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von Brigitte Elsner-Heller, 21.01.2019

Gardi Hutter und das Ende vom Lied

Gardi Hutter und das Ende vom Lied
Hanna meets Hanna (Neda Cainero und Gardi Hutter, rechts im Bild): Wie tot ist eigentlich tot? Und wo mag der Geist noch flattern? | © Brigitte Elsner-Heller


Mit „Gaia-Gaudi“, ihrem neuen Bühnenprogramm, ist Gardi Hutter schweizweit unterwegs. Dieses Mal lässt sie ihre Hanna mit Gevatter Tod ein Tänzchen wagen. Am Wochenende gastierte sie damit in Weinfelden.

Ob am Anfang das Wort war oder der Urknall, mag eine Frage der Betrachtung sein. Sicher ist jedenfalls, dass seitdem viele Worte beziehungsweise Wörter gebildet wurden, mit denen Menschen sich verständigen können. Dazu entstanden Mythen – und das Theater. Und die Dramen waren weniger (falschen) Liebesschwüren gewidmet als dem immerwährenden Thema Tod. Dem auf dem Schlachtfeld ebenso wie dem im Kindbett. Beide in der Menschheitsgeschichte gewöhnlich, beide dennoch nicht dazu angetan, sich daran zu gewöhnen. 

Und doch gibt es sie, die Aufmüpfigen, die dem Tod ein Schnippchen schlagen, ihn seiner Macht berauben möchten. Gab es da nicht etwa Woody Allen, der schliesslich mit dem Sensenmann fröhlich über das Feld davon tänzelte? Und kürzlich erst George Saunders' grossartiges Buch „Lincoln im Bardo“?

Dem Tod ein Schnippchen schlagen?

Gardi Hutter pflegt seit langem als Clownin den etwas anderen Blick auf das Leben, und nun ist es soweit, dass sie ihre Kunstfigur Hanna aufs Totenbett legt. Nicht etwa am Ende des Bühnenereignisses, sondern gleich zu Beginn. Da liegt sie also – an diesem Abend in Weinfelden – aufgebahrt im Sarg, oder eben doch nicht, denn die bekannte Figur mit den weiblichen Sondermassen und roter Knollennase nähert sich sehr verwundert dem vermeintlichen Alter Ego in der Kiste. Schön kalt, die Frau – doch warum kalt? Langsam erst dämmert es diesem stets seltsam unruhigen Geist, der voller Bewusstsein die Naivität zelebriert, dass hier etwas nicht stimmt.

Ausgestaltet wird an diesem Abend mit dem aktuellen Bühnenprogramm „Gaia-Gaudi“ eine vielschichtige Geschichte, die sich in einer Art Zwischenreich abspielt, in dem der Schatten des Todes in Gestalt schwarzer Rabenvögel immer wieder mit dabei ist. Zur Seite hat Gardi Hutter diesmal erstmals Tochter, Sohn und Schwiegertochter (Neda Cainero, Juri Cainero, Beatriz Navarro), die dem Auftritt Hutters Facetten mitgeben, die schaurig ausfallen, aber auch die Poesie der Lebenskraft einbringen, die mittels der Fantasie immer wieder neue Räume erschliesst. Tanz und Pantomime sind auch das Thema der nachfolgenden Generation, vor allem beeindruckt auf der Bühne aber Obertonmusik mit archaisch wirkenden Trommelklängen.

Noch rockt die Fantasie im Zwischenreich, und Hanna ist als herrschsüchtige Königin „not amused“. Gardi Hutter (vorne) mit Beatriz Navarro.
Noch rockt die Fantasie im Zwischenreich, und Hanna ist als herrschsüchtige Königin „not amused“. Gardi Hutter (vorne) mit Beatriz Navarro. Bild: Brigitte Elsner-Heller

 

Poesie zwischen Leben und Tod 

Die im Schattenreich wandelnde Frau, die das Publikum überall zum lachen bringt (wobei der Clown als im Grunde tragische Gestalt unsere Kümmernisse mit sich nimmt), findet sich in den Menschheitsmythen wieder, sucht die Urmutter und ist selbst doch Mutter, die ihren Kindern Raum auf der Erde überlassen möchte. So kommt es, dass sie plötzlich der Venus von Willendorf gegenübersteht – hier als viel ältere Personifikation der Idee der Urmutter Gaia aufzufassen, auf die Gardi Hutter im Programmtitel Bezug nimmt. 

Natürlich baut Hutter auf die clownesken Elemente, für die ihr Publikum sie liebt. Etwa wenn sie die bitteren Aspekte des Menschseins aufgreift, indem sie sich – auch mittels einer seltsamen Robe – als Königin eines absurden Reiches installiert, die als solche nur noch amüsiert werden will. Und die ihren „Untertanen“ aber schnell auch noch klar macht, wer hier das Sagen hat: „I could kill you!“ gehört zu den wenigen Worten, die fallen. Allmachtsfantasien, die den Tod überdauern, weil sie zur Menschheit gehören wie der Zyklus von Werden und Vergehen. Umgekehrt erstirbt ihr das berühmte Piaf-Credo „Je ne regrette rien“ auf den Lippen, beziehungsweise bleiben nur Kehllaute im Hals stecken.

Dann also ...

Bevor Hanna endgültig in den von innen leuchtenden roten Koffer steigt (bisher hatte sie die sanfte Aufforderung, dieses ewige Licht anzusteuern, stets wie ein trotziges Kind beflissentlich überhört), sind ihre Kinder zu ihren Ebenbildern geworden, setzt sich das Werden fort. Ein Wiegenlied am Ende, dann fröhliche Tänze.

Wenn es denn einst so sein sollte.

Weitere Aufführungen von Gardi Hutter in der Region: 22. Februar, Stadttheater Konstanz; 25. Februar, Theater St. Gallen; 1./2.März Casinotheater Winterthur. Alle Termine im Überblick gibt es hier.

Video: Trailer zum Programm „Gaia-Gaudi“

 

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