktualisiert: http://sibylleciarloni.com/category/termine/ 

 

Das Buch: Sibylle Ciarloni - Bernstein und Valencia, Stories, ISBN 978-3-906311-44-9, 160 Seiten, Knapp Verlag Olten

 

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